Drei Begegnungen. Иван Тургенев
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Drei Begegnungen
Passa quoi’colli e vieni allegramente, Non ti curar di tanta compagnia — Vieni, ponsando a me sagraeamente — Chi’o t’accompagna per tutta la via.1
I
Nirgendwohin bin ich wohl zur Sommerzeit häufiger auf die Jagd gefahren, als nach dem Dorfe Glinnoje, das zwanzig Werst von meinem Landsitze entfernt liegt. Bei jenem Dorfe liegen vielleicht die besten Wildstände unseres ganzen Bezirks. Nachdem ich alle Büsche und Felder durchsucht hatte, pflegte ich regelmäßig gegen Abend einen Abstecher nach einem benachbarten Moorgrunde, wohl den einzigen, den es in jener Gegend giebt, zu unternehmen und von dort aus dann zu meinem gastfreundlichen Wirthe, dem Schulzen des Dorfes, bei welchem ich jedesmal abstieg, zurückzukehren.Von dem Moore bis nach Glinnoje sind es ungefähr zwei Werst; der ganze Weg führt durchweg durch eine Niederung und nur auf der Hälfte desselben hat man einen unbeträchtlichen Hügel zu überschreiten. Auf der Spitze dieses Hügels liegt ein Landsitz, der aus einem kleinen, unbewohnten herrschaftlichen Hause nebst Garten besteht. Fast jedesmal, wenn mich mein Weg bei jenem Hause vorbeiführte, war es beim vollen Glanze der Abendroths, und ich erinnere mich, daß jenes Haus mit seinen dichtvernagelten Fenstern mir immer wie ein blinder Greis vorkam, der herausgekommen war, sich an der Sonne zu wärmen. Da sitzt er, der Arme, am Wege; das Licht der Sonne hat für ihn längst ewiger Nacht Platz gemacht, doch fühlt er es noch auf dem aufgerichteten, vorgestreckten Gesichte, den erwärmten Wangen. Im Hauptgebäude hatte, dem Anscheine nach, schon lange Niemand gewohnt; das kleine Nebengebäude auf dem Hofe jedoch bewohnte ein altersschwacher Freigelassener, ein hochgewachsener, breitschultriger und grauhaariger Alter mit ausdrucksvollen und starren Gesichtszügen. Es war seine Gewohnheit, auf dein Bänkchen vor dem einzigen Fensterchen des Nebenhauses zu sitzen und in schwermüthiges Nachdenken versunken in’s Weite zu schauen. So oft er meiner Ansichtig wurde, pflegte er sich ein wenig zu erheben und mich mit jener langsamen Feierlichkeit zu begrüßen, die alten Domestiken aus den Zeiten, nicht sowohl unserer Väter, als unserer Großväter eigen ist. Ich ließ mich in Gespräche mit ihm ein, fand ihn jedoch nicht redselig: ich erfuhr von ihm nur, daß der Landsitz, in welchem er sich aufhielt, der Enkelin seines vormaligen Herrn, einer Wittwe, die eine jüngere Schwester hatte, angehört; daß Beide ihr Leben in Städten und fremden Ländern zubrächten, sich zu Hause nicht blicken ließen, und daß es ihn selbst verlange, baldmöglichst sein Leben zu beschließen; denn, meinte er, »er laue und kaue an seinem Brode, daß es ihm zuletzt langweilig werde, so lange daran zu kauen.« Dieser Alte nannte sich Lukjanitsch.
Ein Mal war ich länger als gewöhnlich ausgeblieben; es war mir ziemlich viel Wild in den Schuß gekommen und auch das Wetter war für die Jagd ganz vorzüglich – schon vom frühen Morgen an still, grau, gleichsam abendlich Ich war weit abgekommen,'und es war nicht nur ganz dunkel geworden, sondern auch der Mond schon aufgestiegen; die Nacht stand bereits am ganzen Himmel, als ich den bekannten Landsitz erreichte. Ich mußte längs dem Garten vorbei . . . Rings umher herrschte Stille . . . Ich schritt über den breiten Weg, arbeitete mich vorsichtig durch die staubbedeckten Nesseln hindurch und lehnte mich an den niedrigen Zaun. Regungslos lag vor mir der kleine Garten, ganz vom Silberglanze des Mondes beleuchtet und gleichsam zur Ruhe gebracht – in vollem Dufte und Safte; er bestand, nach alter Art, aus einem länglichen Grasplatze. Nach der Schnur gezogene Wege liefen in dem Mittelpunkte desselben in ein rundes, mit Astern dicht bewachsenes Beet zusammen; hohe Linden umstanden sie wie eine gleichmäßige Einfassung. Nur an einer Stelle war diese Einfassung durch eine zwei Klaftern breite Oeffnung unterbrochen, durch welche ein Theil eines niedrigen Häuschens mit zwei, zu meinem Erstaunen erleuchteten Fenstern sichtbar war. Junge Aepfelbäume ragten hin und wieder auf der Fläche empor; durch das lichte Gezweige derselben blickte das Blau des nächtlichen Himmels sanft hervor und streifte der schlummerbringende Mondschein hindurch; vor jedem der Aepfelbäume lag auf dein weißlich glänzenden Grase das schwache durchbrochene Schattenbild desselben. Auf der einen Seite des Gartens zeigten die vom bleichen, aber hellen Mondlichte umflossenen Linden, ein undeutliches Grün; auf der anderen standen sie ganz schwarz und undurchsichtig da; ein sonderbares, verhaltenes Geräusch ließ, sich von Zeit zu Zeit in ihrem dichten Laube vernehmen; es war wie eine Einladung, die unter ihnen sich verlaufenden Wege zu betreten, wie ein Locken unter ihr schattiges Dach. Der ganze Himmel war mit Sternen besäet; geheimnißvoll floß aus der Höhe ihr wildes, bläuliches Licht herüber; es war, als schauten sie in stiller Betrachtung auf die ferne Erde herab. Kleine, seine Wolken zogen von Zeit zu Zeit über den Mond hin und verwandelten auf Augenblicke seinen ruhigen Glanz in unbestimmten, durchsichtigen Nebel . . . Alles schlummerte. Die Luft, warm und duftgeschwängert, war regungslos; ab und zu durchflog sie ein Zittern, wie das Zittern des Wassers, das von dem Fall eines Zweiges berührt wird . . . Es fühlte sich ein Sehnen, eine Art Durst in dieser warmen Luft . . . Ich beugte mich über den Zaun: vor mir streckte ein wilder rother Mohn aus dichtem Grase seinen schlanken Stengel hervor: ein großer runder Tropfen nächtlichen Thaues glänzte in dunkelem Schimmer auf dem Grunde der geöffneten Krone. Alles umher war wie in sich selbst versunken; Alles schien hingestreckt, unbeweglich und erwartungsvoll den Blick nach oben gerichtet zu haben . . . Worauf harrte diese blaue, träumende Nacht?
Auf einen Laut; auf eine lebende Stimme harrte diese lauschende Stille – es schwieg aber Alles. Die Nachtigallen hatten schon lange aufgehört zu schlagen . . . und das plötzliche Summen eines vorüberfliegenden Käfers, das leichte Plätschern der kleinen Fische im Fischbehälter hinter den Linden am Ende des Gartens, das schlaftrunkene Pfeifen eines erwachenden Vogels, ein ferner Laut im Felde, so fern, daß kein Ohr unterscheiden konnte, ob ihn Mensch, Thier oder Vogel hervorbrachte, der kurze, rasche Trab auf dem Wege: alle diese schwachen Laute, dieses Geräusch machten die Stille nur noch fühlbarer . . . Ein Gefühl eigener Art quälte mein Herz, es war nicht ganz die Erwartung eines Glücks, nicht ganz die Erinnerung an ein solches, ich wagte nicht, mich zu regen, unbeweglich blieb ich vor diesem regungslosen Garten, den Mondschein und Thau bedeckten, stehen, und schaute, ohne selbst zu wissen warum, ohne Unterlaß auf jene zwei Fenster, die matt geröthet aus dem weichen Halbdunkel hervorschimmerten, als plötzlich in dem Hause ein Akkord ertönte, – ertönte und gleich einer Welle dahinrollte . . .« Die leichtbewegte, klingende Luft gab ihn als Echo wieder . . . unwillkürlich fuhr ich zusammen.
Gleich nach dem Accorde ließ sich eine weibliche Stimme hören . . . Mit Begierde lauschte ich und – . . . wie beschreibe ich mein Erstaunen? . . . zwei Jahre vorher in Italien, in Sorrento hatte ich dasselbe Lied, dieselbe Stimme gehört . . . Ja, ja . . .
Vieni pensando a me segretamente . . . Sie sind es, jene Töne, ich habe sie erkannt . . . So aber geschah es: Nach einem langen Gange am Ufer des Meeres kehrte ich nach Hause zurück. Raschen Schrittes ging ich die Gasse entlang; die Nacht war schon längst hereingebrochen, – eine prachtvolle, südliche Nacht, keine stille und traurig schwermüthige wie bei uns, nein! lichtvoll, reizend und herrlich wie ein glückliches Weib in der Blüthe der Jahre: der Mond leuchtete unglaublich hell; große, strahlende Sterne wimmelten an dem tiefblauen Himmel in voller Bewegung; scharf begrenzt hoben sich schwarze Schatten an dein gelb erleuchteten Boden ab. Zu beiden Seiten des Weges zogen sich steinerne Gartenmauern hin; über denselben streckten Apfelsinenbäume ihr krummes Geäste empor, gleich goldenen Kugeln waren die schweren Früchte bald im Gewirre des Laubwerkes versteckt, bald wieder glühte stolz ihre reife Pracht im Glanze des Mondes. Viele Bäume waren mit zarter, weißer Blüthe bedeckt; die Luft ringsumher war von beängstigend starken, scharfen und doch unbeschreiblich angenehmen Wohlgerüchen erfüllt. Ich ging meines Weges und, ich muß es gestehen, einigermaßen schon an alle diese Wunder gewöhnt, dachte ich nur daran, wie ich recht bald meinen Gasthof erreichen werde, als plötzlich aus einem kleinen Pavillon, der gerade die Mauer, an welcher ich vorüberging, überragte, eine weibliche Stimme an mein Ohr schlug. Sie sang ein Lied, das ich nicht kannte, und in ihrem Ton lag etwas so Aufforderndes, und sie selbst däuchte mir dermaßen von der leidenschaftlichen und freudigen Erwartung, die in den Worten des Liedes lag, durchdrungen, daß ich sogleich unwillkührlich stehen blieb und den Kopf in die Höhe richtete. Im Pavillon waren zwei Fenster; an beiden jedoch waren die Jalousien herabgelassen und durch die schmalen Spalten schimmerte ein mattes Licht. Nachdem die Stimme zweimal – vieni, vieni wiederholt hatte, hielt sie inne; ein unbestimmter Ton von Saiten,
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