Dr. Brinkmeier Staffel 2 – Arztroman. Sissi Merz

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Dr. Brinkmeier Staffel 2 – Arztroman - Sissi Merz


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zur Welt gebracht hat, müßte sie dann jetzt nicht Beschwerden haben?« warf Anna Stadler ein.

      »Möglich, aber nicht unbedingt. Es könnte auch eine leichte Geburt gewesen sein.«

      Josef seufzte leise, als Afra erschien und zum Frühstück rief. »Das erste vernünftige Wort heut morgen. Nach drei Stunden Schlaf brauch ich einen starken Kaffee, um wieder klar denken zu können. Anna, frühstückst mit uns, gelt?«

      »Freilich. Ich hab der Susi Angerer schon Bescheid gegeben. Die Apotheke bleibt bis heut nachmittag zu. Solange das Kind hier ist, werde ich mich kümmern. Hab’ es ja versprochen.«

      Max schenkte ihr ein dankbares Lächeln. Die kleine Runde saß noch am Frühstückstisch, als Anderl Stumpf zurückkam. Wie erwartet hatte er nichts in Erfahrung bringen können.

      »Ich hab’ mich mit dem Jugendamt in Verbindung gesetzt. Die haben nix dagegen, wenn das Kind erst mal hier bleibt. Freilich nur, solange eine richtige Betreuung gegeben ist.« Er lächelte ein wenig verschämt. »Ich hab’ gesagt, die haben wir schon. Aber eine Lösung ist das fei net. Ich werde mich also auf die Socken machen und überall in Wildenberg nachfragen.«

      »Meinst, das bringt was?« Max wirkte ziemlich skeptisch. »Wenn eine Frau ihre Schwangerschaft und die Geburt eines Kindes verheimlicht, dann muß sie in einer schlimmen Notlage und zudem sehr verzweifelt sein. Ich glaube kaum, daß sie dir das Ganze auf die Nase binden wird.«

      »Irgendwo muß ich anfangen«, kam es lapidar von dem Gendarmen. »Es tut mir leid, aber mehr kann ich im Moment net für euch tun. Ich hoff’, ihr kommt mit dem Butzerl zurecht.«

      Tatsächlich brachte Anderl Stumpf an diesem Tag nichts in Erfahrung. Und auch seine weiteren Ermittlungen blieben ohne greifbares Ergebnis. Das kleine Mädchen, das Max Brinkmeier so unverhofft auf seiner Türschwelle gefunden hatte, schien niemand zu vermissen, es schien zu niemandem zu gehören…

      Ende der Woche meldete sich Lukas aus Venedig. Er klang so heiter und gelöst, wie Max es noch nie erlebt hatte.

      »Wenigstens dir geht es gut«, seufzte der Landarzt. »Bei uns hier ist ein Baby aufgetaucht, das keiner vermißt. Und die Anna Stadler ist als Ziehmutter eingesprungen.«

      »Ein Baby?« wiederholte Lukas ungläubig. »Was hat denn das zu bedeuten? Sag nur, deine Vergangenheit holt dich ein, Maxl.«

      »Red keinen Schmarrn. Was ich mir in den letzten Tagen alles hab’ anhören müssen, geht mir über die Hutschnur.«

      »Entschuldige. Hast denn schon mal mit Hochwürden geredet? Wenn jemand sein Kind aussetzt, dann muß er recht verzweifelt sein. Und ich denk mir, bevor man so was tut, geht man vielleicht erst mal zum Pastor und sucht dort Hilfe.«

      Max war ehrlich erstaunt. Nicht so sehr über den Ratschlag, den sein Bruder ihm gegeben hatte, sondern vielmehr darüber, daß im Doktorhaus noch keiner auf diese Idee gekommen war.

      Wenig später machte der Landarzt sich also auf den Weg zu Dominik Hirtner, den Geistlichen von Wildenberg. Auch dieser hatte schon von dem Findelkind gehört und begrüßte Max mit der Frage: »Gibt es etwas Neues in der bewußten Sache?«

      »Leider nein, Hochwürden. Deshalb bin ich auch hier. Ich hab’ nämlich gehofft, daß Sie mir vielleicht weiterhelfen können.«

      »Ich? Nun, wenn ich kann, gerne.« Er machte eine einladende Geste und bat den jungen Landarzt, sich zu setzen.

      »Haben Sie vielleicht in letzter Zeit jemandem die Beichte abgenommen, der sehr verzweifelt war? Es muß ja nicht unbedingt die Kindsmutter sein. Vielleicht hat der Vater sich ja Vorwürfe gemacht. Da wir nichts über die näheren Umstände wissen, müssen wir eben in alle nur möglichen Richtungen denken.«

      »Ich verstehe. Leider bin ich an das Beichtgeheimnis gebunden, Doktor, das wissen Sie.«

      »Schon. Aber ich verlange ja gar nicht, daß Sie mir einen Namen nennen oder verraten, was die Person gebeichtet hat. Ich möchte nur wissen, ob es in letzter Zeit eine entsprechende Beichte gab. Und ob diese von jemandem kam, der hier in Wildenberg lebt. Das würde uns schon sehr helfen.«

      Dominik Hirtner lächelte milde. »Es tut mir leid, aber so etwas habe ich in letzter Zeit nicht im Beichtstuhl gehört.«

      »Schade. Ich habe gehofft, daß es vielleicht einen Anhaltspunkt geben könnte…«

      »Ich kann Ihnen nicht weiterhelfen, Doktor. Aber ich werde darauf achten, das verspreche ich Ihnen. Schließlich gehört ein Kind zu seiner Mutter, ganz egal, in welcher Lage diese sich befindet. Es kann niemals ein Ausweg sein, ein Neugeborenes auszusetzen. Das werde ich der Person auch sagen, falls sie in meinen Beichtstuhl kommen sollte.«

      »Danke, Hochwürden. Ich kann nur hoffen, daß die Mutter des Kleinen bald zur Beichte kommt. Und daß Ihre Mahnung etwas bewirken wird.«

      *

      Der Erbhof der Familie Graf lag etwas außerhalb von Wildenberg, auf halbem Weg zur Nachbargemeinde Schlehbusch. Die Grafs lebten hier in der vierten Generation, das Anwesen war eines der schönsten und größten im Tal. Und doch war es kein glückliches Leben für die Menschen, die das prächtige Bauernhaus mit den reich beschnitzten Dachbalken, der Lüftelmalerei und den umlaufenden Holzbalkonen bewohnten.

      Rudolf Graf, der Bauer, war ein harter Mann. Früh hatte er die Frau verloren, und es hieß, daß keiner auf Dauer mit ihm auskommen konnte. Das war wohl auch der Grund, weshalb auf dem Hof das Personal so häufig wechselte, obwohl der Graf nicht schlecht bezahlte. Doch die ewigen cholerischen Anfälle des Bauern ließ keiner lange über sich ergehen. Einzig die Altmagd Rosa verbrachte nun schon ihr ganzes Leben auf dem Erbhof. Das alte Weibel mit den wachen, hellen Augen war die Seele der Wirtschaft. Sie verstand es, den Bauern zu nehmen, hatte keine Angst vor seiner Unberechenbarkeit. Und tatsächlich ließ Rudolf Graf sich von ihr mehr sagen als von jedem anderen Menschen.

      Der Bauer hatte eine Tochter, nun Anfang zwanzig, die ganz nach seiner Frau geraten war. Christa war ein bildhübsches Madel mit dunklem Haar und sanften Augen. Sie hatte schon als kleines Kind einen Heidenrespekt vor dem auffahrenden Temperament des Vaters gehabt und sich jedesmal, wenn er sie angeschrien hatte, hinter der Rosa versteckt. Im Laufe der Jahre hatte sich daran nicht wirklich etwas geändert. Christa war nun zwar erwachsen, aber sie konnte sich nicht gegen den Vater behaupten.

      Der Alte behandelte seine Tochter schlecht. Er sah streng darauf, daß Christa sich mit keinem der vielen Burschen, die ihr nachstiegen, abgab. Der Graf plante nämlich, sie mit einem reichen Hoferben zu verheiraten. Noch hatte er sich nicht endgültig für einen Schwiegersohn entschieden, aber bereits einige in der Auswahl. Die Frage, ob Christa diese Burschen auch gefielen, kam ihm dabei nicht in den Sinn.

      Schon mehr als einmal hatte die Altmagd Rosa versucht, den Bauern zur Vernunft zu bringen.

      »Die Christa ist erwachsen, du kannst sie net in eine Ehe zwingen, die sie nicht will«, hatte sie ihm vorgehalten. »Du wirst sie verlieren, sie geht dir durch, wenn du nicht endlich vernünftig wirst!«

      Aber davon wollte der alte Zornnagel nichts wissen. »Ich tu, was ich für richtig halte. Und daran kann mich keiner hindern, am allerwenigsten ein alte Weibel, das da sein Gnadenbrot kaut!« hatte er gedonnert.

      Christa war es nicht recht, daß die Alte sich ihretwegen mit ihrem Brotherren anlegte. Immer wieder bat das Madel sie, sich herauszuhalten. »Es hat ja doch keinen Sinn. Der Vater macht, was er will. Er wird sich niemals ändern«, hatte sie geseufzt.

      So schnell mochte Rosa aber nicht aufgeben. Und da sie wußte, daß Christa ihr Herz bereits verschenkt hatte, war es ihr um so wichtiger, den Bauern endlich zur Vernunft zu bringen.

      An diesem sonnigen Frühlingsmorgen saß Christa bleich und stumm an der Eckbank in der Küche und putzte Gemüse fürs Mittagsmahl. Die schöne Hoftochter hatte die Haushaltsschule in Berchtesgaden besucht und wirtschaftete seither zusammen mit der Altmagd Rosa. Das Leben hätte für Christa recht einfach und schön sein können, denn sie liebte ihr Heimatdorf und wollte nie woanders sein. Doch der herrische Vater machte dies unmöglich, und er hatte durch seine


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