Der Clan der McNarn. Barbara Cartland

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Der Clan der McNarn - Barbara Cartland


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       1822

      „Gott sei Dank ruhige See!“

      Lord Hinchley goß sich ein Glas Kognak ein und leerte es mit einem Zug.

      „Dabei sind Sie noch glimpflich weggekommen“, entgegnete sein Begleiter. „Ich habe schon viel schlimmeren Seegang erlebt als auf dieser Reise.“

      „Ein Grund mehr, nicht ein zweites Mal in diese abgelegene Gegend zu kommen. Ich bin auf alles gefaßt: Hier ist der Teufel zu Hause, und die Menschen sind Barbaren.“

      „Das denkt zwar ganz England über Schottland, aber diese Auffassung ist falsch.“

      Der Ton des Herzogs von Strathnarn war zynisch.

      Zum ersten Mal seit sieben Tagen konnte man wieder in dem eleganten Salon sitzen, ohne mit dem Sessel von Wand zu Wand zu rutschen.

      „Wenn Sie mich fragen“, fuhr Lord Hinchley fort, „so haben Sie nichts Besseres tun können, als diesem Schottland den Rücken zu kehren und nach Süden zu kommen. Daß Sie jetzt zurückkehren, ist ein Fehler, Taran.“

      Die Miene des Herzogs wurde finster. Er sah aus dem Bullauge. Draußen zog langsam das bewaldete Ufer der Tay-Mündung vorbei.

      Alles in ihm sträubte sich bei dem Gedanken, in ein Land zurückzukehren, das er vor zwölf Jahren voll Zorn verlassen hatte, aber nicht einmal einem seiner besten Freunde wollte er das eingestehen.

      Er war damals erst sechzehn gewesen und hatte sich geschworen, nie wieder mit Schottland und seinen Bewohnern in Kontakt zu treten. Die Grausamkeit seines Vaters war der Anlaß dazu gewesen.

      Auf das nächstbeste Schiff hatte er sich geschleppt und war heilfroh gewesen, daß er in der billigsten Klasse unter Deck noch einen Platz bekommen hatte.

      Die Reise war eine einzige Qual gewesen, aber die Verwandten seiner verstorbenen Mutter hatten ihn in London mit offenen Armen empfangen.

      Sie hatten ihn auf ein erstklassiges Internat geschickt und anschließend zum Studium auf die Universität von Oxford. Sein Großvater, ein guter Freund des Prinzregenten, hatte ihn als Marquis von Narn in die Londoner Gesellschaft eingeführt, und er hatte das Leben in vollen Zügen genossen.

      Er hatte schon fast vergessen gehabt, daß es überhaupt ein Schottland gab.

      Nach dem Tode seines Großvaters hatte er dessen Landsitz und ein stattliches Vermögen geerbt. Der Prinzregent, inzwischen König George IV., hielt große Stücke auf ihn, und London lag ihm zu Füßen.

      Die Nachricht vom Tode seines Vaters hatte vor drei Monaten wie eine Bombe eingeschlagen. Von einem Tag zum anderen war er nicht nur Erbe des Titels, sondern auch noch Oberhaupt des Clans der McNarn geworden.

      Wenn er an seinen Vater gedacht hatte, was selten genug vorgekommen war, hatte er ihn als angsteinflößenden, alterslosen Mann gesehen, der an die Riesen der klassischen Sagen des Altertums erinnerte.

      Lord Hinchley goß sich noch ein Glas Kognak ein.

      „Sie machen einen deprimierten Eindruck, Taran“, sagte er. „Wenn Sie mit einem solchen Gesicht ankommen, kriegen es Ihre Clanleute mit der Angst zu tun.“

      „Das schadet gar nichts“, entgegnete der Herzog. „Dann gehorchen sie wenigstens.“

      Doch er wußte, daß die Mitglieder eines Clans dem jeweiligen Oberhaupt blind gehorchten. Das war ungeschriebenes Gesetz. Widerstand gab es nicht.„Das Oberhaupt eines Clans“, hatte sein Vater einmal gesagt, „steht zwischen seinen Leuten und Gott.“

      Die Zeiten halten sich allerdings geändert. Totale Unterwürfigkeit +- für den Herzog etwas Abscheuliches - gab es nicht mehr. Das Oberhaupt eines Clans konnte nicht mehr über Leben und Tod seiner Leute bestimmen.

      „Ich weiß auf alle Fälle jetzt schon“, sagte Lord Hinchley und nippte an seinem Kognak, „daß ich mich in meiner Kabine vollaufen lasse, wenn ich mit Seiner Majestät auf der ,Royal George zurückfahren muß.“

      „Bei Ihrer Rückreise wird das Meer ruhig sein“, entgegnete der Herzog. „Der König ist sehr seetüchtig und wird von Ihnen erwarten, daß auch Sie es sind. Außerdem wird er erwarten, daß Sie ihm Gesellschaft leisten und ihm immer wieder sagen, wie sehr sich die Schotten über seinen Besuch gefreut haben.“

      „Es fragt sich bloß, ob das der Wahrheit entsprechen wird“, entgegnete Lord Hinchley. „Dieser Walter Scott ist daran schuld, daß der Monarch plötzlich nicht mehr von diesem Besuch in Edinburg abzuhalten war. Wenn die Schotten noch einen Rest Mumm in den Knochen haben, dann gehen sie auf ihn los.“

      Der Herzog äußerte sich nicht dazu.

      „Mein Großvater“, fuhr Lord Hinchley fort, „hat im Cumberland-Regiment gedient, und dieses Regiment war an der Schlacht von Culloden beteiligt. Er hat oft erzählt, wie brutal die Schotten niedergemetzelt worden sind und wie man die Überlebenden gefoltert hat. Ich finde, jeder Engländer sollte zweimal überlegen, ehe er die Rache herausfordert, die noch in diesen Menschen leben muß.“

      „Das ist lange her“, entgegnete der Herzog.

      „Aber nicht vergessen - da gehe ich jede Wette ein“, antwortete der Lord.

      „Da haben Sie wahrscheinlich recht.“

      „Natürlich habe ich recht“, sagte Lord Hinchley. „Alle primitiven Völker sind gleich. Fehden, Vendetten, Racheschwüre - davon leben sie.“

      „Sie scheinen gut Bescheid zu wissend bemerkte der Herzog.

      „Tue ich auch“, entgegnete Lord Hinchley. „Als ich von Seiner Majestät erfuhr, daß ausgerechnet ich als Vorreiter fungieren und dafür sorgen muß, daß der König gebührend empfangen wird, habe ich mir die Mühe gemacht, mich über Schottland und seine Bewohner zu informieren.“

      „Daß sich die Engländer dem besiegten Volk gegenüber miserabel verhalten haben“, fuhr er fort, „ist eine Tatsache, Taran. Und gesiegt haben sie lediglich deshalb, weil sie besser organisiert und ausgerüstet waren.“

      Wieder äußerte sich der Herzog nicht dazu.

      „Als ich noch ein Bub war“, berichtete Lord Hinchley weiter, „hat mir mein Großvater oft erzählt, wie die Clans bei Culloden ausgerottet worden sind. Von ihren Oberhäuptern angeführt, sind sie nach einer Nacht im Freien direkt in den Feuerregen hinein marschiert.“

      Der Herzog stand auf.

      „William“, sagte er in verärgertem Ton, „können Sie nicht endlich aufhören, mir von Schlachten zu erzählen, die ausgefochten wurden, als wir noch längst nicht auf der Welt waren. Wir sind beide zu dieser verfluchten Reise gezwungen worden, und je eher wir unsere Pflichten erledigen und zurückkehren, desto besser.“

      Lord Hinchley sah den Freund erstaunt an.

      „Ich hatte schon manchmal den Verdacht“, sagte er schließlich nachdenklich, „daß Schottland Ihre Heimat ist.“

      Er sah, wie der Herzog die Hände zu Fäusten ballte. Sollte er mit seiner Bemerkung den Nagel auf den Kopf getroffen haben?

      „Trinken Sie doch noch einen Schluck, Taran“, bat er schnell. „Es geht nichts über französischen Kognak, wenn einem alles etwas rosiger erscheinen soll.“Der Herzog goß sich noch ein Glas ein, doch der Alkohol verfehlte seine Wirkung. Statt ihn zu beruhigen, machte er ihn noch nervöser und aufgebrachter.

      Nicht einmal zur Beerdigung seines Vaters war er nach Schottland zurückgekehrt. Als er damals mit blutigem, zerschundenem Rücken von zu Hause weggelaufen war, hatte er mit den McNarn gebrochen.

      Ihn für einen Abtrünnigen zu halten, stand ihnen frei. Mochten sie denken, was sie wollten. Für ihn galt nur seine eigene Meinung.

      Nachdem er sein Studium an der Universität beendet hatte, hatte ihn erst einmal nur das eigene Vergnügen interessiert. Da er fabelhaft aussah, umschwärmten ihn die Frauen wie die Motten das Licht, und Geld war nie ein Problem gewesen.

      Der Prinzregent hatte sich damals gern mit jungen Männern umgeben, die ebenso lebenslustig waren wie er und die sich genauso extravagant


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