Dr. Brinkmeier Staffel 1 – Arztroman. Sissi Merz

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Dr. Brinkmeier Staffel 1 – Arztroman - Sissi Merz


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neben das Bett und zog das weinende Mädchen in seine starken Arme. Ganz langsam beruhigte sie sich. Und als ihre Tränen versiegt waren, schaute sie von Max Brinkmeier zu ihrem Liebsten und sagte leise: »Ich heiß net Eva, mein Name ist Christa Burger. Ich hab auf einem Weiler gelebt, der recht abseits liegt. Meine Mutter ist früh gestorben, wir waren drei Kinder daheim. Der Vater hat die beiden Kleinen weggegeben, ich mußte bei ihm bleiben und den Haushalt führen.« Sie schneuzte sich und fuhr zögernd fort: »Es war kein schönes Leben auf dem alten Hof. Der Vater hat das Trinken angefangen und alles verkommen lassen. Ich hab mich bemüht, wenigstens im Haus Ordnung zu halten, aber ganz allein konnte ich das nicht. Als ich vierzehn war, hat der Vater mich von der Schule genommen. Da hat mein Martyrium erst richtig angefangen.« Sie griff nach Andis Hand und hielt sie so fest, daß es den Burschen schmerzte. Die folgenden Worte brachte sie nur schwer über die Lippen. »Der Vater war ein hoffnungsloser Trinker. Er hat sich treiben lassen, hat net einmal versucht, sein Leben wieder in den Griff zu kriegen. Wenn er rauschig war, dann hat er mich geschlagen und randaliert. Und in der Nacht, da ist er zu mir gekommen...« Sie biß sich auf die Lippen. »Ich hab oft daran gedacht, mir das Leben zu nehmen. Alles war so schrecklich, so abstoßend und hoffnungslos.«

      »Mein Gott, Christa, was hast du erdulden müssen!« Andi hielt sie ganz fest und mußte selbst an Tränen schlucken. Zugleich überkam ihn eine unbändige Wut.

      »War da niemand, an den du dich hättest wenden können?« fragte Dr. Brinkmeier. Auch ihm ging das, was er da gerade erfahren hatte, an die Nieren.

      »Die Nachbarn haben weggeschaut. Und ich hab auch net gewagt, mit jemandem zu reden. Der Vater hat gedroht, mich umzubringen, wenn ich nicht schweige. In der Nacht, als ich fortgelaufen bin, da war es besonders schlimm. Er hat getobt und mich geschlagen, hat mich die Kellertreppe runter geworfen. Ich wollte mich in meiner Kammer einschließen, da ist er mit dem Messer auf mich los. Ich hab die Mordlust in seinen Augen gesehen und wußte, wenn ich jetzt net weglaufe, ist es aus mit mir. Ich bin einfach auf und davon. Eine ganze Weile bin ich durch den Wald geirrt, dann war ich plötzlich in Wildenberg.« Sie lächelte verloren. »Das war ein glücklicher Zufall, daß ich das Doktorhaus gefunden hab. Den Rest der Geschichte kennen Sie, Herr Doktor.«

      Max nickte und musterte Christa aufmerksam. Sie schien schon sehr viel ruhiger geworden zu sein. Der Schock der Erinnerung war weniger gravierend als er befürchtet hatte. Und sie schmiegte sich an den Burschen, der bei ihr saß und sie im Arm hielt. Dr. Brinkmeier fühlte sich plötzlich überflüssig.

      »Ich werde mit dem Kollegen hier reden. Wenn du die Gehirnerschütterung überstanden hast, wirst das Spital gewiß verlassen können, Christa. Aber was die Vergangenheit angeht, die kannst nicht so einfach zu den Akten legen.«

      Sie schaute ihn unsicher an. »Muß ich mich deshalb behandeln lassen? Ich habe Angst davor, alles noch mal zu erzählen.«

      »Eine Therapie solltest auf jeden Fall machen. Was dir widerfahren ist, hat Spuren auf deiner Seele hinterlassen. Jetzt bist vielleicht erleichtert und denkst, es wird alles gut. Aber die Erinnerungen werden dich nicht so einfach loslassen. Du mußt sie verarbeiten, bevor du sie endlich vergessen kannst.«

      »Wir stehen das zusammen durch«, versprach Andi ihr.

      »Und du solltest auch dafür sorgen, daß dein Vater nicht ungeschoren davonkommt«, mahnte der junge Arzt. »Was da abgelaufen ist, das war ein schweres Verbrechen.«

      »Ihn anzeigen?« Christa wurde noch eine Spur blasser. »Ich weiß nicht, ob ich das kann. Ich fürchte mich zu sehr.«

      »Wenn es dir bessergeht, solltest heimfahren und dich der Vergangenheit stellen.« Max bemerkte, daß Andi ihm widersprechen wollte, und fügte hinzu: »Freilich net allein, das versteht sich von selbst. Der Andi wird dich begleiten. Und wennst es willst, komme ich auch mit.«

      Das junge Mädchen wirkte unschlüssig, Dr. Brinkmeier erhob sich und schlug vor: »Denk erstmal in aller Ruhe nach. Du hast heute einen riesigen Schritt in die richtige Richtung gemacht. Man kann nicht alles auf einmal haben. Aber du darfst auch nicht wieder vergessen, was hinter dir liegt, Christa.«

      »Das werde ich bestimmt nicht«, versicherte sie mit dünner Stimme. »Es war die Hölle. Und die vergißt man nimmer.«

      *

      Noch gut eine Woche mußte Christa Burger im Spital in Berchtesgaden bleiben. Andi besuchte sie jeden Tag, saß lange an ihrem Bett und hörte zu, wenn sie von früher sprach. Er hatte das seltsame Gefühl, das Madl, das er liebte, ein zweites Mal kennenzulernen. Christa redete von ihrer Kindheit, sie hatte durchaus auch schöne Erinnerungen an eine Zeit, die aber viel zu früh mit dem Tod der Mutter geendet hatte.

      Max Brinkmeier setzte sich derweil mit Anderl Stumpf in Verbindung und schilderte ihm den Fall. Der Dorfgendarm zog Erkundigungen ein, nahm ein erstes Protokoll auf und fuhr schließlich zu dem kleinen Weiler, um sich selbst ein Bild zu machen.

      Es war ein kalter und windiger Dezembertag, Schnee lag in der Luft. Max mußte einige Hausbesuche machen und wollte sich am Nachmittag mal wieder mit Anna Stadler treffen. Als die Hauserin Afra in der Küche gerade Kaffee kochte und den frischen Strudel aufschnitt, kehrte Josef von einem Besuch bei Lukas zurück. Er traf Max noch in seinem Sprechzimmer an und erzählte: »Dein Bruder ist bärbeißiger denn je. Ich hab versucht, mal in aller Ruhe mit ihm zu reden, aber er hat mich abgespeist und gemeint, wir zwei wären doch ein Herz und eine Seele. Da sei er ganz überflüssig. Mei, Max, was soll man denn da nur machen?«

      Der junge Landarzt seufzte leise. »Da bin ich, ehrlich gesagt, überfragt. Ich hab schon ein paarmal vergeblich versucht, zu ihm vorzudringen. Vielleicht wäre es das Beste, wir lassen ihn mal eine Weile in Ruh. Mit Gewalt werden wir beim Lukas gar nichts erreichen, da schaltet er nur auf stur.«

      Sein Vater konnte ihm nicht widersprechen. Als am Klingelstrang gezogen wurde, erhob Max sich und meinte erfreut: »Das wird die Anna sein, ich hab sie zum Kaffee eingeladen. Magst uns net Gesellschaft leisten, Vater?«

      Josef zögerte. »Wenn ich nicht störe...«

      »Ich bitt dich, die Anna und ich, wir sind ja nur gute Freunde, nix weiter.« Er ging zur Haustür und öffnete. Doch statt der erwarteten Apothekerin stand Anderl Stumpf vor ihm. Der Dorfgendarm war trotz der Kälte draußen recht blaß um die Nase. »Grüß dich, Doktor, hast einen Moment Zeit?«

      »Gewiß. Komm nur rein, Anderl. Magst vielleicht ein Haferl Kaffee zum Aufwärmen?«

      Der Polizist folgte ihm ins Haus, begrüßte Josef und bat: »Ein Stamperl Enzian wäre mir lieber, wenn es net zu viele Umstände macht. Ich bring keine erfreulichen Nachrichten.«

      Max tauschte einen fragenden Blick mit seinem Vater, dann folgte er Josef nach oben, wo dieser dem Gast gleich das Gewünschte brachte. Anderl leerte das Stamperl auf ex, lockerte seine Uniformjacke und berichtete: »Der Burger-Hof liegt wirklich sehr abseits. Man kann ihn von der Straße aus net einsehen und auch nicht von dem Nachbarhaus. Als ich ankam, da stand die Haustür offen, es war eisig kalt drinnen. Alles war total verwahrlost und wirkte verlassen. Ich dachte mir, der Bauer wird fortgegangen sein, nachdem die Sach’ mit seiner Tochter aufgeflogen ist. Es steht auch kein Vieh mehr im Stall. Aber zur Sicherheit hab ich in alle Stuben geschaut. Und da hab ich den Burger gefunden. Er liegt am Fuß der Kellertreppe. Hat sich wohl im rauschigen Zustand den Hals gebrochen. Wie es ausschaut, liegt er schon ein paar Tage so da. Ich hab die Kripo in Berchtesgaden informiert. Die werden jetzt feststellen, was da passiert ist. Aber es schaut mir nach einem Unfall aus.«

      »Die Kellertreppe sagst?« Max mußte an das denken, was Christa ihm erzählt hatte, und es erschien ihm wie eine Ironie des Schicksals, daß der Peiniger des armen Mädchens ausgerechnet auf diese Weise ums Leben gekommen war.

      »Willst es der Christa sagen, Max? Oder soll ich das übernehmen?« fragte der Gendarm. Man merkte ihm an, daß er diese Aufgabe lieber auf einen anderen abgewälzt hätte.

      »Ich rede mit dem Madl«, entschied der junge Landarzt, woraufhin Anderl hörbar aufatmete. »Am besten gleich.«

      Wenig später verließ Max Brinkmeier zusammen mit dem Dorfpolizisten das Doktorhaus. An Anna


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