Unschuld 2. Michael Martin

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Unschuld 2 - Michael Martin


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      Michael Martin

      Unschuld 2

      SAGA Egmont

      Unschuld 2

      Copyright © 1994, 2018 Michael Martin und Verlag

      All rights reserved

      ISBN: 9788711977316

      1. Ebook-Auflage, 2018

      Format: EPUB 2.0

      Dieses Buch ist urheberrechtlich geschützt. Kopieren für andere als persönliche Nutzung ist nur nach

      Absprache mit dem Verlag gestattet.

      I

      Marasmus – ein völliger Zerfall. So diagnostizierte es die Schulmedizin. Ich schmunzle dabei. Allerdings so, daß man es mir nicht anmerkt. Ich mache mich im Stillen lustig über meine Ärzte, sie sind ja auch nur Menschen, geprägt durch ihre Zeit. Und ich bin ungewöhnlich, bin die Person par excellence. Ich halte nicht viel von meinen Ärzten, um dies einmal klarzustellen; nur ist da ein kleiner Rest, den ich mir selbst auch nicht erklären kann. Was ist es, das mich ins Bett zwingt? Was ist es, das mich dazu zwingt, ein völlig anderes Leben als alle andere Menschen zu leben? Ein Leben im Liegen sozusagen. Denn seit einigen Jahren bin ich so schwach, daß ich die meiste Zeit des Tages liegend verbringe. Und dann ist es so, daß viele der Personen, die ich kenne, ins Staunen geraten, denn ich habe doch eine gewisse, unerklärliche Ausstrahlung, eine rätselhafte Anziehungskraft. Ich bin bleich, aber schön, schmal, aber doch nicht wie eine Ausgezehrte. Im Grunde kann man mich kaum einordnen, ich bin ein Unikat, eine Einmaligkeit. Vielleicht ist es dies, was andere staunen läßt, wenn sie mich sehen, wenn sie meine Art zu leben beurteilen, die sie nicht verstehen. Ich bin mondän, habe mein Wissen aus Quellen, die einem fünfzehnjährigen Mädchen gemeinhin verschlossen sind. Diese Quellen sind wissenschaftliche Bücher. Ich habe mich mit Psychologie beschäftigt und kenne fast alle Klassiker. So viel weiß ich, daß diese nie ein Wesen wie mich würden beurteilen können! Nie. Und es ist für mich eine Freude, denn es bestätigt mir meine Überlegenheit über andere Menschen, über das gemeine Volk. Nicht daß ich dieses verachte, ich interessiere mich nur nicht für es.

      Abends wird es meist langweilig, wenn Mutter oder Vater im Bett liegen. Dann bin ich mit meinen Gedanken allein. Und ich beginne zu denken, zu forschen, zu überlegen. Ein Leben im Liegen könnte sicher besser sein, gehaltvoller sein, wenn ich mir ein Ziel setzen würde, ein Ziel, das so ungewöhnlich ist, daß es alle Nachteile meiner Existenz aufwiegt. So, und nun nur noch schlafen, denn meine Schwäche ist nicht gespielt.

      Ich erwache nicht mit dem gängigen Gefühl des Gestärktseins. Im Gegenteil. Ich brauche viel Zeit, bis ich mich wieder an die lästige Tatsache gewöhnt habe, daß ich noch gezwungen bin, zu leben. So furchtbar gern lebe ich nicht. Aber seit ich gestern jenen Gedanken gefaßt habe, da macht es mir Spaß, dieser Welt noch etwas Positives abzugewinnen. Zumindest will ich den Versuch wagen. Was ich mir ausgedacht habe, will ich noch nicht verraten. Es könnte ja sein, daß mein schlimmer Plan fehlschlägt, und dann stehe ich vor mir selbst als Aufschneiderin da. Nur vor mir selbst, aber das ist auch alles, was mich wirklich interessiert – dieses zerbrechliche, suchende, morbide aber dennoch attraktive Selbst, das ich bin. Ich möchte sie schocken, sie alle, die mich für ganz schwach halten. Ich möchte sie dazu bringen, daß sie von mir mit Erstaunen oder Verwunderung sprechen. Rose, meine erste Pflegerin, habe ich wohl zu sehr strapaziert, sie hat gekündigt. Vater soll mir eine neue Hilfe besorgen. Und diesmal werde ich vorsichtiger zu Werke gehen.

      Vater schaut mich durchdringend an, kneift die Augen zu und nickt dann nur. Er wird hereinfallen auf meinen Plan, wird ganz sicher eine Pflegerin für mich suchen und auch finden. Und der Plan, die Ränke, die ich schmieden will, können dann in ein konkretes Stadium treten. Mein Unterleib ist unruhig. Dabei gelte ich als unschuldig, als die sprichwörtliche Unschuld. Aber der gedanke hat ja sicher irgendetwas mit meinem Unterleib zu tun. Da ist eine Neugierde, die ich kaum bezwingen kann, und die daher rührt, daß ich mein ganzes Leben lang, bis vor kurzem, nur in der Theorie gelebt habe. Ich war ja verurteilt so zu leben, doch es wird ganz gewiß anders werden, ganz gewiß. Ich möchte einmal in meinem Leben Macht und extreme Lust, verruchte Lust verspüren, und dann soll es gut sein.

      Vater schaut mich immer so liebevoll an. Doch es ist nicht nur Liebe und Mitleid in seinem Blick. Auch noch etwas anderes schwingt da mit, etwas, was eben auch mit dem Unterleib zu tun hat. Da müßte ich mich schon unglaublich täuschen, wäre es nicht so. Vater ist ein richtiger, männlicher Mann. Er hat früher sogar geboxt und ist heute noch sehr muskulös. Viele der Bekannten, die in unser toll eingerichtetes Haus kommen, staunen über Vaters gute Figur. Ich habe ihn, durch Rose, schon nackt gesehen. Und ich beneide Mutter wegen einer ganz offensichtlichen Sache. Sie kennt das, wovon ich mir gar keine Vorstellung machen kann, sie weiß, was es bedeutet, mit einem Mann zu schlafen.

      Wenn ich mich gut erinnere, dann war es im letzten Jahr. Da hatte ich einmal einen so heftigen Traum, daß ich mich jetzt noch daran erinnere, so als hätte ich das erlebt, nicht nur geträumt. Ich war da gesund und lief zusammen mit Vater am Strand entlang. Wir liefen um die Wette, und ich wollte ihm entkommen. Das war natürlich unmöglich. Und im Nu hatte der sportliche Mann mich eingeholt, hielt mich dann fest (ich spürte die enormen Kräfte, die er hatte) und ließ mich nicht mehr los. Und dann geschah etwas Schlimmes. Er drückte mich an sich, küßte mich, um mir dann an jenen Teil meines Unterleibes zu fassen, der jedem Vater verwehrt sein sollte.

      Aber irgendwie mochte ich das, genoß ich diese Intimität, die mich gefühlsmäßig so gefangennahm, daß ich überwältigt wurde von der Ungeheuerlichkeit seines Tuns. Er bohrte mir nämlich seinen Finger tief in jenen behaarten Teil meines Unterleibes, daß ich schwach wurde, die Beine öffnete, damit er mehr solcher Untersuchungen anstellen konnte. Ich war schwach. Aber dann wachte ich auf, war plötzlich wieder in meiner morbiden Welt und schämte mich. Doch da war auch Neugierde. Was war das denn nur für eine Art Hingabe, eine Art von Gefühl, daß ich so schwach wurde? Ich hatte bei den Psychologen gelesen, daß sie eine ganze Menge von Störungen und Problemen dem falschen Funktionieren dieser Organe zuschrieben. Doch das sagte mir eben meist nur theoretisch etwas, denn wirklich hatte ich noch nie mit einem Mann geschlafen. Vielleicht hatte es mein kranker Körper nie zugelassen, dieser verfluchte, doch auch gelobte Körper. Und ich würde Macht über meinen Körper und über meinen Geist gewinnen, und diese Macht würde ich dazu nutzen, auch andere zu beherrschen. Ich bin klug, gerissen, schlau. Warum sollte es mir nicht gelingen, in solchen Dingen erfahren zu werden.

      „Morgen, liebe Adriane, morgen kommt ein Fräulein Hilde Mayer vorbei und stellt sich vor. Ich überlasse dir ganz die Entscheidung, ob du sie haben willst. Schließlich willst du gepflegt werden, Liebste.“

      Der gedanke wird immer stärker. Ich nicke.

      „Das ist so lieb von dir, Vater“, sage ich und drehe mich auf meine linke Seite. Ich weiß, daß mein Popo unter der Bettdecke hervorschaut. Ich habe den Pyjama hochgezogen, damit Vater alles sehen kann. Wie wird er reagieren? Oh, schade. Er geht hinaus, ohne direkt meine Nacktheit wahrzunehmen. Oder tut er nur so, als interessiere es ihn nicht? Wie dem auch sei, irgendeiner oder irgendeine wird früher oder später auf meine Ränke hereinfallen, wird mir ganz gewiß zum Sklaven werden. Habe ich schon kein gutes Leben, so will ich wenigstens das genießen, was mir meine unzweifelhaft vorhandenen geistigen Qualitäten ermöglichen. Ich will, daß Leute gerade das tun, was sie eigentlich sich auf keinen Fall trauen, was ihre Moral ihnen verbietet. Aber ich kenne da kein Pardon, und ich werde alles genau planen.

      Sie steht vor mir, wirkt ein wenig linkisch, die Hilde. Sonst aber gefällt sie mir gut. Ihre Gestalt ist schön, schlank und rank, dabei aber hat sie einen gutentwikkelten Busen. Sie trägt einen viel zu engen Jeansrock, was bewirkt, daß die Schwingungen ihrer Rückseite überstark zur Geltung kommen.

      „Hilde, Sie müssen mir nicht nur dienen, Sie müssen auch immer für mich da sein. Trauen Sie sich das zu?“ Ein schüchterner Blick, ein angedeutetes Lächeln auf ihren Lippen.

      „Ja, Fräulein. Ich will mein Bestes tun, ich will es wirklich.“

      Etwas amüsiert schließe ich die Augen.


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