Body-Bilder. Jörg Scheller

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Body-Bilder - Jörg Scheller


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      E-Book-Ausgabe 2020

      © 2020 Verlag Klaus Wagenbach, Emser Straße 40/41, 10719 Berlin

      Covergestaltung: Studio Jung, Berlin.

      Datenkonvertierung bei Zeilenwert, Rudolstadt.

      Alle Rechte vorbehalten. Jede Vervielfältigung und Verwertung der Texte, auch auszugsweise, ist ohne schriftliche Zustimmung des Verlags urheberrechtswidrig und strafbar. Dies gilt insbesondere für das Herstellen und Verbreiten von Kopien auf Papier, Datenträgern oder im Internet sowie Übersetzungen.

      ISBN: 9783803143105

      Auch in gedruckter Form erhältlich: 978 3 8031 3704 3

       www.wagenbach.de

       DIGITALE BILDKULTUREN

      Durch die Digitalisierung haben Bilder einen enormen Bedeutungszuwachs erfahren. Dass sie sich einfacher und variabler denn je herstellen und so schnell wie nie verbreiten und teilen lassen, führt nicht nur zur vielbeschworenen »Bilderflut«, sondern verleiht Bildern auch zusätzliche Funktionen. Erstmals können sich Menschen mit Bildern genauso selbstverständlich austauschen wie mit gesprochener oder geschriebener Sprache. Der schon vor Jahren proklamierte »Iconic Turn« ist Realität geworden.

      Die Reihe DIGITALE BILDKULTUREN widmet sich den wichtigsten neuen Formen und Verwendungsweisen von Bildern und ordnet sie kulturgeschichtlich ein. Selfies, Meme, Fake-Bilder oder Bildproteste haben Vorläufer in der analogen Welt. Doch konnten sie nur aus der Logik und Infrastruktur der digitalen Medien heraus entstehen. Nun geht es darum, Kriterien für den Umgang mit diesen Bildphänomenen zu finden und ästhetische, kulturelle sowie soziopolitische Zusammenhänge herzustellen.

      Die Bände der Reihe werden ergänzt durch die Website www.digitale-bildkulturen.de. Dort wird weiterführendes und jeweils aktualisiertes Material zu den einzelnen Bildphänomenen gesammelt und ein Glossar zu den Schlüsselbegriffen der DIGITALEN BILDKULTUREN bereitgestellt.

      Herausgegeben von

      Annekathrin Kohout und Wolfgang Ullrich

       Prolog

      Im Jahr 2015 hatte Markus Rühl genug. In einer Reihe von YouTube-Videos nahm sich der frühere Profi-Bodybuilder »Fitness-Hipster auf YouTube« zur Brust.1 Was diese auf ihren Kanälen über Muskelaufbau, Ernährung, Trainingsprinzipien zu sagen hätten – »alles Bullshit«.2 Seitdem hat Rühl, der als einer der extremsten Bodybuilder (»Massemonster«) aller Zeiten gilt, seine Kritik in diversen Rants, wie sie die Sozialen Netzwerke lieben, wiederholt. So sagte er 2018 auf YouTube: »Das Schlimmste ist, wenn ich irgendwelche YouTuber sehe, die pausenlos irgendwelche verblödeten Vlogs raushauen, irgendwelche Tutorials, meine Top-3-XY-Zutaten, Mahlzeiten, Supplements. […] Dagegen verwehre ich mich, ich will Content bringen, ich will Dinge zeigen, die euch interessieren, und ich glaube, manchmal ist weniger mehr. […] Das ist wichtiger, als permanent kleine Videos hochladen, um mit aller Gewalt noch 10 000 Klicks zu generieren, damit vielleicht noch einmal 3,50 Euro aufs Konto überwiesen werden.«3

      Aus Rühls Sicht sind die Sozialen Netzwerke mit ihren User Generated Contents für die Bodybuilding- und Fitness-Kultur insofern schädlich, als sie zu Schnelllebigkeit, Oberflächlichkeit, Eitelkeit und Substanzlosigkeit führen. Rühls Motto, das er auch auf T-Shirts drucken lässt, lautet »stabil«. Seine Invektiven folgen den Mustern der konservativen Kulturkritik, die durch Technologie- und Medieninnovationen hervorgerufene Übergangsperioden als Verfallsphasen einstuft. So kontrastiert Rühl die für ihn problematische Körperkultur in der Ära der Sozialen Netzwerke mit dem Goldenen Zeitalter des Old-School-Bodybuildings, als man einfach so viele Kilo wie möglich auf der Bank drückte, dazu AC/DC hörte und Thunfisch direkt aus der Dose futterte. Bodybuilding ist für ihn nicht nur eine Form der Körperoptimierung, sondern auch ein Lebensstil, den es zu wahren gilt.

      Vielsagend ist, dass Rühl seine Kritik wiederum in den Sozialen Netzwerken äußert. Wie konservative Kulturkritiker einst die moderne Technologie der Schreibmaschine nutzten, um mit der Moderne abzurechnen, nutzt auch er die neuesten Produktionsmittel. Der Darmstädter ist nicht nur auf YouTube, sondern auch auf Instagram und Facebook aktiv. Auf allen diesen Plattformen hat er jeweils mehrere hunderttausend Follower und Abonnenten (Stand August 2020). Der 1972 geborene geschickte Selbstvermarkter ist somit alles andere als eine Randfigur jener digitalen Fitness- und Bodybuilding-Szene. Rühls Kritik ist Teil dessen, was sie kritisiert. Während der Bodybuilder Fitness-Influencer angreift, empfiehlt er auf seiner Internetseite unter »mein persönlicher YouTube-Tipp«, der Athletin Anna Maier »im Web, auf YouTube, Instagram und Facebook« zu folgen.4 Allerdings mit dem Hinweis: »Garantiert kein Fitness-Hipster!« Nicht das »Was« der neuen medialen Umwelt, sondern das »Wie« steht also im Zentrum seiner Kritik.

      Man könnte Rühl in Anlehnung an den durch den Irakkrieg des Jahres 2003 zu trauriger Berühmtheit gelangten »Embedded Journalist« als »Embedded Critic« bezeichnen. Durch Zuspitzung generiert seine Kritik am Umgang mit den Sozialen Netzwerken zuverlässig Follower, Likes und Kommentare in den Sozialen Netzwerken. Aus der vordigitalen Ära des Bodybuildings stammend, nutzt Rühl seine Erfahrungen in selbiger, um in der nach Authentizität strebenden Online-Ära eine Unique Selling Proposition zu entwickeln: Ich habe schon im analogen Zeitalter gepumpt, das macht mich noch authentischer als heutige Influencer! Entsprechend gehören kommentierte, nostalgisch angehauchte YouTube-Rückblicke auf seine frühen, auf VHS-Kassetten veröffentlichten Trainingsvideos zum Programm. Damit exemplifiziert Rühls Auftreten in den Sozialen Netzwerken die Dialektik eines jeden Medienwandels, wie sie Marshall McLuhan umrissen hat: »Kein Medium hat Sinn und Sein aus sich allein […], sondern nur aus der ständigen Wechselwirkung mit anderen Medien«.5

       Pumping Icon. Das Leben der Bilder im Gym

      Wie hat sich der öffentliche Umgang mit dem Körper durch die digitalen Medien, vor allem durch die Sozialen Netzwerke, in der Fitness- und Bodybuildingkultur des 21. Jahrhunderts verändert? Welche neuen Body-Bilder hat die Digitalisierung geprägt, und wie verhalten sie sich zu älteren Körperbildern? Dieses Buch versucht, Antworten zu geben. Zunächst werde ich die veränderten Bildkulturen in Fitnesscentern und Krafträumen (im Folgenden: Gyms) unter den Bedingungen der Digitalisierung analysieren. Auch Tattoos werden dabei eine Rolle spielen. Anschließend erläutere ich vor dem Hintergrund der Corona-Lockdowns, Massenquarantänen oder Kontaktbeschränkungen 2020, welche Arten von Fitness und damit verbundenen Body-Bildern in den Sozialen Netzwerken populär geworden sind, nicht zuletzt im Hinblick auf Kontinuität und Wandel im Training von Frauen und Männern. Ein weiterer Fokus wird auf den historischen Wegbereitern des nicht nur in den Sozialen Netzwerken boomenden Funktionellen Trainings – kurz gesagt alltags- und sportartrelevanter Bewegungsübungen – liegen. Zudem werfe ich vergleichende Seitenblicke auf den Kunstbetrieb. Den Yoga- und Wellnessboom klammere ich aus Platzgründen aus. Der Schwerpunkt liegt auf YouTube und auf dem Indoor-Bereich. Vorausschicken möchte ich ein paar allgemeine Bemerkungen zu den Bildkulturen in Gyms.

      #1 Fototapete im Gym Fitness Point Poznań, 2019

      Fotografisch und videografisch erzeugte Bilder sind in Gyms die Normalität. Klein- und großformatige Reproduktionen von Vor-Bildern wie Arnold Schwarzenegger, Jenny Worth oder namenlosen Models schmücken Gym-Wände weltweit, ob in jüngeren Franchises wie MC Shape oder im 1965 gegründeten Gold’s Gym in Venice, Kalifornien. (# 1) zeigt eine Fototapete (2020) im Gym Fitness Point in der polnischen Großstadt Poznań mit einem Porträt Arnold Schwarzeneggers. Obwohl es sich um ein 2014 eröffnetes, zentral gelegenes Mainstream-Studio in einem Einkaufszentrum


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