Laszive Landhausriten. Thomas Neumeier
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Thomas Neumeier
Laszive Landhausriten
© Begedia Verlag 2013
© Thomas Neumeier 2013
Vermittlung – Agentur Ashera
Umschlagbild – Shutterstock
Covergestaltung und Satz – Harald Giersche
Lektorat – Olaf G. Hilscher
ebook-Bearbeitung – Begedia Verlag
ISBN – 978-3-957770-39-4 (epub)
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Kapitel 1
Als Leo eine Bewegung hinter einem der erleuchteten Fenster im zweiten Stock wahrnahm, setzte er erneut das Fernglas an. Die Lücke zwischen dem Haselnussstrauch und den Auswüchsen der mächtigen Tanne, zu deren Füßen er lag, war groß genug, um das gesamte Areal im Auge zu behalten. Es war der optimale Beobachtungsposten, hoch gelegen und bestens getarnt.
Leo lenkte das Okular die lange Reihe mächtiger Flügelfenster entlang, bis er jenes fand, das seine Aufmerksamkeit erregt hatte. Er erspähte eine dunkelhaarige Frau, lachend und völlig unbekleidet, die sich mit einer anderen, nicht sichtbaren Person im Zimmer unterhielt. Indem sie die roten Vorhänge zuzog, schloss sie Leo aus.
Nur Augenblicke später weckte das eiserne Tor seine Aufmerksamkeit, als ein weiterer Wagen vorfuhr. Es war ein VW neueren Modells, die Farbe war in der fortgeschrittenen Abenddämmerung nicht genau zu erkennen. Ein Mann in legeren Freizeitklamotten stieg aus und trat auf den Anzugträger jenseits der Gitterstäbe zu, der an diesem Abend die Torwache spielte. Nach einem kurzen Wortwechsel wurde das Tor geöffnet, der VW durfte einfahren. Leo verfolgte seinen Weg durch den Garten zum Parkplatz an der Rückseite des Anwesens, wo seiner Schätzung nach inzwischen rund sechzig Fahrzeuge parken mussten.
In einem anderen Fenster des zweiten Stockwerks flammte Licht an, was Leo zum Anlass nahm, sein Sichtfeld entsprechend zu verändern. Da nahezu überall Vorhänge tiefere Einblicke in das Gebäude verwehrten, war er für jede solcher Gelegenheiten dankbar. Für einen kurzen Moment rückten hinter der Glasscheibe zwei dunkle Gestalten ins Blickfeld, die eine Kiste oder Truhe zwischen sich her trugen. Augenblicke später erlosch das Licht wieder.
Leo setzte sein Fernglas ab, als er das Knacken eines brechenden Zweiges irgendwo hinter sich vernahm. Vorsichtig fuhr er herum und richtete sich auf. Die Silhouetten der Bäume und Sträucher verharrten unbeweglich und still. Allmählich kroch die Dunkelheit des Waldes über seine Grenzen hinaus und nahm vom restlichen Land Besitz. Am Himmel leuchteten die ersten Sterne auf.
In der Annahme, falschem Alarm aufgesessen zu sein, widmete sich Leo wieder dem Gebäude. Das Hoflicht war zwischenzeitlich eingeschaltet worden und erhellte die kurze Auffahrt vom Tor bis zur Hauspforte.
Genau wie beim letzten Mal, als Leo auf der Lauer lag, hatte bislang niemand nach Abstellen seines Wagens das Haus umrundet, um an der Vordertür Einlass zu begehren. Für die Gäste musste folglich irgendwo an der Rückseite ein Eingang offen stehen. Leo hätte gerne noch auf die Ankunft seiner Zielperson gewartet, doch um für seine Annahme Bestätigung zu finden, beschloss er nun, seinen Standort zu wechseln. Da die Nacht schon Einzug hielt, konnte er es riskieren, seine Deckung zu verlassen.
Im Abstand von etwa zwanzig Metern umrundete Leo den eisernen Zaun, der das Grundstück einschloss. Hinter den Fenstern des Erdgeschosses und des ersten Stockwerks brannte fast überall Licht, doch Vorhänge verwehrten jeglichen Ein- und Ausblick. Auf einem der Bäume im Inneren des Eisenzauns bemerkten Leos scharfe Augen einen blinkenden roten Punkt. Vermutlich handelte es sich um eine Sicherheitskamera. Leo war deswegen nicht weiter beunruhigt. Selbst wenn sie seine Schritte hier draußen aufzeichnete, in der Dunkelheit wäre er unmöglich zu identifizieren.
An der Rückseite des Grundstückes angelangt, suchte Leo am Waldrand Deckung hinter einem Busch. Er wollte nicht riskieren, zufällig in die Scheinwerferlichter ankommender Fahrzeuge zu geraten, wenn sie den großen Schotterparkplatz ansteuerten.
Die rückseitige Perspektive des Gebäudes bekam er zum ersten Mal zu Gesicht. Auf einer imposanten, dem Parkplatz deutlich erhobenen Terrasse hatten sich zahlreiche Gäste eingefunden. In eleganter Abendgarderobe standen sie in Grüppchen beisammen, tranken Wein, Sekt oder vielleicht auch Champagner und naschten von kleinen Häppchen, die auf Tischen bereitlagen. Der danebst befindliche Swimmingpool war festlich beleuchtet, wurde aber nicht benutzt. Auf einem Balkon im zweiten Stockwerk hatten sich ebenfalls Personen eingefunden und beäugten das Treiben auf der Terrasse. Leo nahm die Leute eingehender ins Visier. Bislang kam ihm niemand bekannt vor, doch er war sich gewiss, dass sich das noch ändern würde. Mindestens eine Person, die sich über kurz oder lang zu dieser illustren Schar gesellen würde, kannte er nur allzu gut.
Ein weiterer Wagen umrundete das Gebäude und reihte sich zu den abgestellten Fahrzeugen am Parkplatz. Mann und Frau, beide in den mittleren Jahren und in sommerliche Ausgehkleidung gewandet, entstiegen ihm. Leo verfolgte ihren kurzen Fußmarsch zu einer Tür unterhalb der Terrasse, wo ihnen nach kurzem Verharren geöffnet wurde. Inwieweit sie eine Klingel betätigt hatten, war ihm entgangen.
Die Frau, die den beiden Einlass gewährte, trug eine weiße Gesichtsmaske, die von roten Federn umrandet war. Darüber hinaus trug sie nichts. Obgleich ihr Gesicht verborgen war, verriet der makellose Körper eine ganze Menge über sie: Jugend, Gesundheitsbewusstsein, Vitalität. Nachdem die neu angekommenen Gäste eingetreten waren, verschloss sie die Tür wieder.
Ein Rascheln im rückwärtigen Gebüsch ließ Leo zusammenzucken. Er wirbelte herum, doch noch geblendet vom Licht des Gebäudes stierte er zunächst in vollkommene Schwärze. Als sich seine Augen nach ein paar Sekunden auf die Lichtverhältnisse eingestellt hatten, sah er nichts außer Baumsilhouetten, Sträucher und dunkles Buschwerk. Er verfluchte seine Nervosität. Es gab nicht den geringsten Grund, schreckhaft zu sein, impfte er sich nachdrücklich ein. In jedem Wald gab es Geräusche. Niemand hier wollte ihm etwas antun. Selbst wenn man ihn hier draußen entdecken und stellen würde, dieser Wald war Staatseigentum und damit jedermann zugänglich.
Leo nahm sich wieder dem Gebäude an. Als er einen Audi A1 in den Parkplatz einrollen sah, schlug sein Herz einen Takt schneller. Die Farbe des Wagens war im Zwielicht der Hofbeleuchtung und der umgebenden Finsternis nicht klar auszumachen, doch als ihm ein kurzer Spähblick auf das Autokennzeichen vergönnt war, sah er sich in seinen Erwartungen bestätigt: Sandra Ratzmann war soeben eingetroffen.
Leo setzte das Fernglas ab und atmete tief durch. Als er das Areal erneut in Augenschein nahm, stieg Sandra aus ihrem Wagen. Ihr mokkabraunes Haar wehte im abendlichen Sommerwind, der das Areal umspielte. Das schwarze Kleidchen, in dem sie steckte, hatte sie auch bei der letzten Parteiversammlung getragen, als man ihr den verantwortungsvollen Posten der Ortsvorsitzenden angetragen hatte. Flüchtig leckte sie ihren bezaubernden Erdbeermund, ging zum Heck des Wagens und nahm eine Sporttasche aus dem Kofferraum. Leo wusste ziemlich genau, was dieses Gepäckstück enthielt.
Sandra machte sich auf den Weg zur Tür. Ihr Gang war Leo eine Augenweide. Ihr beschwingter Schritt und das damit verbundene, perfekt harmonische Zusammenspiel von Hüfte, Po und Beine hatte ihn schon immer betört.
Es sah nicht so aus, als ob Sandra angeklopft oder eine Klingel betätigt hatte. Die Tür öffnete sich trotzdem wie von selbst. Erneut erschien die gefiederte Nackte unter dem Türbogen und komplimentierte Sandra mit einer weichen Geste ins Gebäude. Dieser Offerte entsprach sie ohne Verzögerung. Hinter ihr wurde die Tür wieder geschlossen.
Was spielte sich in diesen Mauern ab? Leo hatte ein paar Angewohnheiten dieser Leute zusammengetragen, aber der Zweck ihrer Treffen war ihm nach wie vor rätselhaft. Anfänglich hatte er angenommen, es würde sich um exklusive Partys für gutsituierte Leute handeln, bei denen Sandra gelegentlich politische Kontakte knüpfte und bereits vorhandene pflegte. Das aber war bestenfalls der halbe Sachverhalt. Entsprechende Partys waren üblicherweise öffentlich bekannte Veranstaltungen, zu der auch die Presse eingeladen war, und keine verborgenen Zusammenkünfte in abgelegenen Herrenhäusern, bei denen den Gästen