Till Türmer und die Angst vor dem Tod. Andreas Klaene

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Till Türmer und die Angst vor dem Tod - Andreas Klaene


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      Till Türmer und die Angst vor dem Tod

      Andreas Klaene

      Inhaltsverzeichnis

       Wahrheit

       Der Brief

       Deichnacht

       Verdrängter Anruf

       Entdeckung

       Pelorus Jack

       Die Ausstellung

       Die Pianistin

       Ende einer Teestunde

       Im Trockendock

       Kurs auf Manslagt

       Ausritt

       Schock

       Bitte einer Sterbenden

       Sekt im Hafen

       Die Entschuldigung

       Fragen

       Nacht mit Rubinstein

       Marias Glück

       Der Ort letzten Geschehens

       Harte Brocken

       Im Angesicht der Endlichkeit

       Das Vermächtnis

       Danksagung

      Wahrheit

      Nie erfuhr jemand, wie seine Briefe entstanden. Ihre Vorgeschichte war ein Geheimnis, das zwei Menschen behüteten. Der eine war Till Türmer, der andere sein jeweiliger Auftraggeber. Und in dessen Namen schrieb er. Männer wie Frauen trugen ihre sehr speziellen Wünsche an Till heran, Menschen aus allen Schichten und von überall her. Sie fanden ihn im Internet oder kamen durch diskrete Empfehlung mit ihm in Kontakt. Jeder von ihnen führte etwas anderes im Schilde. Nur eines hatten sie alle gemeinsam: ein Problem, das ihnen schmerzhaft schon viel zu lange unter den Nägeln brannte. Manchen raubte es regelrecht den Lebenswillen.

      Sie alle hatten versucht, ihre Not mit eigenen Mitteln aus der Welt zu schaffen. Aber sie waren gescheitert. Ihnen fehlten die Worte, mit denen es möglich war, die Ehefrau oder Geliebte zur Rückkehr zu bewegen, dem mächtigen Konzern einen stattlichen Schadensersatz zu entlocken oder die ehelichen Fehltritte so zu erklären, dass ein Gleichschritt wieder möglich wurde.

      Till Türmer hatte diese Worte, aber sie standen nicht für ihn griffbereit wie die Bücher in seinem hellen, puristischen Arbeitszimmer. Dort stand ganz hinten neben dem Fenster ein kleiner Schreibtisch mit Beinen aus Metallstangen. Auf der schwarzen Glasplatte duldete er nichts außer seinen Laptop und ein Heft für Notizen. Was er sonst noch für seine Arbeit brauchte, holte er sich aus der ostfriesischen Weite, in der er zu Hause war. Bevor er zu schreiben begann, stellte er Fragen. Entweder bei einem Besuch in der Wohnung seines Kunden oder in der anonymen Atmosphäre einer Hotellounge. Meistens aber am Telefon. Für seine Fragen nahm er sich die Zeit, die er brauchte. Es war ihm wichtig, sich ein möglichst klares Bild von seinem Auftraggeber zu verschaffen und zu begreifen, was der Empfänger des Briefes für ein Mensch war.

      Manchmal dachte er, wenn ich etwas besser kann als andere, dann höchstens dies: Menschen erkennen, auch ihre geheimnisvollen, dunklen Seiten durchschauen. Sein Talent schützte ihn vor beruflichen Halsbrüchen. Äußerst selten kam es vor, dass sich diese Gabe aus dem Staub machte.

      Solch eine dunkle Seite erahnte Till auch, als er sein erstes Telefonat mit einem angeblich wohlhabenden Unternehmensberater aus Mün­chen hatte. Nach nur ein paar Worten des Anrufers witterte er nichts Gutes. Nicht, dass er dessen Namen gekannt oder damit etwas Negatives verbunden hätte. Dennoch schlug etwas in ihm Alarm, als der Fremde sich mit Marco Grossanter meldete. Denn er begnügte sich nicht damit, seinen Namen lediglich zu nennen, er zelebrierte ihn. Silbe für Silbe. Seine dunkle Stimme kam so weich herüber wie ein wertvoller Cognac. Gleichzeitig intonierte er Vor- und Zuname wie die Hymne eines Giganten, ganz dezent untermalt mit der Melodie charmanter Gerissenheit. Till war das zu viel Inszenierung, um noch an Seriosität glauben zu können. Dann zog Grossanter das nächste Register, indem er versuchte, ihn bei seiner Eitelkeit zu packen.

      »Ich habe lange gesucht und mir so einige Profis angeschaut«, sagte er, »auch so ein Pressemensch vom Bayerischen Rundfunk war dabei. Aber die haben mich alle nicht überzeugt.«

      Bei Till kam das allerdings anders an, als Grossanter glaubte. Er stand am Fenster mit dem Telefon am Ohr und verzog sein Gesicht wie einer, der in Faules biss. Diese Aussage war eine Beleidigung, wenn der Mann glaubte, sein Gesprächspartner sei naiv genug, um sie für bare Münze zu nehmen.

      Trotzdem hörte er sich an, was Grossanter von ihm wollte, was allerdings dazu führte, dass er Tage später Zweifel an seinem Einschätzungsvermögen bekam. Zuerst sprach der Anrufer nur vage von einer Familienangelegenheit. Till musste mehrmals nachhaken, bekam aber kaum eine konkretere Antwort. Da die meisten ihn kontaktierten, weil ihre Beziehung in die Brüche gegangen war, fragte er schließlich, ob es um seine Frau gehe, und der Mann sprang umgehend darauf an. Damit war Till aber wenig geholfen. Ihm kam es so vor, als hätte er Grossanter mit seiner Frage erst die Idee für ein gar nicht vorhandenes Problemthema gereicht, das er nun einfach weiterzuspinnen brauchte. Er erzählte dann, dass seine Frau ihn verlassen habe. »Verstehe das, wer will«, sagte er. »Jahrelang habe ich ihr alles, was ihr Herz begehrt, auf ’nem goldenen Tablett serviert.«

      Till stellte noch ein paar Fragen, um die Geschichte fürs Erste ein wenig besser einschätzen zu können, und ließ sich schließlich darauf ein, einen nächsten Telefontermin zu machen.

      Zwei Tage später tat er mit dem Münchner Unternehmensberater, was er vor Beginn seiner eigentlichen Arbeit mit jedem Auftraggeber tat. Höflich aber unmissverständlich sagte er ihm: »Ich bin bereit, eine Menge Zeit in Ihre Sache zu investieren. Aber nur, wenn Sie bereit sind, auf meine Fragen ehrlich zu antworten. Auf alle! Ich akzeptiere, wenn Sie über irgendetwas nicht sprechen wollen. Dann sagen Sie mir das! Aber verzichten Sie auf Unwahrheiten! Dann würde unser Schuss nämlich nach hinten losgehen, und dafür ist mir meine Zeit zu schade.«

      Unmittelbar nach diesem Hinweis glaubte Till am anderen Ende der Leitung eine Spur Unsicherheit zu bemerken. Marco Grossanter, der bisher mit aufgeblasener Souveränität


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