Der Bauer in der Au. Rudolf Stratz
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Rudolf Stratz
Der Bauer in der Au
Saga
Der Bauer in der AuCoverbild/Illustration: Shutterstock Copyright © 1932, 2019 Rudolf Stratz und SAGA Egmont All rights reserved ISBN: 9788711507339
1. Ebook-Auflage, 2019
Format: EPUB 2.0
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1
Eichendunkel, Lärchenhelle, Fichtenschwarz, Espengezitter, weisse, wilde Kirschbaumblüten, Weissdornstacheln, Haselnussstecken, Wacholdergewurzel — die ganze grün wechselnde, sonnenzitternde Waldwand wippte weithin unter dem Griff zweier starker Arme — eine wild gewachsene Urwaldmauer noch, da unten im letzten Süden des Deutschen Reichs, im bayerischen Hochlandswinkel zwischen Inn und Salzach.
Durch das sich sträubende, aufgeregt schwankende Dickicht brach, aus dem Waldschatten heraus, Einer mit breiten Schultern und stand da im Sonnenschein auf der lichten Grasmatte, den Kugelstutzen am Riemen, sechs Fuss lang, in seinen schweren Nagelschuhen, den verschwitzten Lodenfilz mit hoch wehendem Adlerflaum schief hinterm Ohr, grün und gelb gestickt die graue Joppe und die Hosenträger und der Gürtel, nackt die braunen Knie unter den kurzen, schwarz abgewetzten Lederbuxen, grüngeringelte Stutzen über den drahtigen Waden — stand da wie ein Bild der bayerischen Berge, aus denen fern gegen die Salzburger Grenze hin, über dem Steinernen Meer, der letzte Riese des Reichs, der Watzmann, sein noch winterlich weisses. Schneehaupt zum tiefblauen Himmel hob.
Zu Anfang der Dreissig der Bursch aus dem Wald, tief braun gebrannt das verwegene Gesicht mit der Adlernase über dem langen, dunklen Schnurrbart und den stählern wie bei einem Raubvogel glänzenden Augen.
Vor diesen Augen dehnte sich unermesslich, tief da unten, die flache bayerische Hochebene, mit ihren unzähligen weissen Nadeln der Kirchtürme, den grünen Vierecken der Felder, den blauen Seen, den braunen Mooren, den weissen Bändern der Strassen, den schwarzen Wäldern.
Und ganz in der Nähe, in einen Talkessel der Vorberge gebettet, fast unter der Schuhspitze des Jägers, schimmerte blendend weiss, wie aus der Spielzeugschachtel gepackt, fast ein Dorf im kleinen, waldverloren, ein riesiger Einödhof. Eine eigene kleine Kapelle neben dem dreistöckigen Wohnhaus mit dem grüngestrichenen Balkon und den buchsbaumgesäumten roten Kieswegen um den Springbrunnen in dem blumenbunten Vorgarten. Hinter den langen, flachen Stalldächern die Baracken des Sägewerks am aufgestauten Wildbachbecken, weithin die Wagen- und Maschinenschuppen, frei stehend unter blühenden Obstbäumen die Waschküchen und erdgemauerten Backöfen und farbig gekringelten Bienenstände, hundertfach weiss das Gesprenkel der Hühner um das Gehöft, braun-weiss die Flecken der vielen weidenden Kühe zwischen den Gattern, melodisches Almglockengebimmel, verwehtes Peitschengeknall . . .
Aber die Leute auf dem Hof da unten gingen nicht wie sonst mit Sense und Melkeimer und Holzaxt und Mistgabel ihrer Arbeit nach. Die standen da und schauten — ja — nach was?
Um sich herum, vor der leise murmelnden Waldmauer, hörte der Jägersmann oben nur die Stimme der Berge — misstöniges Hähergezeter aus Buchengeäst, das sanfte Gegurr der wilden Taube im Eichenwipfel, das metallische Glucksen des schwarzen Alpeneichhorns blitzschnell den Fichtenstamm hinauf, fern, eintönig wie ein Holzhacker, das Klopfen des Buntspechts und unermüdlich, in diesen Maitagen, irgendwoher aus grüner Weite, vom Morgen bis zum Abend der Frühlingsruf: Kuckuck! Kuckuck!
Jetzt eine Bewegung da unten, unter dem Dienstvolk im Grund. Sie hatten den Mann oben am Waldrand erkannt.
„Juchhu!“ klang es dünn durch das Wehen des Windes herauf. Das war die Marei, die Jungmagd. Die hatte die hellste Stimme von allen.
„Juchhu!“ Er antwortete. Es tönte schneidend wild und froh, wie der Schrei eines der letzten Adler, die sich noch einmal hier in die Bergwildnis verflogen. Jetzt sprang einer unten vor — ein Bursch, etwas jünger und viel kleiner und nicht so breit gestellt in den Schultern wie der da oben.
Was wollte er denn nur — der Bruder — der Simon? Der fuchtelte aufgeregt mit den Armen und winkte, herunterzukommen. Und die andern schrieen und gestikulierten mit.
Brandschaden auf dem Einödhof? Nein. Der rauchte nur friedlich aus bläulich dünstenden Schornsteinen. Also was denn nachher? Immerhin. Der Jäger oben zog schnell die Patronen aus dem aufgeklappten Zwilling, hängte sich ihn über die Schulter und setzte sich in Trab.
Von unten liefen sie ihm entgegen. Sie taten sich härter als er, bergauf. Der Bruder Simon, der blasse, schwächliche, war dem Dienstvolk voraus. Aber wo es steiler ging, verlor er den Atem und klomm nur noch schrittweise empor. An ihm vorbei rannte die Flinkste, die Marei, die Jungdirn. Ihr braunes, wildes Gesichtel mit den lichtblauen Augen und dem dunklen Zopfkranz um die Schläfen tauchte aus einem Steilhang nah unter dem Bursch aus dem Walde auf. Sie hatte den Mund weit offen. Ihre weissen Zähne blitzten. Sie keuchte:
„Mach voran, Flori! Der Bauer fährt heim!“
Und jetzt hinter ihr, ausser Luft, auch der Simon:
„Kimm, Flori! Kimm! Mit dem Vater geht’s z’ End!“
Der Flori flog in federnden Sprüngen die Grasleiten hinab. Die andern rannten nebenher. Die Marei berichtete abgerissen:
„Gestern, auf d’ Nacht, wie wir ’s Vieh eingewiesen haben, hat’s ihn derwischt! Gerad’ hingeschlagen is er! Dös is a Stickfluss, sagt der Doktor! Da kannst nix mehr machen!“
„Wir haben gleich nach dem Doktor telephoniert!“ Der Simon hielt aus Leibeskräften laufend mit dem stärkeren und grösseren Bruder Schritt. „Er is bald kommen! Aber nach dir haben wir umsonst gesucht! Was machst denn die ganze Nacht im Wald? Jetzt is doch keine Jagd nit!“
„Er wird doch noch jaga derfa!“ schrie die Marei im Rennen. Der Flori deutete über seine Schulter zurück. Neben dem Rucksack tanzte da ein Fuchsschwanz auf und ab.
„Auf d’ Füchsin, die als d’ Hennen holt, hab’ ich vor dem Bau angesessen und sie heut früh gekriegt — das Luada! Seid’s froh!“
„Wenn d’ Maifüchsinnen so gross wären wie die Ochsen, täten s’ uns alle zerreissen!“ keuchte die Marei.
„Und wann du nur dem Flori alleweil ’s Wort reden kannst!“
„Ich hab’s ihr nit g’schafft, der dummen Dirn!“ Der Flori stand vor dem Haus. Er nahm den Hut ab und bekreuzigte sich. Sein Antlitz war tiefernst. „Kommt’s ’rein — zum Vater!“
Innen, im steingepflasterten Mittelgang, stand die Zenz, die ältere Schwester des Florian und des Simon, mit ihrem Mann, dem Heiss von Walching, weit aus dem Chiemgau her. Der Chiemseebauer war ein schöner, aufrechter, langer Mann, nicht mehr der jüngste, schon in die Vierzig, mit einem ruhigen und klugen Antlitz. Er drückte dem Schwager die Hand.
„Wir sind heut schon vor dem Frühläuten ’kommen!“ sagte er, während sie zusammen die knarrende Treppe hinaufstiegen. Neben ihm schluchzte die junge Heiss-Bäuerin, den am unteren Rand goldgestickten, flachen Hutteller mit den lang hängenden schwarzen Bändern auf dem tränenüberströmten, vollwangigen, blühenden Gesicht.
„Ja — wer hätt’ dös gedenkt! Noch net sechzig is er — der Vater! Und gerad’ wie ein Junger hat er daherg’schaut!“
Aber jetzt sah der Bauer in der Au nicht mehr aus wie ein Junger, sondern wie einer, der auf die weite Reise geht. Er lag oben, schon seit Jahren ein Witwer, in seinem lustig himmelblau mit weissen Vögelchen und grünen Blumen bemalten Bett, den gelblichen, grauschnurrbärtigen Kopf mit feierlich verfallenen Zügen tief in den rotkarierten Kissen.
Bunt wie das Bett war alles Gerät im Zimmer — die Schränke, die Kasten, die Stühle. Durch die kleinen, offenen vier