Seewölfe - Piraten der Weltmeere 687. Jan J. Moreno
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© 1976/2020 Pabel-Moewig Verlag KG,
Pabel ebook, Rastatt.
ISBN: 978-3-96688-101-2
Internet: www.vpm.de und E-Mail: [email protected]
Jan J. Moreno
Die Gold-Karawane
Vor Madras werden die Arwenacks in einen Hinterhalt gelockt
Als hätte die Abendsonne sie ausgespuckt, bahnten sie sich ihren Weg durch das dicht verfilzte Elefantengras. Die Schatten wurden länger, und über dem hügeligen Land lag ein eigenartig roter Schein. Das Wasser des nahen Flusses wirkte wie ein Strom von Blut.
Noch konnte der auffrischende Ostwind, der den Geruch des Meeres mit sich führte, die Hitze und den Staub des Tages nicht vertreiben.
Büffel suhlten sich im Schlamm einer weitläufigen Bucht. Ihr Hirte erstarrte, als er die Fremden sah, die bärtig und zerlumpt waren, aber bewaffnet wie das Heer eines Sultans. Eine junge Frau führte sie an.
„Phoolan Devi …“, ächzte der Hirte, warf sich herum und floh.
Er hatte einen Augenblick zu lange gezögert. Ein Pfeil traf ihn zwischen die Schulterblätter und tötete ihn, ehe er im Fluß versank …
Inhalt
Die Hauptpersonen des Romans:
Phoolan Devi – sie ist eine Dacoit, nämlich eine Räuberin, und wo sie mit ihren Spießgesellen auftaucht, gibt es Mord und Totschlag.
Dilip Rangini – ist zwar der Vertraute eines Sultans, aber das hält ihn nicht davon ab, Verrat zu begehen.
Drawida Shastri – gibt sich als Sultan von Golkonda aus und verschwindet mit einer Goldkarawane.
Philip Hasard Killigrew – gerät mit seinen Arwenacks in eine Falle, als er eine angebliche Maharani befreien will.
1.
Samatrai war ein unbedeutender Ort zwischen Madras und Tirukkalikundram, leichter von See her als über Land zu erreichen. Drei Dutzend Hütten drängten sich auf engem Raum aneinander, umgeben von Dattelpalmen und an den Flußufern liegenden Feldern, auf denen Linsen und Senf angebaut wurden. Die übrige Fläche, erst vor kurzem gerodet und nun von hartem Gras bewachsen, gehörte den Schafen und Büffeln.
Nur zwei unbefestigte, zur Regenzeit unpassierbare Pfade verbanden Samatrai mit den größeren Orten. Kein Ochsenkarren hätte es je bis Madras geschafft.
Dennoch waren die Bewohner über vieles informiert, was entlang der Koromandelküste geschah. Sie kannten die schrecklichen Geschichten von Phoolan Devi und ihren Dacoits, die nur während der letzten Monate mehr Menschen getötet hatten, als ein einzelner an Fingern und Zehen abzählen konnte.
Phoolan, deren Name soviel bedeutete wie „Göttin der Blumen“, war etwa zwanzig Jahre alt, klein, aber kräftig gebaut, und mit üppigen Rundungen ausgestattet, die ihre auffällig blasse Hautfarbe überspielten.
Niemand in Samatrai ahnte, welche Gefahr drohte. Die Männer dösten oder reparierten Feldwerkzeuge, die Frauen saßen beieinander und palaverten beim Teigkneten oder der Läusejagd auf den Köpfen ihrer Kinder. Irgendwo bellte ein Hund, doch niemand achtete darauf.
Zu dem Zeitpunkt kreisten zehn Dacoits das Dorf ein. Niemand sollte Gelegenheit zur Flucht erhalten.
„Die anderen folgen mir!“ befahl Phoolan. „Durchsucht die Häuser und nehmt euch von mir aus, was ihr wollt, aber laßt die beiden Verräter nicht entrinnen. Erschlagt sie und jeden, der ihnen Unterschlupf gewährt.“
Sie standen vor dem geschnitzten Dorfaltar, der Schiwa, den Gott der Vernichtung darstellte, und berührten nacheinander und um Segen bittend, seinen Dreizack.
In der Rechten einen krummen Gurkhadolch, in der Linken eine von Portugiesen erbeutete Steinschloßpistole, stürmte Phoolan vor ihren Leuten her.
Die Bewohner Samatrais wurden völlig überrascht. Ein älterer Mann versuchte, sie mit einer Sense niederzustrecken – die Dacoit stieß ihm im Laufen den Dolch in die Seite, daß er lautlos zusammenbrach.
Sie schwang sich auf den gemauerten Rand des Dorfbrunnens, sich des Eindrucks bewußt, den sie bei den entsetzten Menschen hinterließ. In Situationen wie dieser, wenn ihr Gesicht fiebrig glühte, genoß sie ihre Macht. Es bedurfte nur eines Wortes von ihr, und Samatrai wurde niedergebrannt und seine Bewohner in den Dschungel getrieben oder verschleppt.
„Hört mich an, ihr lausiges Pack!“ schrie sie mit gellender Stimme. Früher – wie lange lag das schon zurück? – hatte sie leiser geredet, mit der gebotenen Zurückhaltung, doch der Umgang mit den Banditen, die in allen Frauen nur eine willfährige Beute sahen, hatte sie geprägt. „Wenn ihr morgen noch leben wollt, schafft alles Wertvolle herbei. Und bringt mir Kushwant Shankar und Vijay Nain – ich weiß, daß die Verräter in euer Dorf geflohen sind.“
Einer der Männer, wahrscheinlich der Älteste, faßte sich ein Herz. Die Arme in einer hilflosen Geste ausgebreitet, trat er, zwei Schritte vor.
„Wir kennen dich, Phoolan Devi, und wenn die beiden Männer, die du suchst, bei uns wären, würden wir sie unverzüglich ausliefern.“
„Sie sind bei euch! Seit Tagen folgen wir ihren Spuren.“
Der Alte schüttelte das weiße Haupt. „Nein“, sagte er bestimmt, „du irrst …“
Die Frau bewegte kaum die rechte Hand. Alles ging blitzschnell. Der Krummdolch sauste durch die Luft und bohrte sich zwischen die Rippen des Mannes. Niemand anderes als Phoolan hätte die Waffe so handhaben können.
Der Dorfälteste ließ ein ersticktes Ächzen vernehmen, seine Augen weiteten sich in ungläubigem Entsetzen.
„Du – suchst am – falschen Ort … Verschone die Menschen …“
Unmittelbar vor dem Brunnen brach er zusammen, versuchte noch einmal kraftlos, sich aufzurichten, und blieb dann reglos liegen. Phoolan hatte nur einen verächtlichen Blick für ihn.
Sie gab ihren Männern einen befehlenden Wink.
„Ich will die Verräter! Sofort!“
Die Dacoit blieb beim Brunnen und beschränkte sich aufs Beobachten, während ihre Kerle die Häuser durchsuchten und plünderten.
Den Frauen wurden die Ohrringe und die silbernen Arm- und Fußreifen