DSA: Rabenerbe. Heike Wolf

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DSA: Rabenerbe - Heike Wolf


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würde ihm ein Agent der Hand Borons mit Sicherheit nicht gewähren.

      Er spürte die Bewegung mehr, als dass er sie sah. Im letzten Augenblick fuhr er zur Seite, spürte einen scharfen Schmerz an der Schulter. Ein erstickter Fluch ertönte, als die Klinge abglitt und an die Wand schlug. Funken sprühten, und für die Dauer eines Herzschlags hatte Said eine Ahnung, wo sich sein Gegner befand.

      Doch er saß wie gelähmt, und der Moment ging vorüber, und Said erwachte erst aus seiner Starre, als er vor sich den Dolch durch die Luft zischen hörte. Mit einem erschrockenen Satz tauchte er zur Seite, rollte sich ab und spürte mit einem Mal die warme Basaltwand in seinem Rücken. Seine Kehle war wie zugeschnürt, während er sich innerlich verfluchte, dass er die Gelegenheit hatte verstreichen lassen. Seine Hand tastete nach der Verletzung an der Schulter. Ein kleiner Schnitt, nicht viel mehr, aber er sandte ein Stoßgebet zu Boron, dass der Wirt keine Gelegenheit gefunden hätte, die Klinge zu vergiften. Sonst wäre die Jagd schneller beendet als ihm lieb war.

      Er fuhr zusammen, als er vor sich ein Geräusch hörte, und sprang zur Seite. Mit dem Knie stieß er gegen etwas Hartes, Holz und dazwischen ein Tau, eine Kiste und etwas Längliches. Er musste in den Nebenraum gelangt sein, ohne dass er es bemerkt hatte. Hier könnte er sich vielleicht verstecken und auf eine Gelegenheit warten, dass dem Wirt ein Fehler unterlief.

      Lautlos kam er auf die Füße und lauschte in die Dunkelheit. Um ihn herum herrschte bleierne Stille. Wie in einem Grab, ging ihm durch den Kopf, aber er schüttelte den Gedanken gleich wieder ab. Er hatte noch zu viel vor, um hier zu sterben. Und vor allem hatte er ein Ziel.

      Vorsichtig bewegte er sich in die Richtung, in der er den Haufen mit den beschädigten Kisten vermutete, langsam und nach jeder Bewegung innehaltend. So fiel er auch nicht über den umgekippten Stuhl, der mitten im Raum lag und an den er nicht mehr gedacht hatte. Trotzdem konnte er nicht verhindern, dass das Holz über den Basaltboden schabte. Ein winziges Stück nur, aber das Geräusch zerriss die Stille wie Trommeln in der Arena.

      Said fuhr herum, als hinter ihm ein Licht aufflammte. Für einen Moment starrte er auf die Lichtkugel, die auf ihn zuflog. Dann hechtete er zur Seite.

      Noch ehe er aufkam, zischte etwas an seinem Ohr vorbei. Schwer prallte er gegen eine Kiste, die Nadel entglitt seinen Fingern und fiel mit leisem Klappern zur Seite zwischen die Trümmer. Said wusste, dass er sie verloren hatte, noch ehe sie zum Liegen kam. Hastig brachte er sich außerhalb der Reichweite des Lichts, das von einer kleinen Kugel ausging, dort, wo er gerade noch gestanden hatte. Ein magisches Licht, wie es schien, und auch, wenn es kaum mehr als zwei Schritt der Umgebung ausleuchtete, nahm es der Dunkelheit den schützenden Mantel.

      »Wollen wir dieses Spiel nicht langsam beenden?« Die Stimme des Wirts klang spöttisch von einer Stelle außerhalb des Lichtkegels. »Ich werde dich sowieso finden. Und dann werde ich dich nehmen und anschließend töten.« Seine Schritte klangen dumpf auf dem Basaltboden. »Komm heraus, dann werde ich mir vielleicht überlegen, es schnell und schmerzlos tun.«

      Said kauerte sich hinter einem Fass zusammen, wagte kaum zu atmen, während er spürte, wie Panik ihre tückischen Klauen um seinen Hals legte. Wie konnte er nur seine einzige Waffe verlieren? Wenn der Wirt ihn jetzt fand, hatte er nichts, was er ihm entgegensetzen konnte.

      Er schloss die Augen und versuchte, sein rasendes Herz zur Ruhe zu zwingen. Er musste atmen, sein Gleichgewicht wiederfinden. Panik war der falsche Weg. Sie machte kopflos, ließ vergessen, was zu tun war. Er musste ruhig bleiben, nachdenken. Seinen Verstand gebrauchen und sich seiner Stärken besinnen.

      Said spürte, wie die Luft durch seine Lungen zog, seine Gedanken langsam klärte. Es war seine letzte Prüfung, also musste er sich darauf besinnen, was er gelernt hatte. Eine Klinge war dann am gefährlichsten, wenn sie mit kalter Ruhe geführt wurde. Doch der Zweite Finger Tsas brauchte keine Klinge, um zu töten. In kundigen Händen war jeder Gegenstand ein geeignetes Werkzeug, und nur der Narr setzte sein Gedeih und Verderben auf eine Karte.

      Said öffnete die Augen, starrte in die vom Licht der Kugel aufgewühlte Dunkelheit, während er sich daran zu erinnern versuchte, was er sich vorhin erst eingeprägt hatte. Jeden Winkel des Raumes rief er sich ins Gedächtnis zurück, bis er wusste, was er zu tun hatte.

      Sein Körper spannte sich, während er nach dem Meuchler lauschte. Das Licht war weit genug entfernt, dass es seinen Winkel nicht erreichte, aber es half ihm, die Richtung abzuschätzen. Er hatte einen Versuch. Seine letzte Prüfung.

      Mit einem Hechtsprung setzte er über das Fass hinweg, rollte sich auf der anderen Seite ab und kam zwischen zwei Kisten wieder auf die Beine. Noch in der Bewegung warf er sich zur Seite. Keinen Augenblick zu früh, denn im gleichen Moment krachte die Faust mit dem Dolch dorthin, wo eben noch sein Brustkorb gewesen war. Said ließ sich fallen und versuchte, seinem Gegner mit einem gezielten Tritt die Beine wegzufegen. Er trat ins Leere, aber der Fluch und das Poltern verrieten ihm, dass der Wirt beim Zurückweichen gestolpert sein musste.

      Das war die Zeit, die Said brauchte. Mit einigen wenigen Sätzen war er an dem Hauklotz mit den Schweinegedärmen. Zielsicher griff er den Eimer mit den stinkenden Innereien und schleuderte herum, gerade rechtzeitig, um vor dem Licht der magischen Kugel die Gestalt auszumachen, die auf ihn zustürmte. Der Bottich traf den Meuchler am Kopf, Gedärm platzte auf und spritzte umher. Erschrocken prallte der Wirt zurück, fuhr sich mit einem Arm über das Gesicht, um die glibberigen Innereien wegzuwischen.

      Es waren nur ein, vielleicht zwei Herzschläge, aber Said wusste, was er tun musste. Noch während der Eimer ganz in der Luft war, riss er das Schlachtmesser aus dem Block. »Begegne der Schwester«, zischte er und schlug zu.

      Die Klinge glitt überraschend geschmeidig in die Kehle des Wirts, und erst, als Said sie mit einem Ruck zur Seite zog, spritzte das warme Blut hervor. Selbst im Halbdunkel konnte er den Unglauben erkennen, der sich auf dem Gesicht des Meuchlers ausbreitete. Ein röchelnder Laut versuchte, sich einen Weg durch die Kehle zu bahnen, doch es war nur Blut, das über seine Lippen trat. Dann sackte er auf die Knie, kippte langsam zur Seite und blieb schließlich regungslos liegen.

      Said schloss die Augen, während er im Stillen Boron dankte. Bis zuletzt hatte der Agent der Hand ihn unterschätzt, und das war sein Todesurteil gewesen.

      Er schlug ein Boronsrad über der Leiche und ging dann zu dem Licht hinüber, um es aufzunehmen. Neugierig betrachtete er die silberne Kugel, die aus zahllosen Poren heraus leuchtete. Er verstand leider viel zu wenig von Magie, um zu verstehen, wie sie wirkte, aber so etwas war praktisch. Vielleicht würde es ihm eines Tages auch möglich sein, sich ein solches Artefakt anfertigen zu lassen.

      Er trug es wie eine Lampe vor sich her, während er zwischen dem Gerümpel nach der Nadel suchte. Als er schließlich das Auge des Wirts aus dem Schädel löste, flackerte das Licht bereits und erlosch kurz darauf.

      Vorsichtig tastete Said sich zurück zur Treppe, die zum Schankraum führte, aber er stieg nicht hinauf, sondern klaubte das Zunderkästchen aus der Nische im Fels, um eine zweite Öllampe zu entzünden. Dann suchte er einige Flaschen Reisbrand aus den Regalen und leerte sie über der Leiche und im hinteren Raum aus. Die Zecher oben im Schankraum hatten oft geprahlt, der Brand aus dem Durstigen Hai stelle jedes Drachenfeuer in den Schatten. Als die Öllampe fiel, zeigte sich, dass sie recht hatten.

      ***

      Die Brabaker Baracken waren eng, und sie stanken. Marode Mietskasernen boten hier all jenen ein Zuhause, die es sich nicht leisten konnten, in die höher gelegenen Viertel zu ziehen. Leinen mit zerschlissener Wäsche überspannten die Straßen, manchmal so tief, dass man sich bücken musste, um darunter hinweg zu tauchen. Selemferkel und halbnackte Kinder wühlten im Schlamm, Bettler hockten im Schatten und reckten ihre Schalen den Vorbeieilenden entgegen. Der Gestank von Unrat und billigem Rauschkraut hing in der Luft, deren schwüle Hitze das Atmen schwermachte. Hier hatte sich all das Treibgut gesammelt, das im Laufe von Jahrzehnten und Jahrhunderten in Al’Anfas Hafen angeschwemmt worden war. Ein Teil davon waren die Maraskaner, die von ihrer Insel geflohen waren und seitdem im Exil ausharrten. Sie gehörten zum Bild der Brabaker Baracken wie der Rabenfelsen zum Silberberg – bunt gekleidete Gestalten, die selbst im ärgsten Schmutz die Schönheit der Welt priesen und beiläufig den Besen


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