Dr. Brinkmeier Staffel 1 – Arztroman. Sissi Merz

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Dr. Brinkmeier Staffel 1 – Arztroman - Sissi Merz


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mich gerne ein bisserl allein mit meinem Sohn unterhalten.«

      »Bitte, wenn ich störe, kann ich ja gehen!« Sie schnappte ihre Plätzchen. »Und auf die könnt ihr gewiß auch verzichten.«

      Max erwischte noch zwei Zimtsterne. Bevor er vermitteln konnte, war die Sprechstundenhilfe gegangen.

      »Wieso bist so abweisend zur Christel, Vater? Sie meint es ja nur gut«, erinnerte er sein Gegenüber langmütig.

      »Ja, ich weiß. Und ich hab’s auch net bös gemeint. Wahrscheinlich bin ich nur müde von der Reise. Ich werde mich am besten ein Stünderl aufs Ohr legen. Weckst mich, wennst deine Hausbesuche machst, gelt?«

      »Das verschieben wir lieber auf ein andermal«, schlug Max vor und wunderte sich ehrlich, als er keinen Widerspruch hörte. Er blickte seinem Vater nachdenklich hinterher und fragte sich, was dieser wohl auf dem Herzen hatte. Daß etwas nicht stimmte, schien ganz offensichtlich.

      *

      Am Samstagabend spielte beim Ochsenwirt die Tanzmusik. Andreas hatte »Eva« dazu eingeladen, und sie hatte gern ja gesagt. In den vergangenen Wochen hatte das Madl sich nicht nur auf dem Bichler-Hof eingelebt, es hatte auch fast jede freie Minute mit dem Großknecht verbracht. Sie spürte, daß sie sich in ihn verliebt hatte, daß ihr Herz anfing, nur noch für ihn zu schlagen. Wenn Andi in ihrer Nähe war, dann fühlte sie sich so froh und unbeschwert. Das war ein Gefühl, das »Eva« nicht gekannt hatte, bevor sie auf den Bichler-Hof gekommen war, dessen war sie ganz sicher. Durch die Freundschaft mit dem treuen Burschen hatte sich ihr ganzes Leben verändert. Die schlimmen Alpträume, die sie immerzu quälten, und die Doktor Brinkmeier als Gucklöcher in die Vergangenheit bezeichnet hatte, waren verschwunden. Nun schlief das schöne Madl tief und fest, und wenn es doch träumte, dann von dem Burschen, der sein Herz gestohlen hatte.

      Es war eine besondere Liebe, noch unschuldig und frei von tiefem Ernst oder der Frage nach der Zukunft. Auch wenn Andi sich heimlich wünschte, die schöne Magd zu der Seinen zu machen. Doch er wußte, daß er daran noch längst nicht denken durfte. Nicht nur, weil »Eva« noch immer nicht wußte, wer sie war und woher sie kam. Sondern und vor allem, weil dieses Mädchen scheu und ängstlich war wie ein verletztes Reh. Andi war sensibel genug, um zu ahnen, daß er viel Geduld und Vorsicht walten lassen mußte, wollte er seinen Schatz einmal rundum glücklich sehen. Und das wollte er. Es gab nichts, was er sich mehr wünschte...

      »Hübsch schaust aus«, lobte Marie Bichler, als das Madl sich im neuen Dirndkleid vor ihr drehte. »Eva« lachte unbeschwert.

      »So ein schönes Kleid hab ich noch nie besessen«, meinte sie leichthin. »Ich bin sicher, ich könnte mich dran erinnern. Vielen Dank, Bäuerin, ich weiß gar net...«

      »Mußt dich nicht bedanken, hast es dir verdient, fleißig wie du bist. Und jetzt amüsier dich gut. Ich wünsche dir einen ganz wunderbaren Abend mit dem Andi!«

      »Danke!« »Eva« wirbelte übermütig aus der Stube, als der Großknecht erschien, um sie abzuholen. Er staunte nicht schlecht beim Anblick des schönen Mädchens, stieß einen schrillen Pfiff aus und meinte überzeugt: »Da werde ich heut ja das schönste Madl von allen ausführen. Mei, die anderen werden fei ganz gelb werden vor Neid. Und das zu Recht!«

      Das Mädchen mußte lachen. »Du pflanzt mich, Andi. Gewiß gibt es hier in Wildenberg eine ganze Menge Madln, die viel hübscher sind als ich.«

      »Kein einziges, auf meine Ehr«, scherzte er und bot ihr den Arm. »Aber jetzt komm, wir wollen keinen Tanz versäumen!«

      Im großen Saal neben der Wirtsstube herrschte bereits eine ausgelassene Stimmung. Sepp Harlinger, der Ochsenwirt, hatte zwei Aushilfen eingestellt, denn an diesem Abend gab es mehr zu tun, als er und seine Bedienungen allein schaffen konnten. Andi traf viele Bekannte und Spezln, er war im Tal geboren und aufgewachsen. Manch einer wunderte sich, daß der ernste Bursch tatsächlich mal zu einem Tanzvergnügen erschien. Noch mehr wunderte man sich allerdings über das schöne Madl an seinem Arm, das er eifersüchtig bewachte wie einen besonderen Schatz.

      »Eva« gab sich zurückhaltend. Sie wich nicht von Andis Seite und fürchtete sich fast ein wenig vor den vielen Menschen, die sie nicht kannte. Aber der Bursch gab ihr Sicherheit, und als sie zusammen einen Walzer tanzten, da fing das Madl an, den Abend richtig zu genießen.

      Sie ließen keinen Tanz aus, bald schwirrte »Eva« der Kopf, und sie erwiderte glücklich und strahlend das Lächeln, das Andi ihr schenkte. Sie konnte sich nicht erinnern, jemals so glücklich gewesen zu sein. Und dem Burschen erging es nicht anders.

      Als die Musik eine Pause einlegte, nahm Andi »Evas« Hand und verließ für eine Weile mit ihr den überfüllten Saal. Draußen war es dunkel und still, die kalte Spätherbstluft machte einem den Kopf schnell wieder frei. Das Madl schmiegte sich an den Burschen, der einen Arm um ihre schmalen Schultern gelegt hatte. Sie spazierten ein Stück die Straße entlang, bis Andi stehen blieb und seine Begleiterin stumm anschaute. In seinen ehrlichen Augen erkannte sie eine große Zärtlichkeit und all die tief empfundene Liebe, die sein Herz erfüllte. Sie lächelte, als er sie in seine starken Arme schloß und ganz festhielt. Und als sie auf den Schlag seines Herzens lauschte, da fühlte sie sich so geborgen und glücklich, wie ein Mensch es nur sein kann.

      Andi schob behutsam eine Hand unter ihr Kinn und schaute ihr tief in die Augen. »Ich hab dich lieb«, gestand er ihr leise. Und dann berührten seine Lippen ihren Mund verhalten, ganz zart nur. »Eva« spürte eine Welle des Glücks, die sie aufzunehmen und weit fortzutragen schien. Zum ersten Mal im Leben empfand sie so tief, so innig. Zum ersten Mal im Leben liebte sie.

      Doch die Seligkeit fand abrupt ein Ende. Ganz plötzlich und für den Burschen ohne jeden Grund machte das Madl sich von ihm los. Es starrte Andi an, war kalkweiß geworden. Er sah die Abscheu in »Evas« Augen, die tiefe Angst. Und es war ihm, als greife eine eisige Hand nach seinem Herzen.

      »Eva, was hast denn...« Er machte einen Schritt auf sie zu, doch sie schrie gequält auf. Ohne Vorwarnung schlug sie ihm ins Gesicht und drohte: »Du wirst mir nimmer weh tun, ich lasse es nicht zu, ich... Lieber sterbe ich!« Sie warf sich auf dem Absatz herum und stürmte davon. Andi war so perplex, daß er nicht sofort reagieren konnte. Er stand da wie vom Donner gerührt, während sich »Evas« schnelle Schritte entfernten. Kaum einen Herzschlag später hörte er das Kreischen von Bremsen, dann einen dumpfen Aufschlag. Es waren die schlimmsten Geräusche, die der Bursch jemals hatte wahrnehmen müssen. Sie bohrten sich wie Dolche in sein Innerstes, und die Erinnerung daran sollte ihn noch lange nicht loslassen, in manch schlechtem Traum wie in vielen noch kommenden durchwachten Nächten. Ihr ist was passiert, ich muß zu ihr! Dieser Gedanke schien Andi endlich aus seiner Erstarrung zu holen. Es war, als habe jemand einen Schalter gedrückt und damit alle Stromkreise in seinem Körper wieder geschlossen. Der Großknecht vom Bichler-Hof spurtete los. Er raste in die Richtung, aus der aufgeregte Stimmen zu ihm vordrangen. Er sah das Auto, das mitten auf der Straße stand. Ein Bursch mit kreidebleichem Gesicht lehnte daneben, während ein Mädchen mit dem Handy telefonierte. Immer mehr Menschen strömten herbei. Und dann sah Andi »Eva«.

      Sie lag auf dem kalten Asphalt der Straße, wie leblos. Ihr Anblick raubte ihm fast den Verstand. Er taumelte auf sie zu, ging neben ihr in die Knie. Ihr Gesicht war aschfahl, die Lippen verfärbten sich bläulich. Das blonde Haar lag wie ein Schleier um ihren Kopf. Er nahm ihre Rechte und hielt sie fest, ohne es zu merken. Tränen liefen dem Burschen übers Gesicht, während er immer wieder ihren Namen nannte. Doch sie reagierte nicht.

      Als sich eine Hand auf Andis Schulter legte, blickte er verwirrt auf. Dr. Max Brinkmeier stellte seinen Arztkoffer ab und bat: »Laß mich sie untersuchen, Andi. Der Krankenwagen ist schon unterwegs. Was ist passiert?«

      »Ich weiß es nicht«, würgte er hilflos hervor. »Es war ein so schöner Abend, und dann ist sie plötzlich weggelaufen. Mein Gott, Doktor, ich glaub, sie hat sich erinnert. Aber ich hab es nicht schnell genug begriffen. Ich hätte sie festhalten müssen, ich...« Er verstummte, ließ den Kopf hängen. Plötzlich überkam ihn eine große Sinnlosigkeit, er konnte nichts mehr denken, nichts mehr fühlen. Max Brinkmeier stellte rasch fest, daß der Bursch einen Schock erlitten hatte. Nachdem er das verletzte Mädchen erstversorgt


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