Dr. Brinkmeier Staffel 2 – Arztroman. Sissi Merz

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Dr. Brinkmeier Staffel 2 – Arztroman - Sissi Merz


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über einem Stapel Krankenberichte, die auf den aktuellem Stand gebracht werden mußten, als ihr Kollege Kennedy sich zu ihr gesellte.

      »Ich würde gerne über die Herz-OP reden«, erklärte er schlicht. »Die Station funktioniert wieder; es spricht nichts dagegen, den kleinen Tom jetzt zu operieren.«

      »Das hat wenig mit der Station zu tun«, korrigierte die hübsche Ärztin ihn mit Nachdruck. »Ich bin nach wie vor dagegen. Sie können hier keinen solchen Eingriff durchführen, Tom. Dafür fehlen uns die Voraussetzungen.«

      »Wir haben einen OP, ich habe Erfahrung mit solchen Eingriffen. Und wir können den Katheter benutzen, mit dem wir sonst auch untersuchen.«

      »Aber Ihnen fehlt die Minikamera, von einem Bildschirm ganz zu schweigen!« Julia schüttelte leicht den Kopf. »Nicht mal Sie würden eine OP am geschlossenen Herzen ohne Kamera vornehmen.«

      »Sie halten mich wohl für dumm und exzentrisch.«

      »Das habe ich nicht gesagt. Aber was diesen Eingriff angeht, da sind wir eben verschiedener Meinung. Und Sie werden mich auch nicht umstimmen.«

      »Sie wollen meinen kleinen Namensvetter also sterben lassen. Spricht das nicht gegen das ärztliche Ethos?«

      »Wir behandeln das Kind, so gut wir können. Eine OP ist ausgeschlossen. Die könnte höchstens in einer modernen Klinik in der Stadt durchgeführt werden. Und das werde ich Buhla auch sagen, wenn Sie wieder versuchen sollten, Ihren Willen durchzusetzen.«

      »Sie haben einen ziemlichen Dickschädel. Wer soll denn die OP in der Stadt bezahlen? Sie vielleicht?« Er seufzte leise. »Ach, Julia, wieso vertrauen Sie mir nicht mal für einen Penny? Denken Sie denn wirklich, ich wollte das Kind umbringen, statt ihm zu helfen? Halten Sie mich für so borniert?«

      »Ich habe nie...« Sie verstummte, denn er packte sie am Arm und forderte: »Kommen Sie mal mit!«

      »He, was soll denn das? Ich habe hier zu arbeiten und keine Zeit für Ihre seltsamen Spielchen«, beschwerte sie sich, doch er hörte ihr gar nicht zu.

      Tom Kennedy schleppte seine Kollegin in den kleinen Operationssaal, den er seit seiner Ankunft auf Holy Spirit mit allerlei technischen Geräten aufpoliert hatte. Er deutete auf einen Monitor, der an der Wand gegenüber des OP-Tischs hing, nahm einen schmalen Schlauch und fragte: »Wollen Sie den Katheter, oder möchten Sie sich lieber meine Blutgefäße ansehen, Frau Kollegin?«

      Sie starrte ihn verständnislos an. »Wo kommt dieser Monitor her? Den habe ich im Leben noch nicht gesehen!«

      »Kunststück. Der ist gestern angekommen, und ich habe ihn gerade eben montiert. Ich habe Ihnen doch gesagt, daß ich mir von Zeit zu Zeit etwas aus meiner altern Klinik in Glasgow schicken lasse. Ich habe eben immer noch einen guten Draht dorthin. Also, was ist? Assistieren Sie mir unter diesen Umständen? Oder haben Sie noch etwas einzuwenden?«

      Julia schüttelte den Kopf. »Sie sind unmöglich, Tom Kennedy. Das hätten Sie mir doch gleich sagen können, statt sich auf eine so fruchtlose Diskussion einzulassen. Ich verstehe Sie nicht!«

      »Mag sein, aber da sind Sie bestimmt nicht die einzige.« Er setzte sich rittlings auf den OP-Tisch und grinste wie ein Kind, das einen guten Streich erfolgreich durchgeführt hatte. »Wissen Sie, Julia, Sie sind eine exzellente Ärztin und ein Mensch mit Herz und Verstand. Aber Sie haben auch eine so schrecklich penetrant sture Seite, die mich immer wieder reizt, Ihnen eine kleine Lektion zu erteilen. Schlimm?«

      »Ziemlich. Das hat noch niemand zu mir gesagt«, beschwerte sie sich. »Ich wünschte, ich könnte Ihnen böse sein. Aber Sie haben Ihr Ziel erreicht; wir operieren den kleinen Tom.«

      »Wunderbar!« Dr. Kennedy lächelte ihr jungenhaft zu. »Und wenn ich Ihnen in Zukunft einen Vorschlag mache, werden Sie nicht gleich wieder ablehnen? Dann hätte meine kleine Finte nämlich ihren Zweck erfüllt.«

      »Also schön, ich will mir Mühe geben«, versprach Julia.

      *

      Josef Dirlinger überflog ungnädig den Brief, den seine Sekretärin ihm gerade gebracht hatte. »Schicken Sie mir Farber her, sofort!« grollte er dann. Der Filialleiter war es nun endgültig leid. Was sein schwieriger Mitarbeiter sich da wieder geleistet hatte, das ging eindeutig zu weit. Und Dirlinger war entschlossen, endgültig die Konsequenzen zu ziehen.

      Christian Farber gab sich ahnungslos, als sein Chef ihn fragte, ob er sich denn wenigstens einer Schuld bewußt sei. »Ich habe mir nichts zuschulden kommen lassen«, behauptete er gelassen. »Wenn sich jemand über mich beschwert, dann ist das aus der Luft gegriffen und reine Schikane. Und ich finde es sehr unfair, daß sie sich dafür einspannen lassen.«

      Josef Dirlinger platzte da der Kragen. »Niemand hat sich über Sie beschwert, Farber, auch wenn es dazu wohl täglich genügend Anlaß gibt«, schimpfte er. »Sie haben sich in den letzten Monaten einfach unmöglich benommen. Ganz zu schweigen von der Tatsache, daß Sie niemals Ihr Arbeitspensum schaffen, unhöflich sind, anmaßend Kunden und Kollegen gegenüber. All das würde bereits für eine fristlose Kündigung ausreichen. Leider war ich aber viel zu nachsichtig mit Ihnen und habe immer geglaubt, Sie würden sich wieder fangen.«

      »Ich habe mir alle Mühe gegeben...«

      »Schweigen Sie, jetzt rede ich!« Der Filialleiter legte ein Schreiben vor Christian auf den Tisch und forderte diesen auf, es zu lesen. Der junge Mann wurde blaß.

      »Wie Sie der Aufstellung aus der Revision entnehmen, gehen einige erhebliche Fehlbeträge zu Ihren Lasten. Ich möchte nun gerne wissen, was Sie dazu zu sagen haben.«

      »Ich..., ich...« Christian rang nach Luft. »Das Geld wollte ich zurückgeben, sobald...«

      »Sie haben es also unterschlagen. Ich habe zuerst an eine Fehlbuchung gedacht, weil ich hoffte, daß es selbst bei Ihnen Grenzen gäbe. Leider habe ich mich schon wieder geirrt. Aber diesmal gibt es kein Pardon. Ich kündige Ihnen fristlos. Sie räumen sofort unter Aufsicht Ihren Schreibtisch. Ich untersage Ihnen, Ihren Computer noch einmal zu benutzen, weil ich sonst befürchten muß, daß Sie Beweismaterial vernichten. Und ich weise Sie darauf hin, daß unser Bankhaus Anzeige gegen Sie erstatten wird. Es tut mir leid, Herr Farber, aber Sie zwingen mich durch Ihre uneinsichtige Verhaltensweise zu diesen Maßnahmen.«

      Der junge Mann hatte seinem Chef schweigend zugehört. Seine Miene war bleich, fast ausdruckslos. Nur seine Augen funkelten in einem seltsamen Feuer. Als Josef Dirlinger sich vergewisserte, ob Christian Farber alles verstanden habe, nickte dieser. Seine Stimme klang ruhig und beherrscht.

      »Ich gehe. Sie hören von meinem Anwalt. Ich bin unschuldig und werde es mir nicht gefallen lassen, wie Sie mich behandeln.«

      Der Filialleiter atmete auf, als Christian sein Büro verlassen hatte. Das seltsame Verhalten seines Mitarbeiters war ihm schon länger ein Dorn im Auge gewesen. Nun empfand er große Erleichterung, diesen Störfaktor endlich entfernt zu haben...

      Christian hatte das Gefühl, einem Spießrutenlauf ausgesetzt zu sein. Er meinte, überall nur in hämische Gesichter zu blicken und pöbelte jeden, der in seine Nähe kam, hemmungslos an. Der Kollege, der ihn zu seinem Schreibtisch begleitete, meinte begütigend: »Nehmen Sie es nicht so schwer, Herr Farber. Sie finden bestimmt wieder eine Stelle...«

      Der Angesprochene schwieg mit verkniffener Miene. Er warf seine persönlichen Sachen in einen Karton und versetzte seinem Computer im Gehen noch einen Tritt. Im Brustton der Überzeugung rief er: »Das werdet ihr alle noch mal sehr bereuen!«

      Als der junge Mann die Bank verlassen hatte, atmeten seine Kollegen auf. Doch keiner ahnte, daß für Christian Farbers Familie das Drama nun erst richtig begann...

      Eine ganze Weile fuhr Christian ohne Ziel durch die Stadt. In seinem Kopf wirbelten die Gedanken, er war nicht in der Lage, einen festzuhalten und zu Ende zu denken. Nur ein Gefühl beherrschte ihn: Wut. Er wollte es allen zeigen, er wollte sich rächen, es seinem Chef und seinen Kollegen heimzahlen. Daß er selbst an seiner Lage schuld war, daran dachte er keine Sekunde. Für Christian waren immer nur die anderen die Schuldigen. Das war schon früher so gewesen, schon


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