Seewölfe - Piraten der Weltmeere 326. Davis J.Harbord
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© 1976/2017 Pabel-Moewig Verlag KG,
Pabel ebook, Rastatt.
eISBN: 978-3-95439-723-5
Internet: www.vpm.de und E-Mail: [email protected]
Davis J. Harbord
Inhalt
1.
Es war schon ein Witz, was sich Old Donegal Daniel O’Flynn an diesem Vormittag des 17. April 1593 mal wieder geleistet hatte – und das, ohne daß er vorher ein Kribbeln in seinem Holzbein gespürt hatte, was sonst meistens seinen düsteren Prophezeiungen vorauszugehen pflegte.
Der Himmel war heiter, und ebenso aus heiterem Himmel heraus hatte Old Donegal den Arm in die Luft gestoßen und düster verkündet, er sähe Sturmzeichen am Horizont aufziehen – dräuende Wolken, wie er sich ausdrückte, die gleich schwarzen Rössern des Unheils dahinjagten, und auf denen Nachtreiter säßen!
Und da war Hasard der Kragen geplatzt. Er hatte nach dem Kutscher gebrüllt, damit der sich um „Mister O’Flynn“ kümmere, weil der am Überschnappen sei. Und als Medizin hatte er dem Kutscher empfohlen, dem Alten eine Vollnarkose zu verpassen – mit dem Holzhammer, mit dem er sonst das Fleisch weichklopfe.
Es gab ja gewisse Gemüter an Bord – Smoky gehörte zu ihnen –, bei denen Old Donegals Spinnereien auf fruchtbaren Boden fielen. Je schauriger die Zukunftsdeutungen, desto wohliger war das Gruseln bei diesen gewissen Gemütern.
Da war Hasards Vorschlag mit dem Holzhammer zwar drastisch, jedoch auch bestens geeignet, einerseits Old Donegal Vierkant zu bremsen und andererseits den Lachmuskeln der Arwenacks einen kräftigen Anreiz zu geben.
Beides klappte hervorragend.
Old O’Flynn brachte keinen Piep mehr heraus und schnitt eine Miene, als habe er eine Qualle in einem Stück verschluckt, und die Arwenacks ließen Lachsalven über die Decks der „Isabella IX.“ dröhnen.
Der einzige, der nicht mitlachte und vermutlich zur Zeit den Eindruck haben mußte, unter die Irren gefallen zu sein, war ein Mann namens Ase Thorgeyr, ein blondmähniger, einäugiger Riese, der es in der letzten Nacht geschafft hatte, sich in Stavanger heimlich als blinder Passagier an Bord der „Isabella“ zu schleichen und unter der Jollenpersenning zu verstecken. Dort hatte ihn vor knapp einer Viertelstunde Plymmie, die Bordhündin, „erschnüffelt“ und erneut bewiesen, daß sie mit einer hervorragenden Nase ausgestattet war.
Dieser Riese Ase Thorgeyr war ein besonderes Kaliber, zumal er bereits mit Ed Carberry aneinandergeraten war. In einem wüsten Schlagabtausch hatten sie ausprobiert, wessen Fäuste die härteren wären. Nun, sie schienen gleichwertige Kämpfer zu sein, und das wollte bei Carberry etwas heißen.
Mit blinden Passagieren ist das so eine Sache. Sie sind Fremdlinge, und das um so mehr, je enger die Gemeinschaft einer Crew ist. Der Entdeckung durch Plymmie war der fürchterliche Schlagabtausch mit Carberry gefolgt, bei dem sich die beiden Kämpfer regelrecht ineinander verkrallt hatten. Erst Hasard hatte die beiden Kampfhähne voneinander getrennt.
Da hatten die Seewölfe noch nicht gewußt, wer dieser einäugige Riese war. Aber sie hatten entschieden, ihn mit nach Island – ihrem jetzigen Ziel – zu nehmen, statt nach Stavanger zurückzusegeln oder den Mann auf den Shetland-Inseln oder den Färöern auszusetzen. Diese Entscheidung entsprach ihrer ehrlichen Achtung, die sie für einen echten Kämpfer empfanden. Der Mann hatte auch Carberry spontan die Hand zur Versöhnung hingehalten, eine Geste, die für sich sprach, dafür hatten die Seewölfe ein Gespür.
Soweit war das alles in Ordnung.
Daß es sich bei dem Riesen aber um den verschollenen Bruder der Gotlinde Thorgeyr handelte, hatte den Seewölfen nun doch die Sprache verschlagen – bis auf Old O’Flynn, der wohl meinte, die Anwesenheit dieses Mannes an Bord der „Isabella“ mit „dräuenden Wolken“ vergleichen zu müssen, ganz abgesehen von den „schwarzen Rössern des Unheils“, auf denen „Nachtreiter“ säßen.
Gotlinde Thorgeyr!
Wegen dieser Frau segelten die Seewölfe und in ihrer Begleitung die Mannen Arne von Manteuffels auf der „Wappen von Kolberg“ nach Island, wo Unvorstellbares geschehen war, wie die Seewölfe von Eike und dem Boston-Mann erfahren hatten.
Thorfin Njal, der Wikinger und Kapitän des Viermasters „Eiliger Drache über den Wassern“, hatte zwar sein Traumziel Thule nicht gefunden, dafür aber jene Frau namens Gotlinde Thorgeyr, Herrscherin über den Thorgeyr-Hof und den Isa-Fjord an der Nordwestküste Islands. Bei dieser Frau war er vor Anker gegangen, und zwar für immer, wie er seinen Mannen verkündet hatte. Er wollte seine Gotlinde heiraten und für immer in Island auf dem Thorgeyr-Hof bleiben. Bei seiner Crew allerdings war er auf Unverständnis und schroffe Ablehnung gestoßen, als er verkündet hatte, seine Mannen sollten gleich ihm auf Island bleiben und am Isa-Fjord siedeln. Daß sie mit ihm und seiner Gotlinde auch noch gegen neidische Nachbarn kämpfen sollten, hatte allem die Krone aufgesetzt, aber dazu auch sein Wille, „Eiliger Drache über den Wassern“ in seinem Besitz zu behalten.
Der andere Eigner dieses legendenumwobenen Viermasters war Siri-Tong, die Rote Korsarin. Diese Tatsache war für Hasard Motivation genug, dem Hilferuf der Crew, den ihm Eike und der Boston-Mann überbracht hatten, zu folgen. Sollte der Wikinger ruhig mit seiner Gotlinde glücklich werden – das war seine Privatangelegenheit. Aber er hatte nicht das Recht, seine Männer zu zwingen, auf Island zu bleiben. Und er hatte nicht das Recht, Siri-Tongs Anteil an dem Viermaster für sich zu vereinnahmen.
Das war – hol’s der Teufel – ein ziemlich dicker Hund, den er sich da leistete.
Darum also segelten sie nach Island, und es konnte durchaus sein, daß Hasard dort auf einen sehr grimmigen und total vernagelten Thorfin Njal stieß, dem er in taube Ohren predigen würde, wenn er ihm vorhielt, ziemlich selbstherrlich mit der Crew und dem Miteigentum Siri-Tongs umzuspringen. So ging das ja nun wirklich nicht. Für Hasard war es das typische Zeichen, wie blind Männer werden konnten, wenn sie in Liebe entflammt waren.
Und nun stand hier auf der Kuhl der „Isabella“ ein blinder Passagier namens Ase Thorgeyr, Bruder der Gotlinde Thorgeyr vom Isa-Fjord, und Hasard war im Gegensatz zu Old O’Flynn fast geneigt, an Wunder zu glauben – nicht an „dräuende Wolken“.
Denn blitzartig war ihm etwas klargeworden: Dieser Mann war ein Geschenk, das er für seine Mission gar nicht hoch genug einschätzen konnte. Im Kartenspiel nannte man das einen Joker – eine Trumpfkarte, die man auf den Tisch knallen konnte, um das Spiel zu gewinnen.
Von diesen Zusammenhängen wußte der Riese natürlich nichts, und darum war er auch so verwundert über die Reaktionen der Männer, die ihn umstanden.
Hasard ließ ihn nicht lange im unklaren, nachdem das Gelächter verebbt war.
Durch