Jim Morrison. 100 Seiten. Birgit Fuß

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Jim Morrison. 100 Seiten - Birgit Fuß


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      Birgit Fuß

      Jim Morrison. 100 Seiten

      Reclam

      Für mehr Informationen zur 100-Seiten-Reihe:

       www.reclam.de/100Seiten

      2021 Philipp Reclam jun. Verlag GmbH, Siemensstraße 32, 71254 Ditzingen

      Covergestaltung nach einem Konzept von zero-media.net

      Infografiken: annodare GmbH, Agentur für Marketing

      Gesamtherstellung: Philipp Reclam jun. Verlag GmbH, Siemensstraße 32, 71254 Ditzingen

      Made in Germany 2021

      RECLAM ist eine eingetragene Marke der Philipp Reclam jun. GmbH & Co. KG, Stuttgart

      ISBN 978-3-15-961865-4

      ISBN der Buchausgabe 978-3-15-020576-1

       www.reclam.de

      »Light My Fire«: Prolog

      Auf die Frage, ob ich mir vorstellen könne, ein Buch über Jim Morrison zu schreiben, schickte ich ein leicht vergilbtes Foto zurück. Wenn ich an den Sänger der Doors denke, bin ich sofort zurück im Jahr 1989. Ich sehe mich mit 17 an seinem Grab in Père-Lachaise sitzen. Paris fand ich von der Architektur abgesehen überwiegend doof, weil ich kein Französisch konnte und mich unwillkommen fühlte. (Es half nicht, dass ein Typ, den ich auf Englisch fragte, wo der Ostbahnhof sei, mit »Vive la France!« antwortete, und meine Jugendherberge neben einer Sadomaso-Spelunke lag.) Auf dem Friedhof war dagegen eine faszinierende Ruhe. Es saßen nur ein paar Hippies herum, die wir damals Ökos nannten, manche rauchten und tranken Bier. Alle flüsterten. Der Steinklotz wirkte schäbig, die pompösen Gräber von Oscar Wilde und Edith Piaf waren weit weg. Ich wollte so gern cool sein, doch ich war so traurig. Hier liegt also das bisschen Materie, das auf der Erde von ihm übrig geblieben ist. Seine wahre Bedeutung, das wurde mir im Laufe der nächsten 30 Jahre klar, sitzt in unseren Köpfen und Herzen – und da hat er sich erstaunlich tief eingegraben.

      Spontan: Was fällt einem zu Jim Morrison ein? Viele sensationelle Songs. Fotos mit nacktem Oberkörper. Das Grab. Die Lederhose. Die Lippen. »Whisky a Go Go«. Verhaftungen. Gedichte. Aggression. Suff. Sex. Tod. Und dann war da noch: der Hass auf den Offiziersvater, die Faszination für »Indians« und Schamanen, der Spaß an der Manipulation, das Interesse an Filmen und Symbolismus, die Mischung aus Dionysos und Apoll, Ödipus und Sisyphos, der Hang zu Exzess, Exhibitionismus und Ekstase, aber auch die Verehrung für Jack Kerouac, Arthur Rimbaud und Friedrich Nietzsche. Vielleicht war manches davon oberflächlich, und natürlich war Morrison kein Baudelaire. Seine Poesiebände sind nicht so beeindruckend wie die Songs der Doors, weil sein Pathos dort von den unwiderstehlichen Melodien und der dunklen Stimme aufgefangen wird, während es auf Papier manchmal ein wenig übertrieben wirkt. Man muss Morrison auch nicht dafür lieben, dass er sich »The Lizard King« nannte und »Mr. Mojo Risin’«, wobei zumindest beim Eidechsenkönig durchaus eine Ironie mitschwang, die meistens übersehen wurde.

      Zwischen Graffiti und leeren Flaschen blieb noch etwas Platz zum Trauern: Birgit Fuß an Jim Morrisons Grab (1989)

      Aber wie viele Rockstars kennen Sie, die sich überhaupt für Existenzialisten, Surrealisten und Okkultisten interessieren? Kann sein, dass Jim Morrison kein großer Dichter und Denker war, doch er versuchte verdammt noch mal wenigstens, einer zu sein! Er gab sich nicht zufrieden, nie. Er hasste die Leute, die nur seinen Körper sexy fanden und nicht seine Seele, seinen Geist. Er war wohl zu schön, um ernst genommen zu werden, also legte er sich einen Bart und einen Bauch zu. Es half nichts, die Paranoia wuchs. Er floh nach Paris, und dann starb er: die letzte Herausforderung, das definitive Abenteuer.

      Am 3. Juli 1971 wechselte er, mit gerade mal 27, in eine andere Welt. Und 50 Jahre später haben die Doors immer noch nichts von ihrer Magie verloren. Wie ist das möglich?

      Sie hatten – vom Erscheinen ihres Debüts im Januar 1967 an gerechnet – nicht einmal fünf Jahre. Sogar die Beatles hatten mehr Zeit. Vergleichbar ist die Wucht, mit der die Doors in der Welt aufschlugen und wieder verglühten, allenfalls mit Nirvana. Doch Kurt Cobain taugte zwar zur Projektionsfigur und Glorifizierung, aber nicht als hedonistischer Rebell. Von allen Unsterblichen ist Jim Morrison der Unsterblichste – und derjenige, bei dem sich Erwachsene immer etwas verschämt winden: »Die Doors? Habe ich als Teenager geliebt!« Das Pin-up-Poster von Morrison wurde von der Wand genommen, doch wer schlau war, legte die Alben weiterhin auf: Es gab immer mal wieder etwas Neues zu entdecken in den Liedern, auch jenseits von juveniler Begeisterung. Sicher war Morrisons Lyrik nicht immer subtil (und sein Auftreten schon gar nicht), die Themen blieben aber relevant: Wo kommen wir her, wo wollen wir hin, wer sind wir, und was soll das alles? Das gilt übrigens genauso für einen anderen Mann, der stets den Zauber und die Weisheit suchte, irgendeine Utopie und irgendeinen Sinn: Hermann Hesse. Die Doors-Biographie Keiner kommt hier lebend raus von Jerry Hopkins und Danny Sugerman stand in vielen Regalen gleich neben Demian und Der Steppenwolf.

      »No eternal reward will forgive us now / for wasting the dawn«, sprach Morrison in »Stoned Immaculate«. Er hat keine Zeit verschwendet, nur sich selbst. Wenn er in »Take It As It Comes« so lässig »Specialize in having fun« empfiehlt, klingt das schon fast wie Hohn – ein Hippie, der einfach mal alles auf sich zukommen lässt, war Morrison nicht. »We want the world, and we want it now!«

      Innerhalb von sechs Alben wandelten sich die Doors von der psychedelischen Pop- zur Bluesband, blieben dabei aber immer unverwechselbar. Was nicht nur am Sänger lag. Er überschattete seine drei Kollegen bald, doch er brauchte sie; ohne sie wäre er vielleicht nur ein weiterer Rumhänger in Venice Beach geworden, der sich für etwas Besonderes hält. Diese Typen haben an ihn geglaubt und ihn hochgehalten, solange es ging: Ray Manzarek mit seiner grandiosen Orgel und der ungenierten Hybris, Robby Krieger mit seinem eingängigen Songwriting und der angenehmen Zurückhaltung, John Densmore mit seinem vertrackten Schlagzeug und der dringend nötigen Vernunft.

      Was sie nach dem Tod ihres Sängers alles veranstaltet haben (die peinlichen Comebacks, die Streitereien, die Veröffentlichungen jedes Schnipsels), soll hier kein Thema sein. Erinnern wir uns an Jim Morrison und die Doors, wie sie ewig bestehen: Von den ersten Takten von »Break on Through (To the Other Side)« bis zu den letzten von »Riders on the Storm« eröffneten sie uns in kaum mehr als vier Jahren eine Welt. Sie war wild und sinnlich, oft beängstigend, manchmal grotesk, aber eins war sie nie: klein.

       Fragen, die ich noch an Jim Morrison habe, Teil 1

      »Oh, don’t ask why«, singt er im »Alabama Song«, doch in einer Zeit, in der an allem gerüttelt wurde, was bisher als gesellschaftliche Norm galt, war Jim Morrison der König der Fragen. Er säte mit Absicht Unruhe, weil er wollte, dass die Menschen anfangen zu zweifeln und über das Gewohnte hinauszudenken. »Have you been born yet, and are you alive?« Ach, Jim, Du hast so viele kluge Fragen gestellt und so wenig Zeit gehabt, Antworten zu finden. So gern würde ich noch so viel von Dir wissen. Wie schrieb Rilke in Briefe an einen jungen Dichter? Es geht darum,

      Geduld zu haben gegen alles Ungelöste in Ihrem Herzen und zu versuchen, die Fragen selbst liebzuhaben wie verschlossene Stuben und wie Bücher, die in einer sehr fremden Sprache geschrieben sind. Forschen Sie jetzt nicht nach den Antworten, die Ihnen nicht gegeben werden können, weil Sie sie nicht leben könnten. Und es handelt sich darum, alles zu leben. Leben Sie jetzt die Fragen. Vielleicht leben Sie dann allmählich, ohne es zu merken, eines fernen Tages in die Antwort hinein.

      Nach all den Jahren sind immer noch so viele Fragen offen – und weil Jim Morrison am 3. Juli 1971 den Planeten verlassen hat, kann ich sie ihm nicht mehr stellen. Das hat mich schon als Jugendliche gefuchst, und vielleicht bin ich auch deshalb Journalistin geworden – um die Musiker


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