Dr. Brinkmeier Staffel 2 – Arztroman. Sissi Merz

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Dr. Brinkmeier Staffel 2 – Arztroman - Sissi Merz


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ausgedrückt, ja. Wenn man präziser sein will, muß man sagen, der Patient leidet unter periodisch auftretenden Schüben von Paranoia, verbunden mit manisch depressiver Verstimmung. Das Problem in diesem Fall liegt in der langen Verschleppung der Symptome. Herr Farber hatte wohl schon als Kind und Jugendlicher unter ähnlichen Wahrnehmungsstörungen zu leiden. Ich nehme an, er ist nicht behandelt worden, so daß sich seine Probleme stetig vergrößern konnten. Im Laufe der Zeit kamen Fehlverhalten hinzu, wie beispielsweise Spielsucht. All das steigerte sich bis zu dem Tag, als er völlig die Kontrolle über sein Handeln verlor.«

      »Ich verstehe. Und wie sieht Ihre Empfehlung aus, Herr Kollege? Welche Prognose geben Sie?«

      »Nun, der Patient ist in stationärer Behandlung zu belassen. Etwas anderes kann ich nicht verantworten. Wie lange, das bleibt ungewiß. Wenn Sie mich fragen, wird sich an seinem Zustand nichts Wesentliches mehr ändern. Fehlverhalten und falsche Wahrnehmung der Wirklichkeit haben sich bei ihm dermaßen fest eingeprägt, daß wir hier mit Therapien wenig erreichen können.«

      »Und wenn er weiterhin Medikamente nimmt? Können die ihm denn nicht helfen?« fragte Benjamin zutiefst bekümmert.

      »Psychopharmaka haben keine heilende Wirkung. Sie können ruhig stellen, aber auf Dauer ist das keine Lösung. Ihr Bruder ist momentan einfach nicht in der Lage, ›draußen‹ ein normales Leben zu führen. Ob und wann sich daran etwas ändern wird, kann ich Ihnen leider nicht sagen, Herr Farber.«

      Der Bauer hatte sich eine andere Antwort erhofft, das sah Max ihm deutlich an. Als sie Dr. Brock zu Christians Zimmer folgten, riet der Landarzt Benjamin: »Nimm es nicht so schwer. Man darf einfach die Hoffnung nicht aufgeben. Wenn dein Bruder es wirklich will, kann er gewiß wieder gesund werden.«

      »Ich wollte, ich könnte auch so optimistisch sein«, murmelte der junge Mann bedrückt.

      Dr. Brock riet den Besuchern noch, nicht zu lange zu bleiben, dann verabschiedete er sich freundlich. Benjamin betrat als erster das Krankenzimmer. Sein Bruder stand hinter dem Fenster, das vergittert war, und schaute nach draußen. Der Raum war einfach aber freundlich eingerichtet. Und der Blick ging ins Grüne. Durch das gekippte Fenster hörte man Vogelgezwitscher.

      »Hallo, Christian. Wie geht’s?« Der junge Mann kam nur zögernd näher. Und als sein Bruder sich ihm zuwandte, blieb er abrupt stehen. Christian hatte sich verändert, er wirkte fast wie ein Fremder. Sein Blick schien ins Leere zu gehen, er war sehr blaß und reagierte zunächst kaum auf die beiden Besucher.

      Erst nach einer Weile murmelte er: »Ach, du bist das. Ich hätte net gedacht, daß mich einer besuchen kommt. Und der Doktor Brinkmeier. Was wollen denn Sie da?«

      »Sehen, wie es Ihnen geht. Der Doktor sagt, Sie haben sich schon ein wenig erholt.«

      »Ja, wenn der das sagt...« Christian blickte ausdruckslos vor sich hin. Er schwieg wieder, wirkte geistig abwesend.

      Benjamin tauschte einen unsicheren Blick mit dem Landarzt, der vorschlug: »Vielleicht sollte ich euch allein lassen. Ich will net stören.«

      »Bleiben Sie nur da«, bat der Kranke. »Ich würde gerne wissen, wie es meiner Frau geht. Und den Kindern. Gewiß werde ich sie nimmer wiedersehen. Aber ich möchte doch...«

      »Die Monika läßt dich grüßen. Sie konnte noch net selbst kommen, weil sie noch nicht ganz auf dem Posten ist. Aber es geht ihr und den Kindern leidlich. Und du sollst net denken, daß sie dich vergessen hätten.«

      »Das wäre aber besser für sie.« Christian senkte den Blick. »Ich weiß, was ich ihnen angetan hab, das läßt sich net wiedergutmachen. Und ich hab mich auch damit abgefunden, daß ich hier werde bleiben müssen. Vielleicht für den Rest meines Lebens. Das ist bitter, aber die rechte Strafe, net wahr?«

      »So ein Schmarrn«, entfuhr es seinem Bruder. »Du mußt dich nur am Riemen reißen, Christian. Wenns’t es wirklich willst, dann kannst auch wieder gesund werden.«

      »Ich wünschte, es wär so. Aber die Wirklichkeit sieht anders aus.« Er legte seinem Bruder eine Hand auf den Arm und schaute ihn ruhig an. »Kümmere dich um die Moni und die Kinder. Ich weiß, bei dir sind sie besser aufgehoben als bei mir. Da muß ich mir keine Sorgen machen.«

      Benjamin wußte nicht, was er sagen sollte, er hatte einen dicken Kloß im Hals. Deshalb nickte er nur stumm. Und wenig später verabschiedeten die beiden Besucher sich wieder. Der Bauer wollte seinem Bruder versprechen, daß er ihn bald wieder besuchen kam. Aber davon wollte dieser nichts wissen.

      »Vergiß mich, das wäre mir am liebsten. Dann muß ich auch nimmer ständig an euch denken und an das, was ich euch allen Schlimmes angetan habe...«

      *

      Dr. Max Brinkmeier machte an diesem Tag noch einige Hausbesuche. Er fuhr auch im Kinderheim vorbei, um nach Melanie Krause zu sehen. Und diesmal hatte er Anna Stadler gebeten, ihn zu begleiten. Auf der Fahrt nach Sr. Bartholomä sprachen sie über Christian Farber, dessen Schicksal sie beide nicht unberührt ließ.

      »Der Mann ist wirklich am Ende«, sinnierte der Landarzt mitleidig. »Er ist das, was man einen Fall für die Psychiatrie nennt. Und er ist sich seiner Verfehlungen sehr bewußt.«

      »Gibt es denn keine Aussicht auf Heilung?« wollte die hübsche Blondine da wissen. »Wenn er zumindest die Hoffnung hätte, daß er irgendwann wieder dort herauskommt...«

      »Momentan sieht es nicht danach aus. Aber wenigstens hat er seine Familie nicht ins Elend gestürzt. Ben kümmert sich um Monika und die Kinder. Ich glaube, sie sind gut aufgehoben bei ihm.« Er warf Anna einen knappen Seitenblick zu. »Das hast du ja schon von Anfang an gesagt, nicht wahr?«

      »Ich glaube, Ben hat Monika lieb. Obwohl nie etwas zwischen den beiden gewesen ist, scheint ihn diese Zuneigung immerhin davon abgehalten zu haben, eine andere zu heiraten.«

      Max hielt vor dem Kinderheim und lächelte schmal. »Das heißt wohl, es könnte für die arme Frau vielleicht doch noch ein Happyend geben.«

      »Ich würde es ihr jedenfalls gönnen!«

      Die kleine Melanie war sehr überrascht, als Max Brinkmeier in Begleitung der netten Apothekerin auftauchte. Offenbar hatte das Kind nicht damit gerechnet und freute sich nun umso mehr.

      »Ich bin doch schon wieder gesund«, hielt Melanie den Erwachsenen entgegen. »Und ihr besucht mich trotzdem?«

      »Dürfen wir nicht?« Anna lachte, als Melanie ihr in die Arme fiel. »Komm, Spätzchen, gehen wir ein bißchen an die frische Luft. Ihr habt doch hier sicher einen Spielplatz, oder?«

      Das Mädchen nickte begeistert. »Ja, ich zeige dir, wie hoch ich schaukeln kann!«

      Max hielt sich bewußt im Hintergrund. Nach einer Weile erschien die Mutter Oberin. Sie begrüßte den Landarzt sehr freundlich und erzählte dann: »Die kleine Melanie wird uns nun bald verlassen. Sie hat Menschen gefunden, die sie adoptieren wollen. Ein sehr nettes Ehepaar aus Rosenheim.«

      »Das sind aber gute Neuigkeiten.«

      »Ich weiß, Sie wollten herausfinden, von wem die Kleine immer geärgert worden ist. Aber ich denke, das ist nun eigentlich nicht mehr wichtig, Herr Doktor Brinkmeier. Und es liegt mir auch eher fern, mich in einem solchen Fall einzumischen.«

      »So? Aber Melanie ist sehr drangsaliert worden. Ein Kind, das sich nicht durchsetzen kann, hat unter Umständen schwer zu leiden, wenn es in eine solche Situation kommt.«

      »Sicher, da stimme ich Ihnen durchaus zu. Aber die Kinder hier leben in einer Welt, die nur ein kleines Abbild der Realität ist. Und dazu gehört nun einmal auch, daß man lernt, sich zu behaupten, nicht wahr?«

      »Ist das die Einstellung Ihres Ordens? Ich muß sagen, das finde ich eher seltsam.«

      Die Oberin lächelte milde. »Es ist meine Einstellung, entstanden in fast dreißig Jahren praktischer Arbeit. Sie können nicht jedes Kind, das hier mehr oder weniger lange lebt beschützen. Wenn ein Fall gravierend ist, mischen sich die Schwestern natürlich ein. Aber die kleinen Stürme, die man überstehen muß, um


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