Verwirrung der Gefühle, und andere Novellen. Stefan Zweig

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       Stefan Zweig

      Verwirrung der Gefühle, und andere Novellen

      Books

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       [email protected]

      2017 OK Publishing

      ISBN 978-80-272-1676-5

      Inhaltsverzeichnis

       Der Stern über dem Walde

       Die Liebe der Erika Ewald

       Vergessene Träume

       Geschichte in der Dämmerung

       Die gleich-ungleichen Schwestern

       Untergang eines Herzens

       Verwirrung der Gefühle

       Angst

      Der Stern über dem Walde

       Inhaltsverzeichnis

       Franz Carl Ginzkey in herzlicher Gesinnung

       Einmal, als sich der schlanke und sehr soignierte Kellner François beim Servieren über die Schulter der schönen polnischen Gräfin Ostrowska herabneigte, geschah etwas Seltsames. Nur eine Sekunde währte es und war kein Zucken und kein Erschrecken, keine Regung und Bewegung. Und doch war es eine jener Sekunden, in die tausende Stunden und Tage voll Jubel und Qual gebannt sind, gleichwie der großen dunkelrauschenden Eichen wilde Wucht mit all ihren wiegenden Zweigen und schaukelnden Kronen in einem einzigen verflatternden Samenstäubchen geborgen ist. Nichts Äußerliches geschah in dieser Sekunde. François, der geschmeidige Kellner des großen Rivierahotels beugte sich tiefer hinab, um die Platte dem suchenden Messer der Gräfin besser zurecht zu legen. Doch sein Gesicht ruhte diesen Moment knapp über der weichgelockten duftenden Welle ihres Hauptes, und als er instinktiv das devot gesenkte Auge aufschlug, sah sein taumelnder Blick, in wie milder und weißleuchtender Linie ihr Nacken sich aus dieser dunklen Flut in das dunkelrote bauschende Kleid verlor. Wie Purpurflammen schlug es in ihm auf. Und leise klirrte das Messer an die unmerklich erzitternde Platte. Obzwar er aber in dieser Sekunde alle Folgenschwere dieser jähen Bezauberung ahnte, meisterte er gewandt seine Erregung und bediente mit der kühlen und ein wenig galanten Verve eines geschmackvollen Garçons weiter. Er reichte die Platte mit geruhigem Gange dem steten Tischgenossen der Gräfin, einem älteren, mit ruhiger Grazie begabten Aristokraten, der mit fein akzentuierter Betonung und einem kristallenen Französisch gleichgültige Dinge erzählte. Dann trat er ohne Blick und Gebärde von dem Tisch zurück.

      Diese Minuten waren der Beginn eines sehr seltsamen und hingebungsvollen Verlorenseins, einer so taumelnden und trunkenen Empfindung, daß ihr das gewichtige und stolze Wort Liebe beinahe übel ansteht. Es war jene hündisch treue und begehrungslose Liebe, wie sie die Menschen sonst inmitten ihres Lebens gar nicht kennen, wie sie nur ganz junge und ganz alte Leute haben. Eine Liebe ohne Besonnensein, die nicht denkt, sondern nur träumt. Er vergaß ganz jene ungerechte und doch unauslöschliche Mißachtung, die selbst kluge und bedächtige Leute gegen Menschen im Kellnerfracke bezeugen, er sann nicht nach Möglichkeiten und Zufällen, sondern nährte in seinem Blute diese seltsame Neigung, bis ihre geheime Innigkeit sich aller Bespottung und Bemänglung entrang. Seine Zärtlichkeit war nicht die der heimlich zwinkernden und lauernden Blicke, die jäh losbrechende Kühnheit verwegener Gebärden, die sinnlose Brünstigkeit lechzender Lippen und zitternder Hände, sie war ein stilles Mühen, ein Walten jener kleinen Dienste, die um so erhabener und heiliger in ihrer Demut sind, als sie wissend unbemerkt bleiben. Er strich nach dem Souper über die zerknüllten Tischtuchfalten vor ihrem Platze mit so zärtlichen und kosenden Fingern, wie man wohl liebe und weichruhende Frauenhände streichelt; er rückte alle Dinge ihrer Nähe mit hingebungsvoller Symmetrie zusammen, als ob er sie zu einem Feste bereite. Die Gläser, die ihre Lippen berührt hatten, trug er sich sorgsam in sein enges dumpfes Dachlukenzimmer und ließ sie im perlenden Mondlicht nächtlich auffunkeln wie köstliches Geschmeide. Stets war er aus irgendeinem Winkel der geheime Behorcher ihres Schreitens und Wandelns. Er trank ihre Sprache so wie man einen süßen und duftberauschenden Wein wollüstig auf der Zunge wiegt, und fing die einzelnen Worte und Befehle gierig wie Kinder den fliegenden Spielball. So trug seine trunkene Seele in sein armes und gleichgültiges Leben einen wechselnden und reichen Glanz. Nie kam ihm die weise Torheit, das ganze Ereignis in die kalten, vernichtenden Worte der Tatsächlichkeit zu kleiden, daß der armselige Kellner François eine exotische, ewig unerreichbare Gräfin liebte. Denn er empfand sie gar nicht als Wirklichkeit, sondern als etwas sehr Hohes, sehr Fernes, das nur mehr mit seinem Abglanz des Lebens reichte. Er liebte den herrischen Stolz ihrer Befehle, den gebietenden Winkel ihrer schwarzen, sich fast berührenden Augenbrauen, die wilde Falte um den schmalen Mund, die sichere Grazie ihrer Gebärden. Unterwürfigkeit schien ihm Selbstverständlichkeit, und die demütigende Nähe niederen Dienstes empfand er als Glück, weil er ihr zu danke so oft in den zauberischen Kreis treten durfte, der sie umfing.

      So ward in dem Leben eines einfachen Menschen plötzlich ein Traum wach, gleich einer edlen und sorgfältig gezüchteten Gartenblüte, die an einer Straße blüht, wo sonst der Wanderstaub alle Keime zertritt. Es war der Taumel eines schlichten Menschen, ein zauberischer und narkotischer Traum inmitten eines kalten, gleichtönigen Lebens. Und Träume solcher Menschen sind wie die ruderlosen Boote, die ziellos in schaukelnder Wollust auf stillen, spiegelnden Wassern treiben, bis plötzlich ihr Kiel mit jähem Ruck an ein unbekanntes Ufer stößt.

      Die Wirklichkeit ist aber stärker und robuster als alle Träume. Eines Abends sagte ihm der feiste Waadtländer Portier im Vorübergehn: »Die Ostrowska fährt morgen mit dem Acht-Uhr-Zug.« Und dann noch ein paar andre gleichgültige Namen, die er überhörte. Denn ein wirres Brausen und Wirbeln war aus diesen Worten in seinem Hirne geworden. Ein paar Mal fuhr er sich mechanisch mit den Fingern über die gepreßte Stirn, als wollte er eine drückende Schicht wegschieben, die dort lagerte und das Verständnis umdämmerte. Er machte ein paar Schritte; es war ein Taumeln. Unsicher und erschreckt glitt er an einem hohen goldgerahmten Spiegel vorbei, aus dem ihm ein fahles und fremdes Gesicht kreidig entgegenstarrte. Die Gedanken wollten nicht kommen, sie waren gleichsam festgemauert hinter einer dunklen nebligen Wand. Fast unbewußt tastete er am Geländer die breite Treppe in den umdämmerten Garten hinab, wo die hohen Pinien-Bäume einsam standen wie finstere Gedanken. Noch ein paar Schritte wankte seine unruhige Gestalt, gleich dem niederen und taumelnden Flug eines großen dunklen Nachtvogels, dann sank er auf eine Bank, den Kopf an die kühle Lehne gepreßt. Es war ganz still dort. Rückwärts zwischen den runden Sträuchern funkelte das Meer. Weiche und zitternde Lichter glühten dort leise, und in der Stille verlor sich der eintönig murmelnde Singsang fernplätschernder Brandungsquellen.

      Und plötzlich war alles klar, ganz klar. So schmerzklar, daß er fast ein Lächeln fand. Es war einfach alles zu Ende. Die Gräfin Ostrowska fährt nach Hause, und der Kellner François bleibt auf seinem Posten. War dies denn so seltsam? Gingen nicht alle die Fremden fort, die kamen, nach zwei, nach drei, nach vier Wochen? Wie töricht, das nicht überdacht zu haben. Es war ja alles so klar, zum Lachen, zum Weinen klar. Und die Gedanken schwirrten und schwirrten. Morgen abend, mit dem Acht-Uhr-Zug


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