Fürstin des Nordens - Trilogy. Juryk Barelhaven

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Fürstin des Nordens - Trilogy - Juryk Barelhaven


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      Fürstin des Nordens

      Chronik in drei Teilen

      Die jüngste Fürstin

      1

      Der Soldat taumelte die letzten Schritte auf die Kante der Klippen zu. Am Rande des Abgrunds fiel er auf die Knie. Weit unter ihm breitete sich die weite Schneeebene aus. Während die Sonne sank, ließ er den Blick über die vereiste und felsige Landschaft schweifen, ein Spiegelbild seiner Seele. Aus dieser Höhe sah er, dass viele seiner Kameraden wie er auf die gleiche Idee gekommen waren – hinweg über Meilen einer fast schon geraden Fläche lagen die gefallenen Körper seiner Legion. Zwischen den zahllosen blauen Tupfern stachen auch größere, braune Flecken auf: berittene Einheiten hatten dem Feind nichts entgegenzusetzen vermocht.

      Es war ein von Gott verfluchtes und dämonisches Land. Sie hätten niemals herkommen sollen.

      Der Mann namens Francesco de Palma riss sich den Soldatenhelm vom Kopf und schleuderte ihn hinter sich. Im Licht der letzten Sonnenstrahlen stieß er sein Schwert tief in den kalten, harten Boden. Der Knauf mit dem Zeichen der Neuen Republik und das Heft bildeten vor dem Hintergrund der sinkenden Sonne ein Kreuz.

      Der Mensch betete um Erlösung, um Vergebung, um Errettung.

      Er war ein Soldat aus dem Süden des Kontinents, der zusammen mit seiner Armee im Auftrag seines Landes dieses nördliche Land namens Norfesta einnehmen sollte. Mit seinen eigenen Händen hatte er vor einer Woche den Dörflern am Rande der Grenze die Kehlen aufgeschlitzt. Seine Einheit hatte geraubt und geplündert – die notwendigen Begleiterscheinungen eines Feldzuges gegen das Königreich Norfesta, das seinem Land schon immer den Reichtum neidete - doch die Menschen waren nicht das Problem gewesen. Vor wenigen Minuten hatten sie dem wahren Herrscher des Landes ins Antlitz gesehen. Die Schreie seines letzten Kameraden hatten ihn bis zu diesem Vorsprung oben auf der Klippe verfolgt.

      Aber schließlich waren alle verstummt.

      Das Gemetzel war vorüber.

      Das war also Norfesta.

      Der Mann schüttelte ungläubig den Kopf über die Tatsache, dass er sich noch vor einigen Wochen über Langeweile beschwert hatte. Zusammen mit seinen Männern schwelgte er darin, was sie mit ihren Reichtümern anfangen würden; voller großen Ideen und großer Träume. Als sie davon hörten, dass sie das nördliche Norfesta von seinen Werwölfen befreien und in die Republik eingliedern sollten, hatten sie sich im Recht gesehen und über die dummen Tiere gelacht, die es gegen eine ganze Legion aufnehmen würden.

       Von wegen dumme Tiere!

      Jetzt konnte er zurückkehren. Statt mit Truhen voller Reichtümer und Wundern im Gepäck, das eines Königs würdig war, würde er allein zum nächsten Hafen gelangen müssen. Dort wartete bestimmt ein Boot, das ihn in seine Heimat zurückbrachte. Dort würde er seiner Garnison Bericht erstatten und einfach auf den nächsten Befehl warten. Geduldig alle Fragen beantworten. Zum Beispiel, warum er als Einziger überlebt hatte.

      „Sie sind flink, wenn sie ihrem Tod ins Gesicht sehen.“

      Es war die dröhnende Stimme eines sehr großen Mannes, die ihn erschauern ließ. Hinter ihm lösten sich Gestalten aus den Schatten und kamen hinter großen Felsbrocken hervor. Es waren Männer und Frauen – ausnahmslos nackt, beharrt und groß – und ihre Leiber glänzten von Schweiß und Blut der gewonnen Schlacht. Sie brauchten keine Rüstung und keine Waffen. Mit eigenen Augen hatte der Mann gesehen, mit welcher Leichtigkeit nur einer dieser verfluchten Geschöpfe in der Lage war! Eine Armee aus Monstern, die sich die Kraft der Wölfe teilte… geschaffen aus Wut, Zorn und bestialischer Kraft.

      Er erbleichte und wich zurück; jetzt wusste er, dass er tatsächlich verflucht war.

      Die wahren Herrscher Norfestas näherten sich ihm.

      Gekommen, um ihn in die Hölle zu zerren.

      Der Größte von ihnen sprang zu ihm hin, stieß ihm das Schwert aus der Hand und packte ihn am Kragen, als wäre er ein Kind mit einem Stock. Mit nur einem Arm hob er ihn hoch, die Krallen bohrten sich ohne Mühe in seinen wattierten Waffenrock und Francesco gellte schmerzerfüllt auf. Der Hüne ließ sich Zeit. Seine gelben Augen ruhten auf den Mann, taxierten ihn und schienen mit ihrem unheimlichen Schein ein stummes Versprechen zu senden.

      Die Beute schloss die Augen und erwartete den Tod.

      Mit einem Ruck landete er im Dreck und bibberte vor Furcht, als die Scharr näher und näherkam. Männer und Frauen starrten nicht ihn an, sondern den Hünen, der sich ihnen zuwandte. „Holt Claudile her“, ächzte er grollend.

      Lange geschah nichts.

      Dann kam sie. Ein Mädchen.

      Schmal und nackt, nicht älter als zehn vielleicht zwölf Lenze und weit von der Reife einer Frau. Ihre Haar, schulterlang und flammendrot, bewegten sich wie wallend über ihre Schultern. Sie würde in ein paar Jahren eine schöne und begehrenswerte Frau werden – doch für derlei Gedanken hatte der Soldat gerade keine Zeit. Ihre Augen glühten nicht weniger unheilvoll, und da wusste er, was die Stunde geschlagen hatte.

      „Töte ihn“, grollte der Hüne und blickte sie streng und mitleidlos an.

      Der Mann wich vor ihr zurück, doch hinter ihm war die Klippe und vor ihm die Monster aus seinen Alpträumen, die ihn bald nicht mehr heimsuchen würden. Mochte sie noch ein Kind sein – der Soldat zweifelte nicht daran, dass sie ihn mit Leichtigkeit töten würde. Er schluckte hart und wimmerte laut – nicht aus Kummer, weil er wusste, dass er heute sterben würde. Sondern weil er versagt hatte. Norfesta würde sich niemals beugen.

      Gnadenlos, unaufhaltsam kam das Kind auf ihn zu.

      Sein Schrei zerriss die Nacht, aber alles, was Francesco de Palma hörte, war ein kleines Wort.

      „Nein.“

      Er blinzelte verwirrt, machte die Augen auf und blickte zu dem Mädchen, das ihn traurig ansah.

      „Nein“, wiederholte sie und stellte sich dem Hünen entgegen, der sie funkelnd anstarrte.

      Ein Ruck ging durch die Menge. Während der einsame Soldat sich vor Schmerzen wand, bekam er mit, wie die Wölfe sich teils sprachlos teils verwirrt ansahen. Die Gesichtsfarbe ihres Anführers wechselte ins Dunkelrote.

      „Was… hast du gesagt!?“

      FÜNF JAHRE SPÄTER

      Es war ein Tag, an dem man sich wünschte, dass er nie vergeht. Die Luft war kristallklar, von den Hügeln im Osten konnte man bis zu den schneebedeckten Bergen im Westen blicken und eine frische Brise wirbelte das tote Herbstlaub der Eschen auf. Von den Bergen aus zog sich der Fluss Freen zweihundert Meilen südwärts bis zum Meer. Am Anfang, dort wo er die steilen Hänge der Gebirgsläufer hinunterstürzte, war sein Lauf schnell, verlangsamte sich aber, je näher er dem Vonsingh-See kam, in dem er sich strudelnd ergoss, um dann in den tiefen Höhlen am Südufer zu verschwinden aus denen er in einer Kaskade wie der Schwall aus einem Krug hervorsprudelte und zwanzig Faden tief in das Becken darunter stürzte.

      Eine schwarze Kutsche rollte über eine Straße, gezogen von schwarzen Pferden, die den Weg auch ohne den Kutscher kannten. Das Wappen des Hauses Alemont – zwei Hermeline auf blutroten Grund – prangte als Zeichen für alle Bewohner Norfestas sichtbar auf den Wagentüren. Die älteste und wahrscheinlich bekannteste Familie von Werwölfen und bekanntermaßen ein Machtfaktor in der Region, baute ihre Beziehung zu den anderen Regionen aus. Im Innern saßen zwei Personen, so verschieden wie Tag und Nacht: ein Soldat namens Francesco de Palma aus dem Süden und seine Schülerin und einzige Tochter des Hauses Alemont.

      Claudile Alemont wippte unruhig auf ihrem Sitz hin und her, während der Mann vor ihr sie scharf ansah. Der wache, unruhige Blick, der energische Zug um ihren Mund und die kleinen, zielbewussten Bewegungen; das war alles ein Mädchen, das die Welt bereisen und von ihr lernen wollte. Ein Werwolf.

      „Sitzt stehts aufrecht“, mahnte er und schlug zum wiederholten Male ein Buch auf, das den bedeutungsschweren Titel trug: Adelshäuser und ihre Sitten – rund


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