Bauchgefühl & Gottvertrauen. Guido Cantz

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Bauchgefühl & Gottvertrauen - Guido Cantz


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ich damals voller Elan gestartet. Ich hatte ja keine Ahnung, dass so etwas wie schonendere Sprechtechniken überhaupt existierten. Hinzu kam, dass es damals in den Sälen noch kein Rauchverbot gab. Ich erinnere mich an Wochenenden, an denen ich am Sonntagvormittag – nach sieben Auftritten am Samstag – noch recht heiser auf der Bühne stand und in der ersten Reihe direkt unter mir jemand Zigarre rauchte. Zigarren waren bei Herrensitzungen damals ähnlich angesagt wie heute Smartwatches, die ihre Träger als fitte Leistungssportler auszeichnen sollen. Andere Zeiten, andere Statussymbole. Mit dem kalten Rauch in der Nase und einem Kratzen im Hals kämpfte ich mich durch die zwanzig Minuten meines Programms und freute mich auf die frische Luft draußen.

      Abends im Bett fühlte ich mich dann manchmal selbst wie ein starker Raucher. Ich spürte einen Druck auf der Brust, als hätte jemand eine steinerne Gehwegplatte darauf abgelegt. Und das, obwohl ich die erste Zigarette meines Lebens erst im Alter von über vierzig Jahren probiert habe und nach übereinstimmender Meinung meiner Frau und meiner Managerin dabei peinlich aussah.

      Bei einer Atem-, Stimm- und Sprechtherapeutin lernte ich nach den beiden Operationen meine Stimme ökonomischer einzusetzen. Seitdem inhaliere ich auch während einer Tournee oder der Session regelmäßig mit Salzwasser und absolviere vor dem ersten Auftritt ein paar Aufwärmübungen für die Stimmbänder. Bis heute ist die Stimme allerdings meine Schwachstelle, wenn ich krank werde, beginnt es immer mit Halsschmerzen und Heiserkeit.

       Plötzlich hilflos

      Die Stimmbandoperationen hatten mir meine Verletzlichkeit vor Augen geführt, doch dieser Krankenhausaufenthalt war von einer ganz anderen Qualität. Zwar versuchten alle Beteiligten, sich nicht anmerken zu lassen, wie besorgt sie in Wirklichkeit um mich waren, doch da sie keine professionellen Schauspieler waren, blieb mir das nicht verborgen.

      Ich war völlig hilflos. Mit gerade mal 25 Jahren war ich auf einmal darauf angewiesen, dass mich Schwestern und Pfleger in meinem Alter oder sogar jünger wuschen. Ich lag da wie ein nasser Lappen, hatte einen Blasenkatheter und obwohl ich mich nicht so schnell geniere, war mit das unendlich peinlich.

      Ich arbeitete selbstständig, verdiente mein Geld selbstständig, doch plötzlich war von meiner Selbständigkeit nichts mehr übrig. Mir das einzugestehen, fiel mir zunächst nicht leicht. Hilflos zu sein, widersprach zutiefst dem Bild, das ich von mir selbst hatte. Ich war der „Mann für alle Fälle“ und der Sportler, der vor zwei Wochen noch in der Landesliga gekickt hatte. Wie war ich nur in diese Lage geraten?

      Nachts konnte ich kaum schlafen, nicht nur weil sich das Gedankenkarussell im Kopf unaufhörlich drehte. Hinzu kam, dass in meinem Fünfbettzimmer niemals wirklich Ruhe einkehrte. Ein Mitpatient stöhnte fast ununterbrochen, ein anderer riss sich immer wieder die Zugänge aus dem Arm und eines Nachts erlitt wieder ein anderer einen Herzinfarkt. Wäre ich nicht tagsüber in meinen Erschöpfungsschlaf versunken, hätte ich die Zeit nur schwer durchgestanden.

      Immer wieder gingen mir quälende Fragen durch den Kopf: Was ist, wenn das alles nie mehr wieder in Ordnung kommt? Wenn du nicht zurück auf die Bühne kommst? Nie wieder Fußball spielen kannst? Wenn die Dinge, die dir am meisten Freude machen in deinem Leben für immer passé sind?

      Ich neige nicht zur Schwarzmalerei, aber mein Zustand begann mir Angst zu machen. Ich war ins Krankenhaus gegangen mit der Aussicht, nach einem simplen Routineeingriff unbeschwert in mein altes Leben zurückzukehren, nun aber war mein Leben an sich infrage gestellt. Wollte der liebe Gott mich etwas auf die Probe stellen? Wollte er vielleicht testen, ob diese Krankheit mein Vertrauen in ihn erschüttern könnte? – Nein, das entsprach nicht meinem Gottesbild.

      Irgendwann wich meine Verzweiflung und verwandelte sich Schritt für Schritt in Trotz. Da war es auf einmal wieder, dieses: „Guido, du schaffst das schon!“ Und ich weigerte mich, einen Plan B für mein Leben zu entwickeln. Nicht nur für die Zeit im Krankenhaus, sondern auch für danach. Nein, sagte ich mir, wenn ich hier raus und wieder auf die Beine käme, dann würde ich das machen, wofür ich am meisten brannte. Keine faulen Kompromisse oder halbherzigen Versuche, in irgendeinem Beruf zu landen, der nur dazu diente, meine Verwandtschaft zu beruhigen. Ich wollte auf die Bühne und in Zukunft Entertainer sein.

      ich weigerte mich, einen Plan B für mein Leben zu entwickeln.

      Blicke ich heute auf mein bisheriges Leben zurück, dann hatte sich dieser Wunsch eigentlich schon immer abgezeichnet. Egal ob ich in einer Band Schlagzeug spielte, Hauptrollen im Schultheater übernahm oder bei Familienfeiern die Erwachsenen unterhielt: Ich stand einfach gern im Mittelpunkt und genoss dieses Gefühl, dass andere Spaß an dem haben, was ich tat.

      Allerdings hinkte mein körperlicher Zustand meiner inneren Aufbruchstimmung erst mal noch weit hinterher, was folglich wieder meine Ängste schürte, dass ich nicht vollständig genesen könnte. Allein das Aufstehen war immer noch streng verboten. Ich habe dann irgendwann die Schwestern und Pfleger fast angefleht, mich doch wenigstens mit dem Rollstuhl zur Toilette fahren zu lassen, damit ich nicht auch noch die Bettpfanne benötigte. Sie waren so nett, mir das zu ermöglichen, auch wenn das für sie sehr viel mehr Arbeit bedeutete.

      Als es mir dann ein bisschen besser ging, hatte ich plötzlich das Bedürfnis, endlich mal wieder ein Getränk mit Geschmack zu genießen. Meine Versorgung mit Flüssigkeit regelte eigentlich der Tropf. Plötzlich bildete ich mir ein, unglaublich Lust auf Apfelsaft zu haben. Ein Pfleger war so nett, mir ein Glas zu besorgen. Ich genoss den Apfelduft in der Nase, er fühlte sich fast an wie ein Spaziergang durch eine Apfelplantage am Bodensee … Und dann der erste Schluck, er beamte mich gedanklich zurück in meine Kindheit. Ich sah mich zu Hause in unserer Küche stehen: Ein kleiner Junge, gerade mal so hoch wie die Platte unseres Küchentischs, der das Glas vorsichtig mit beiden Händen hielt. Dieser Saft schmeckte endlich mal nicht nach Krankenhaus, sondern nach vergangenen Kindertagen, nach Sorglosigkeit und In-den-Tag-hineinleben.

      Leider fehlt auf Apfelsaftflaschen der Hinweis auf die Risiken und Nebenwirkungen. Ich hatte kaum Appetit und deswegen auch so gut wie nichts im Magen, doch schon nach kurzer Zeit spürte ich, wie die Fruchtsäure alles in Aufruhr versetzte. Ich hatte eine tickende Apfelzeitbombe im Darmtrakt und war angesichts des nicht zu unterschätzenden Vorlaufs, den es für die Reise benötigte, bis ich endlich auf dem Topf saß, auf Hilfe angewiesen wie bei einem Formel-1-Boxenstopp: Ich brauchte Schmerztropfen, damit meine empfindliche Leiste überhaupt bereit war, das Ganze mitzumachen. Der Thermometerfühler musste aus meinem Hintern entfernt und diverse Infusionen von der Halterung über meinem Bett an einen Infusionsständer mit Rollen umgehängt werden. Zudem benötigte ich Hilfe, um mich in den Rollstuhl zu hieven. Danach rollte ich dann sehr langsam in Richtung Toilette, während mir eine Schwester den Infusionsständer hinterherschob. Wenn ich den gekachelten Raum dann endlich erreicht hatte, wartet noch der Kraftakt, mich vom Stuhl aufs Porzellan umzusetzen, diesen Teil erledigte ich dann wirklich allein, auch wenn mich das kräftemäßig fast an die Grenzen brachte. Wenn ich nach solch einem Toiletten-Ausflug endlich wieder im Bett lag, war ich auch so – ohne den Apfelsaft-Kick –jedes Mal fix und fertig wie Andere nach einem Marathonlauf.

       Geistlicher Beistand welcome!

      Am Wochenende besuchte dann der Krankenhausseelsorger die Intensivstation. Als ich gefragt wurde, ob er bei mir vorbeischauen solle, war ich sofort einverstanden. Zwar war meine Zeit als Messdiener längst vorbei und regelmäßige Besuche der Gottesdienste waren in diesem Alter auch nicht unbedingt Teil meiner Vorstellung von einem gelungenen Wochenende, doch jetzt, in diesem Moment, als dem Leben, wie ich es kannte, plötzlich der Stecker gezogen worden war, fing ich wieder an zu beten. Ich bat Gott um seine Kraft und Hilfe, damit ich wieder auf die Beine käme. Deswegen freute ich mich auch darauf, hier auf der Station die Heilige Kommunion zu empfangen und kurz mit einem Geistlichen zu sprechen. Ich erwartete zwar nicht, dass der Herr persönlich ihm eine Botschaft für mich mitgeben würde, aber man kann ja nie wissen. Allein das Gefühl, dass der Seelsorger sich Zeit nehmen und vielleicht tröstende Worte finden würde, sorgt bei mir für Vorfreude.

      Ich war zwar nicht mehr aktiv in der Gemeinde, aber immer noch gläubig und suchte in dieser Situation wieder die Nähe zu Gott. Denn mir


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