Dr. Brinkmeier Staffel 2 – Arztroman. Sissi Merz

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Dr. Brinkmeier Staffel 2 – Arztroman - Sissi Merz


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die junge Ärztin sie deshalb. »Ist etwas passiert?«

      »Noch nicht.« Mary seufzte leise. »Doktor Kennedy will Buhlas Kind also doch operieren. Und Sie sind jetzt dafür. Warum?«

      »Weil es die einzige Möglichkeit ist, den Kleinen zu heilen.«

      »Aber Sie sagten doch, das geht nur in einer modernen Klinik. Und daß wir für so einen Eingriff gar nicht ausgerüstet sind.«

      »Stimmt, und so war es auch. Aber Tom hat sich die entsprechenden Geräte aus Schottland schicken lassen.« Sie lächelte schmal. »Und nun geht es eben doch.«

      »Ich weiß nicht, was ich davon halten soll. Doktor Kennedy ist ein guter Arzt, aber so eine OP, die ist doch schwierig.«

      »Hast du schon mal bei einem Eingriff am geschlossenen Herzen assistiert?« fragte Julia die Schwester, die verneinte. »Bei der Mikrochirurgie braucht man eine Menge Fingerspitzengefühl. Aber sie ist für den Patienten weitaus weniger belastend als die herkömmliche Methode. Tom wird einen Katheter ins Herz schieben und dann auf dem Monitor verfolgen, was er tut. Wenn man Erfahrung mit dieser Technik hat, ist sie ein wahrer Segen für Kranke, deren Zustand nicht stabilisiert werden kann.«

      »Das klingt einleuchtend. Aber ich habe trotzdem so meine Zweifel. Buhla macht sich große Sorgen um ihr Kind. Sie will es nicht zugeben, doch sie hat wirkliche Angst.«

      »Das braucht sie nicht. Ich werde vor dem Eingriff noch mal mit ihr reden. Sie soll wissen, was auf ihr Kind zukommt.«

      »Sie trauen Doktor Kennedy diesen Eingriff zu?«

      Julia nickte spontan. Damit gab die farbige Nonne sich dann zufrieden. Bevor Dr. Bruckner am nächsten Tag in den OP ging, schaute sie noch kurz in der frisch renovierten Küche der Missionsstation vorbei. Buhla war damit beschäftigt, das Mittagessen zu kochen. Sie lächelte der jungen Ärztin zu und fragte ein wenig nervös: »Ist es soweit? Wird Tom jetzt operiert?«

      »Ja, ich wollte dir nur Bescheid sagen. Du mußt dir keine Sorgen machen, Buhla. Doktor Kennedy wird deinem Baby helfen, wieder ganz gesund zu werden. Das verspreche ich dir.«

      »Ich weiß, Sie meinen es gut. Und ich traue Ihnen auch eine Menge zu. Aber Sie können einer Mutter nicht verbieten, sich Sorgen um ihr Kind zu machen. Und ich mache mir Sorgen, sogar große. Wissen Sie, als ich mit Tom allein war, wir nichts zu essen hatten, das war schlimm. Aber ich konnte wenigstens versuchen, etwas dagegen zu tun, ich hatte eine gewisse Macht über das Schicksal meines Kindes. Jetzt bin ich machtlos. Ich muß alles anderen Menschen überlassen. Und das macht mir sehr zu schaffen. Verstehen Sie?«

      »Gut sogar. Ich habe zwar keine eigenen Kinder, aber ich kann deine Gefühle nachvollziehen.«

      »Sagen Sie mir gleich Bescheid, wenn es vorbei ist? Ich meine, egal wie es ausgeht. Die Ungewißheit ist schlimm.«

      »Ich komme nach der Operation her und erzähle dir alles«, versprach Dr. Bruckner freundlich. Als sie dann wenig später den OP betrat, warf Tom Kennedy ihr einen strengen Blick zu und mahnte: »Sie sind spät dran, Frau Kollegin. Ist es Ihnen denn nun gelungen, alle von meinen Fähigkeiten zu überzeugen?«

      Julia verzichtete auf eine Erwiderung. Sie bat Mary, den Monitor anzuschalten und reichte ihrem Kollegen dann die Sonde. Der Schotte arbeitete schweigend. Julia konnte nun erleben, daß er tatsächlich Routine bei dieser Art von Operation entwickelt hatte. Er arbeitete zügig, ohne je hastig zu sein und zeigte dabei ein Fingerspitzengefühl, das die junge Ärztin faszinierte.

      Nachdem Dr. Kennedy den Katheter über ein Blutgefäß in der Armbeuge des Säuglings ins Herz geschoben hatte, warf er einen Blick auf den Monitor. Es dauerte nicht lange, bis das Innere des Herzens sichtbar wurde.

      »Die Pulmonalklappe ist verklebt, dachte ich mir«, murmelte er. »Ich werde sie öffnen.«

      Schwester Mary starrte auf den Monitor. Sie konnte kaum glauben, was da vor sich ging. Nachdem der Operateur die verklebten Ränder der Herzklappe geöffnet hatte, konnte das Blut wieder ungehindert strömen. Sofort verbesserte sich der Zustand des kleinen Patienten. Der gesamte Eingriff hatte nicht viel länger als eine Stunde gedauert. Der Schotte entfernte den Katheter und bat Schwester Mary dann, das Kind in einen Brutkasten zu legen.

      »Kümmern Sie sich in den nächsten Tagen darum, daß der Kleine genügend Nahrung zu sich nimmt. Ich vermute, er wird jetzt schneller wachsen als vorher und braucht entsprechend eine erhöhte Zufuhr an Vitaminen und Vitalstoffen.«

      Die Krankenschwester versprach es, Tom Kennedy verließ den OP und ging hinüber in den Waschraum. Als Julia sich zu ihm gesellte, bedachte er sie mit einem fragenden Blick.

      »Stimmt was nicht? Sie waren die ganze Zeit so still. Ich nehme an, das war nicht der erste mikrochirurgische Eingriff, den Sie gesehen haben.«

      »Nein, das nicht. Aber ich habe niemals zuvor erlebt, daß jemand so geschickt vorgeht. Sie sind ein begnadeter Chirurg, Tom, ist Ihnen das eigentlich klar? Ihre Klinik in Glasgow hat viel an Ihnen verloren.«

      Er deutete eine Verbeugung an und lächelte ironisch. »Jeder ist zu ersetzen. Und ich bilde mit ein, daß ich auch hier etwas leisten kann.«

      »Das steht außer Frage. Ich verstehe nur nicht, wieso Sie Ihre eigentliche Passion so unter den Scheffel stellen. Sie könnten Chefarzt sein, mit diesen Fähigkeiten...«

      »Ja, ich weiß. Der Posten ist mir schon mal angeboten worden. Aber ich hatte kein Interesse mehr. Mein Beruf war mir ebenso egal wie alles andere in meinem Leben, verstehen Sie?«

      »Es war also damals, nach dem Unfall?«

      Der rothaarige Hüne senkte den Blick. Er atmete schwer, als er gestand: »Nachdem ich meine Frau und meine Tochter verloren hatte, erschien mir das Leben sinnlos. Zumal es meine Schuld gewesen ist. Ich habe noch mehr gesoffen als vorher, um zu vergessen. Leider hat es mir wenig geholfen. Ich war nahe dran, mein Leben endgültig in den Sand zu setzen. Dann kam dieses Angebot, in die Entwicklungshilfe zu gehen.« Er lächelte schmal. »Ich dachte mir, woanders kannst du vielleicht vergessen und neu anfangen. Das erschien mir wichtiger als alles andere.«

      »Sie denken immer noch, daß der Unfall Ihre Schuld war? Ich finde, das ist Unsinn. Selbst wenn Sie nicht nüchtern waren, als es passiert ist. An einem Unfall trägt niemand die Schuld. Er passiert einfach. Und es wäre ebensogut möglich gewesen, daß es Sie getroffen hätte.«

      »Leider hat es aber Shelly und Molly erwischt. Denken Sie, ich habe mir das nicht schon hundertmal gesagt? Aber es ist nicht so leicht, Schuld abzuschütteln wie Regen von einer Jacke. Das funktioniert nicht.«

      »Vielleicht wollten Sie sich auch selbst bestrafen.«

      Tom Kennedy warf Julia einen schwer zu deutenden Blick zu. »Tun wir das nicht alle? Sie haben Ihre Liebe dieser Station geopfert. Ist es das wert? Glauben Sie das wirklich?«

      »Ich denke nicht, daß ich darüber reden will.« Sie wandte sich zum Gehen, da hielt er sie am Arm fest und schaute ihr in die Augen. »Vielleicht machen Sie sich mal Gedanken darüber. Man muß im Leben Prioritäten setzen. Und es gibt für alles einen Zeitpunkt. Irgendwann haben Sie ihn verpaßt. Glauben Sie mir, Julia, ich spreche aus Erfahrung: Man kann nichts zurückholen.«

      Sie erwiderte seinen Blick unsicher, dann murmelte sie: »Ich muß Buhla Bescheid sagen, daß es dem Baby gutgeht. Ich habe es ihr versprochen.« Als er sie losließ, bemerkte sie Enttäuschung in seinen Augen. »Wissen Sie, Tom, so einfach ist es nun auch wieder nicht. Manchmal schafft man es einfach nicht, alle Dinge, die einem wichtig sind, unter einen Hut zu bringen. Sich wirklich für etwas zu engagieren, das bedeutet eben auch, auf anderes zu verzichten.«

      »Ich weiß, was Sie meinen. Aber es gibt auch Opfer, die sind zu groß. Und das Heimtückische daran ist, daß man es meist erst merkt, wenn es bereits zu spät ist.«

      *

      Anderl Stumpf und seine Kollegen hatten in der Zwischenzeit weitere Verstärkung angefordert. Sogar mehrere Scharfschützen warteten darauf, in Position zu gehen. Ein Kommissar aus der Stadt koordinierte das ganze Unternehmen. Max Brinkmeier


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