Vor Sonnenaufgang: Soziales Drama. Gerhart Hauptmann
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Gerhart Hauptmann
Vor Sonnenaufgang: Soziales Drama
Veröffentlicht im Good Press Verlag, 2020
EAN 4064066112813
Inhaltsverzeichnis
Die Aufführung dieses Dramas fand am 20. Oktober statt in den Räumen des Lessing-Theaters, veranstaltet vom Verein „Freie Bühne“. Ich benutze den Anlaß der Herausgabe einer neuen Auflage, um aus vollem Herzen den Leitern dieses Vereins insgesammt, in Sonderheit aber den Herren Otto Brahm und Paul Schlenther zu danken. Möchte es die Zukunft erweisen, daß sie sich, indem sie, kleinlichen Bedenken zum Trotz, einem aus reinen Motiven heraus entstandenen Kunstwerk zum Leben verhalfen, um die deutsche Kunst verdient gemacht haben.
Charlottenburg, den 26. Oktober 1889.
Gerhart Hauptmann.
Handelnde Menschen.
Besetzung bei der ersten Aufführung. | ||
Krause, Bauerngutsbesitzer | Hans Pagay. | |
Frau Krause, seine zweite Frau | Louise v. Pöllnitz. | |
Helene, | } Krause’s Töchter erster Ehe | Elsa Lehmann. |
Martha, | * * * | |
Hoffmann, Ingenieur, verheirathet mit Martha | Gustav Kadelburg. | |
Wilhelm Kahl, Neffe der Frau Krause | Carl Stallmann. | |
Frau Spiller, Gesellschafterin der Frau Krause | Ida Stägemann. | |
Alfred Loth | Theodor Brandt. | |
Dr. Schimmelpfennig | Franz Guthery. | |
Beibst, Arbeitsmann auf Krause’s Gut | Paul Pauly. | |
Guste, | } Mägde auf Krause’s Gut | Sophie Berg. |
Liese, | Clara Hahn. | |
Marie, | Antonie Ziegler. | |
Baer, genannt Hopslabaer | Ferdinand Meyer. | |
Eduard, Hoffmann’s Diener | Edmund Schmasow. | |
Miele, Hausmädchen bei Frau Krause | Helene Schüle. | |
Die Kuschenfrau | Marie Gundra. | |
Golisch, genannt Gosch. Kuhjunge | Georg Baselt. | |
Ein Packetträger | * * * |
Erster Akt.
Das Zimmer ist niedrig; der Fußboden mit guten Teppichen belegt. Moderner Luxus auf bäuerische Dürftigkeit gepfropft. An der Wand hinter dem Eßtisch ein Gemälde, darstellend einen vierspännigen Frachtwagen, von einem Fuhrknecht in blauer Blouse geleitet.
Miele, eine robuste Bauernmagd mit rothem, etwas stumpfsinnigem Gesicht; sie öffnet die Mittelthür und läßt Alfred Loth eintreten. Loth ist mittelgroß, breitschultrig, untersetzt, in seinen Bewegungen bestimmt, doch ein wenig ungelenk; er hat blondes Haar, blaue Augen und ein dünnes, lichtblondes Schnurrbärtchen, sein ganzes Gesicht ist knochig und hat einen gleichmäßig ernsten Ausdruck. Er ist ordentlich, jedoch nichts weniger als modern gekleidet. Sommerpaletot, Umhängetäschchen, Stock.
Miele. Bitte! Ich werde den Herrn Inschinnär glei ruffen. Wolln Sie nich Platz nehmen?!
Die Glasthür zum Wintergarten wird heftig aufgestoßen; ein Bauernweib, im Gesicht blauroth vor Wuth, stürzt herein. Sie ist nicht viel besser als eine Waschfrau gekleidet. Nackte, rothe Arme, blauer Kattunrock und Mieder, rothes punktirtes Brusttuch. Alter: Anfang 40, Gesicht hart, sinnlich, bösartig. Die ganze Gestalt sonst gut conservirt.
Frau Krause schreit. Ihr Madel!! ... Richtig! ... Doas Loster vu Froovulk! ... Naus! mir gahn nischt! ... Halb zu Miele, halb zu Loth. A koan orbeita, a hoot Oarme. Naus! hier gibbt’s nischt!
Loth. Aber Frau ... Sie werden doch ... ich ... ich heiße Loth, bin ... wünsche zu ... habe auch nicht die Ab....
Miele. A wull ock a Herr Inschinnär sprechen.
Frau Krause. Beim Schwiegersuhne batteln: doas kenn’ mer schunn. — A hoot au nischt, a hoot’s au ock vu ins, nischt iis seine! Die Thür rechts wird aufgemacht. Hoffmann steckt den Kopf heraus.
Hoffmann. Schwiegermama! — Ich muß doch bitten ... Er tritt heraus, wendet sich an Loth. Was steht zu ... Alfred! Kerl! Wahrhaftig ’n Gott, Du!? Das ist aber mal ... nein das is doch mal ’n Gedanke!
Hoffmann ist etwa dreiunddreißig alt, schlank, groß, hager. Er kleidet sich nach der neuesten Mode, ist elegant frisirt, trägt kostbare Ringe, Brillantknöpfe im Vorhemd und Berloques an der Uhrkette. Kopfhaar und Schnurrbart schwarz, der letztere sehr üppig, äußerst sorgfältig gepflegt. Gesicht spitz, vogelartig. Ausdruck verschwommen, Augen schwarz, lebhaft, zuweilen unruhig.
Loth. Ich bin nämlich ganz zufällig ....
Hoffmann aufgeregt. Etwas Lieberes ... nun aber zunächst leg ab! Er versucht ihm das Umhängetäschchen abzunehmen. — Etwas Lieberes und so Unerwartetes hätte mir jetzt — er hat ihm Hut und Stock abgenommen und legt beides auf einen Stuhl