Seewölfe - Piraten der Weltmeere 263. Frank Moorfield
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© 1976/2016 Pabel-Moewig Verlag KG,
Pabel ebook, Rastatt.
ISBN: 978-3-95439-599-6
Internet: www.vpm.de und E-Mail: [email protected]
Inhalt
1.
Man schrieb den 30. Mai im Jahre des Herrn 1592. Die sommerliche Hitze lastete schwer über den Hafenstädten und Fellachendörfern des Nildeltas.
Auch in der Stadt Alexandria, die von den Ägyptern Iskenderija genannt wird, war die Luft heiß und feucht. Die Menschen, die hier lebten, hatten sich zwar an dieses Klima gewöhnt, aber dennoch waren viele froh darüber, daß wenigstens der Khamasin, ein heißer, föhnartiger Wüstenwind, der meist zwischen den Monaten März und Mai aus dem Süden heranzieht und sich schwer wie eine Bleidecke auf das menschliche Gemüt legt, das Feld geräumt hatte.
Auch auf den Gesichtern der Seewölfe glänzte der Schweiß.
Es war noch keine Stunde vergangen, seit Philip Hasard Killigrew mit seiner restlichen Mannschaft die Beiboote seiner ehemaligen Galeone im Hafen vertäut hatte und an Land gegangen war. Während er sich noch mit Ben Brighton, seinem Stellvertreter und Ersten Offizier, sowie mit einigen weiteren Männern im Hafengebiet aufhielt, hatten es die übrigen Seewölfe vorgezogen, sich nach all den Strapazen und Gefahren, die hinter ihnen lagen, ein wenig in der alten Stadt, die zwischen Abukir und Ras el Kanais an der nordafrikanischen Mittelmeerküste liegt, umzusehen.
Die Seewölfe waren rauhe, kampferprobte Burschen. Als Korsaren ihrer Königin, Elisabeth I. von England, hatten sie bereits manchen Sturm abgewettert und viele, schier ausweglose Situationen gemeistert. Aber daß es dem skrupellosen Schlitzohr Ali Abdel Rasul gelungen war, ihr Schiff, die „Isabella VIII.“, nach einer erfolgreichen Nilreise in den sogenannten Kanal der Pharaonen zu locken, wo es nun, unwiederbringlich, unter Bergen von Sand ein trockenes Grab gefunden hatte, ja, das ging ihnen immer noch gewaltig unter die Haut.
Schließlich hatten sie auf ihrer ranken Galeone zweimal die Welt umsegelt, und auf irgendeine Art und Weise war die alte „Lady“ jedem von ihnen ans Herz gewachsen.
Mit den geretteten Beibooten der „Isabella“ war es der Seewölfe-Crew gelungen, sich mühsam bis Damiette, einer Hafenstadt an der oberen Nordwestecke des Mensaleh-Sees, durchzuschlagen. Erst dort hatten sie sich in drei Gruppen zu je acht Mann aufgeteilt, weil es ihnen so leichter schien, die ferne Heimat zu erreichen. Und natürlich hatten sie nicht vergessen, entsprechende Treffpunkte in Old England zu vereinbaren. Dort würde man ein neues Schiff auf Stapel legen, und das, was sie von den Schätzen an Bord der „Isabella“ hatten mitnehmen können, würde mehr als genug dafür sein.
Die Gruppe, die Ferris Tucker, dem Schiffszimmermann, zugeteilt worden war – darunter Edwin Carberry, der Profos, samt Sir John, dem karmesinroten Aracanga-Papagei –, hatte das meiste Glück gehabt. Bereits in Damiette, das in arabischer Sprache Dumyât genannt wird, war es den Männern gelungen, auf dem französischen Kauffahrer „Mercure“ anzuheuern, bevor dieser mit Zielhafen Brest ausgelaufen war.
Die Gruppen um Philip Hasard Killigrew und Ben Brighton hatten sich die Beiboote geteilt und waren an der Küste entlang bis Alexandria gesegelt. Mit gutem Wind war es ihnen gelungen, das weite Nildelta zu passieren. Nun aber waren sie gezwungen, auf größere Segler umzusteigen, wenn sie das Mittelmeer hinter sich bringen wollten. Und bei allen Wassermännern und Meerjungfrauen – das wollten sie!
Mit den Beibooten war da nichts mehr anzufangen, denn ohne eine Unterschlupfmöglichkeit unter Deck und ohne genügend Stauraum für Proviant und Trinkwasser waren die Aussichten, das angestrebte Ziel zu erreichen, sehr gering. Philip Hasard Killigrew, der Seewolf, und der ruhige, besonnene Ben Brighton konzentrierten sich deshalb zunächst auf das Hafengebiet, während der Großteil der Besatzung mit offenen Mündern und Augen durch die winkligen Gassen der Stadt streunte. Um die Mittagszeit wollte man sich wieder treffen.
Auch Gary Andrews, der hagere, aber zähe Fockmastgast, Batuti, der herkulische Gambianeger aus dem Stamme der Mandingo, sowie Bob Grey und Dan O’Flynn hatten sich bereits ein ziemliches Stück vom Hafen entfernt und streiften staunend durch die Gegend. Arwenack, der Schimpanse, der die ungewohnte Umgebung argwöhnisch musterte, wich nicht von der Seite Dan O’Flynns, mit dem ihn schon von jeher eine enge Freundschaft verband.
In den Basaren und auf den Plätzen der Stadt herrschte ein buntes Leben und Treiben. Der Lärm zahlreicher Kinder wurde vom Geschrei der Händler übertönt, die ihre Waren anpriesen oder lautstark um die Preise feilschten. Vereinzelt drang das Meckern von Ziegen und das Geblöke von Schafen an die Ohren der vier Seewölfe, und plötzlich mischte sich, alles übertönend, der langgezogene Gebetsruf eines Muezzins zwischen die vielfältigen Laute und Geräusche.
„Das ist Lieblingslied von Profos, Mister Carberry“, stellte Batuti mit einem breiten Grinsen fest. „Hat immer Zahnweh von schaurigem Gesang gekriegt.“
Die Männer lachten, aber nicht nur wegen der immer noch etwas holprigen Sprache Batutis, sondern weil sie sich durchaus vorstellen konnten, was ihr Profos, der zusammen mit Ferris Tucker und sechs weiteren Crew-Mitgliedern nach Frankreich unterwegs war, für schmeichelhafte Titel für den Urheber des monotonen Gesangs bereit gehabt hätte. „Ein „jammerndes Rübenschwein“ oder ein „heulender Hering“ war noch das mindeste, was dabei herausgekommen wäre. Ja, irgendwie bedrückte es die Männer doch ein wenig, daß die Crew zur Zeit nicht vollzählig war. Man gehörte einfach zusammen und war aufeinander eingespielt. Und ohne die kernigen Lieblingssprüche Edwin Carberrys fehlte ihnen etwas.
Bob Grey, ein drahtiger, blonder Bursche mit braunen Augen deutete plötzlich auf einen zahnlosen Alten mit verschrumpeltem Gesicht. Er stand am Eingang eines Torbogens und fing sofort an, lebhaft zu schnattern, als er die vier „Giaurs“ samt ihrem Affen entdeckte.
Die Männer verstanden kein Wort, aber er schien sie zu irgend etwas einzuladen. Immer wieder erhob er die Stimme und deutete mit vielen Gesten und Beschreibungen ins Innere des Gebäudes.
„Was will er nur?“ fragte Bob.
„Vielleicht will er dich mit seiner ältesten Tochter verheiraten“, ulkte Gary Andrews, „oder er lädt uns zu einer Haremsbesichtigung ein. Das wär doch was, oder?“
Der Alte schien inzwischen jedoch begriffen zu haben, daß man ihn nicht verstand, deshalb ging er zu einer verständlicheren Zeichensprache über. Zuerst tat er, als wolle er die Djelaba, sein langes Übergewand, ausziehen, dann vollführte er Schwimmbewegungen und schließlich mimte er heftiges Schwitzen.
Da kam Bob Grey die Erleuchtung.
„Ich hab’s“, rief er. „Da drin ist ein Hamam, ein türkisches Bad.“
Beim