Dr. Brinkmeier Staffel 1 – Arztroman. Sissi Merz

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Dr. Brinkmeier Staffel 1 – Arztroman - Sissi Merz


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sein halb geleertes Glas und gab schließlich zu:

      »Du bist net auf den Kopf gefallen. Ich muß zugeben, daß die Anna mir gefällt. Sie ist eine schöne Frau und hat ihren eigenen Willen, das mag ich. Aber ich hab sie mir längst wieder aus dem Schädel geschlagen.«

      »Warum? Hat’s was gegeben zwischen euch? Streit?«

      »Das net. So nah bin ich ihr nicht gekommen. Der Burgmüller ist allerweil hinter der Anna her wie der Teufel hinter der armen Seele. Ich weiß, daß sie den alten Deppen net leiden kann. Aber ich mag mich auch net auf so eine Konkurrenz einlassen, das ist mir zu dumm.« Lukas bedachte seinen Bruder mit einem unsicheren Blick. »Deshalb hab ich mich ja so gewundert, daß du die Anna öfter siehst.«

      »Wir sind nur Freunde. Ich glaub, sie weiß, daß mein Herz nicht frei ist. Die Anna ist eine selbständige Frau, die ihr Leben auch allein meistern kann.«

      »Daß sie in dich verliebt ist, sollte dir aber net entgangen sein. Darüber wird im Dorf schon geredet. Und manch einer, der hinter der Anna her ist, sieht seine Felle davonschwimmen.«

      Max hob leicht die Schultern. »Mag sein, daß sie mir gut ist. Aber das ändert nix an den Tatsachen. Wir sind und bleiben nur Spezln.«

      »Dann hast die Julia also immer noch lieb. Aber wie soll das gehen, in Zukunft, meine ich. Wird sie denn irgendwann nach Wildenberg kommen? Oder wollt ihr euch aufs Telefonieren beschränken? Ich find, das ist doch arg wenig.«

      »Wem sagst das. Wenn es nach mir gegangen wäre, hätte ich die Julia geheiratet und mit hierher gebracht. Aber sie wollte net, weder das eine noch das andere.«

      Lukas warf seinem Bruder einen abwägenden Blick zu, dann konnte er sich ein Lächeln nicht verkneifen. »Du bist also doch net immer der Gewinner, Max. Ich find, das macht dich richtig menschlich, weißt?«

      »Ich glaub, du willst mich pflanzen«, brummte der Landarzt. »Dieses dumme Konkurrenzdenken von früher, das sollten wir uns endlich abgewöhnen. Schließlich sind wir eine Familie und müssen zusammenhalten. Das macht nämlich vieles einfacher.«

      »Ich kann dir net widersprechen. Trotzdem fällt es mir net leicht, so zu denken. Ich hab dich immer beneidet, weißt das? Und ob ich es schaffen werde, in dir nur noch meinen großen Bruder zu sehen und net meinen Rivalen, das weiß ich nicht.«

      »Dann solltest es zumindest versuchen. Darauf könnten wir trinken.« Max hob sein Glas. »Auf zwei Brüder, die endlich auch Spezln werden wollen!«

      Lukas zögerte nur kurz, dann klangen die Gläser hell auf. Und das schien Dr. Brinkmeier beinahe so wie ein gutes Omen für die Zukunft...

      Es ging schon auf Mitternacht zu, als Max heimkam. Bevor er hinauf in seine Wohnung ging, warf er noch einen Blick in die Praxis und stellte erleichtert fest, daß keine Notrufe auf dem Anrufbeantworter gespeichert waren. Er stellte nach oben um und hatte gerade die Diele betreten, als das Telefon sich meldete.

      »Hallo, Max, ich bin’s!« Josef Brinkmeier atmete durch. »Du bist schwer zu erreichen. Ich wollte dir nur sagen, daß ich gut angekommen bin. Es ist recht nett hier.«

      »Soso. Das hört man gerne. Ich war beim Lukas, es gab da einen Notfall. Und wir haben uns lange unterhalten.«

      Der alte Landarzt lauschte den Worten seines Sohnes nach, dann fragte er: »Habt ihr euch endlich ausgesprochen?«

      »Kann man so sagen. Es ist recht schwer, an den Lukas heranzukommen. Er hat da immer noch zu viele Erinnerungen im Kopf, die zwischen uns stehen. Ich glaube, er hat sich stets zurückgesetzt gefühlt, obwohl das ja eigentlich nicht stimmt.«

      »Eure Mutter selig und ich haben versucht, euch gleich zu erziehen. Beide sollten die selben Chancen kriegen, und wir haben euch auch beide gleich liebgehabt. Aber ich weiß, daß der Lukas schon als Bub eigentlich mehr gebraucht hätte. Er hat kein Selbstbewußtsein, ist immer unsicher gewesen. Vielleicht war es unser Fehler, daß wir das net rechtzeitig erkannt haben.«

      »Ich glaube nicht, daß das stimmt. Schau, Vater...« Max verstummte, denn eben war zaghaft am Klingelstrang gezogen worden. »Es tut mir leid, da scheint noch ein später Patient an der Tür zu sein, ich muß Schluß machen, Vater.«

      »Ist schon recht. Ich rufe in den nächsten Tagen wieder an.«

      Max verabschiedete sich kurz und eilte dann zur Haustür. Nachdem er das Außenlicht eingeschaltet hatte, sah er einen vagen Schatten durch das kleine Fenster in Augenhöhe. Er öffnete die Tür – und breitete reflexartig die Arme aus, denn das Mädchen, das gegen das Türblatt gelehnt hatte, fiel einfach wie leblos nach vorne. Der junge Landarzt bekam sie zu fassen, spürte, wie kalt sie war, und legte sie zunächst behutsam auf den Bodenläufer. Nachdem er sich vergewissert hatte, daß das Mädchen allein war, schloß er die Haustür und beugte sich über sie. Die Fremde war noch jung, Max schätzte sie auf Anfang zwanzig. Und sie befand sich in einem bemitleidenswerten Zustand. Ihr blondes Haar wies Spuren von Laub und Erde auf. In ihrem überblassen Gesicht mit den geschlossenen Augen zuckte es krampfartig, die hellen Spuren auf den zerkratzten Wangen zeugten von Tränen. Das Mädchen trug ein einfaches Kleid, keine Strümpfe und Schuhe, von denen sich bereits die Sohlen lösten. Es war unterkühlt, an den nackten Armen malten sich große blaue Flecken und Schürfwunden ab, die nur teilweise verschorft waren. Max konnte sich nicht erinnern, das Mädchen schon einmal gesehen zu haben. Woher mochte es kommen? Doch er hatte nun keine Zeit, sich darüber Gedanken zu machen.

      Vorsichtig nahm er den schlaffen Körper auf, der sehr leicht war. Er spürte deutlich die Rippen an seinem Arm; die Fremde war unterernährt. Der junge Mediziner brachte das Mädchen in sein Behandlungszimmer, untersuchte es gründlich und spritzte ihm dann ein belebendes Mittel. Nur sehr langsam kam die Fremde zu sich. Ihre Augenlider flatterten, sie stöhnte leise. Und dann starrte sie Max an wie eine Erscheinung.

      »Können Sie mich verstehen?« fragte er behutsam. »Ich bin Arzt, Sie müssen sich nicht fürchten. Sind Sie überfallen worden? Soll ich die Polizei verständigen?«

      Das Mädchen sagte kein Wort, seine tiefblauen Augen waren noch immer reglos auf Max Brinkmeier gerichtet. Eine einzelne Träne löste sich und rollte über ihre schmale Wange.

      »Sie können hierbleiben, wenn Sie mir sagen, wie Sie heißen und was passiert ist«, startete er noch einen Versuch, zu ihr vorzudringen. »Aber Sie müssen schon mit mir reden...«

      »Ich...weiß nicht«, murmelte sie mit flacher Stimme. »Ich kann mich an nichts erinnern.«

      »Sagen Sie mir wenigstens Ihren Namen. Vielleicht können wir jemanden verständigen, der...«

      »Ich weiß nicht!« Sie fing an zu weinen. »Ich weiß nichts mehr, nichts!« Sie schlug die Hände vors Gesicht und schluchzte verzweifelt auf. »Ich weiß überhaupt nichts mehr...«

      »Bitte, beruhigen Sie sich.« Max griff nach dem Telefon und rief Christel Brenner an. Er wußte, daß sie eine Nachteule war und am Wochenende gerne lang vor dem Fernseher saß. Und er hatte Glück; die Sprechstundenhilfe meldete sich nach dem zweiten Klingeln. Sie versprach, gleich vorbeizukommen, nachdem er ihr in knappen Worten die Lage geschildert hatte. Max bedankte sich und wandte sich wieder dem Mädchen zu, das noch leise wimmerte. Er strich ihr behutsam übers Haar und versprach: »Es wird alles gut, Sie müssen sich erstmal ausruhen. Keine Angst, Ihnen kann nichts mehr geschehen. Sie sind hier in Sicherheit.«

      Sie sagte nichts, aber sie reagierte doch. Mit einer zaghaften Bewegung griff sie nach der Hand des Landarztes und hielt sie ganz fest. Dabei entspannte sie sich zumindest ein klein wenig.

      *

      Zehn Minuten später war Christel Brenner da. Sie stellte fest, daß sie das Mädchen nicht kannte und auch noch nie gesehen hatte. »Soll sie hierbleiben?« fragte sie den Mediziner.

      »Ja, ich denke, das ist die beste Lösung. Sie ist ganz offensichtlich mißhandelt worden, hat eine Menge alter und neuer Wunden und eine leichte Gehirnerschütterung. Wenn wir wenigstens ihren Namen erfahren könnten, kämen wir vielleicht einen Schritt weiter. Aber so...«

      »Ich


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