Erzählungen. Rainer Maria Rilke

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Erzählungen - Rainer Maria Rilke


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blonden Knaben. Wie ein Hintergrund, vor dem andere kleine Kindergedanken standen wie Bleisoldaten. Aber er empfand es doch, und vielleicht lebt erst einmal.

      Kleine Schriften

      Eine Begegnung

      Ein beliebiger Weg vor der Stadt. (Einzige Bedingung, daß man niemand begegnet). Der Hund ist plötzlich da, wie ein Einfall. Er benimmt sich absichtlich hündisch, scheinbar ganz erfüllt von seinen geringen Verrichtungen, aus denen er aber unbemerkt abgezielt, merkwürdig sichere Blicke nach dem Fremden wirft, der seinen Weg fortsetzt. Keiner dieser Blicke geht verloren. Der Hund ist bald vor, bald neben dem Gehenden, immerfort in heimlicher Beobachtung begriffen, die sich steigert. Plötzlich, den Fremden einholend:

      Also doch! Also doch!

      Er gibt überstürzte Zeichen der Freude von sich, mit denen er schließlich den Weitergehenden aufzuhalten sucht. Dieser macht eine schnelle, freundliche, beruhigende und zugleich abtuende Gebärde und kommt mit einem halben Schritt nach links leicht an dem Hund vorbei.

      Der Hund in freudiger Erwartung:

      Es steht noch bevor.

      Er schluchzt vor Gefühlsüberfülle. Endlich stürzt er sich, das Gesicht hinaufhaltend, nochmals vor den rascher ausschreitenden Mann: Jetzt kommt es, denkt er, und hält sein Gesicht hin, inständig als Erkennungszeichen.

      Jetzt kommt es.

      Was? Sagt der Fremde, einen Augenblick zögernd.

      Die Spannung in den Augen des Hundes geht in Verlegenheit über, in Zweifel, in Bestürzung. Ja wenn der Mann gar nicht weiß, was kommen soll, wie soll es dann kommen? – Beide müssen es wissen; nur dann kommt es.

      Der Gehende tut wieder seinen halben Schritt nach links, ganz mechanisch diesmal; er sieht zerstreut aus. Der Hund hält sich vor ihm und versucht – nun fast ohne besondere Vorsicht anzuwenden – dem Fremden in die Augen zu sehen. Einmal glaubt er ihnen zu begegnen, aber die Blicke haften nicht aneinander.

      Ist es möglich, daß diese Kleinigkeit … denkt der Hund.

      Es ist keine Kleinigkeit, sagt der Fremde plötzlich, aufmerksam und ungeduldig.

      Der Hund erschrickt: Wie (er faßt sich mühsam/, wenn ich doch fühle, daß wir … Mein Inneres … meine …

      Sprich es nicht aus, unterbricht ihn der Fremde fast zornig. Sie stehen einander gegenüber. Diesmal gehen ihre Blicke ineinander, die des Mannes in die des Hundes, wie Messer in ihre Scheiden gehen.

      Der Hund gibt zuerst nach; er duckt sich, springt zur Seite und mit einem von rechts seitwärts kommenden, untenbleibenden Aufblick gesteht er:

      Ich möchte etwas für dich tun. Alles möchte ich für dich tun. Alles.

      Der Mann ist schon wieder beim Gehen. Er tut, als ob er nicht verstanden hätte. Er geht scheinbar achtlos, aber er versucht doch, nach dem Hunde hinzusehen, ab und zu. Er sieht ihn linkisch und eigentümlich ratlos herumlaufen, voraussein, zurückbleiben. Auf einmal ist er ein paar Schritte voraus, dem Nachkommenden zugewendet in einer scharrenden Haltung, aus dem hochgestellten, versammelten Hinterkörper heraus nach vorn gestreckt. Mit großer Selbstüberwindung macht er ein paar leichtsinnige und kindische Spielbewegungen, wie um die Täuschung hervorzurufen, als hielten seine Vorderpfoten Lebendiges. Und dann nimmt er ohne ein Wort den Stein, der diese Rolle zu spielen hatte, ins Maul.

      Nun bin ich unschädlich und kann nichts mehr sagen; das liegt in dem Nicken, mit dem er sich zurückwendet. Es ist etwas beinah Vertrauliches in diesem Nicken, eine Art Vereinbarung, die aber, bei Gott, nicht zu ernst genommen werden soll. So obenhin und scherzhaft ist die ganze Sache, und so wird auch das Tragen des Steines aufgefaßt.

      Aber jetzt, da der Hund den Stein im Maul hat, kann der Mann es nicht lassen zu reden:

      Wir wollen vernünftig sein, sagt er im Weitergehen, ohne sich zu dem Hunde hinabzubeugen.

      Es hilft uns ja doch nichts. Was nützt es, wenn wir uns einander zu erkennen geben? Man darf gewisse Erinnerungen gar nicht aufkommen lassen. Mir war ja auch eine Weile so, und ich war nahe daran, dich zu fragen, wer du bist. Du hättest Ich gesagt, denn Namen sind ja nicht zwischen uns. Aber, siehst du, das hätte nicht geholfen. Es hätte uns nur noch mehr verwirrt. Denn ich kann es dir jetzt gestehen, daß ich eine Weile recht fassungslos war. Nun bin ich ruhiger. Wenn ich dich nur überzeugen könnte, wie sehr es für mich dasselbe ist. In meiner Natur liegen womöglich noch mehr Hindernisse für ein Wiedersehen. Du glaubst nicht, wie schwer wirs haben.

      Da der Fremde so sprach, hatte der Hund eingesehen, daß es nichts half, die Verstellung oberflächlichen Spielens fortzusetzen. Er war einerseits froh, aber gleichzeitig schien er, von einer zunehmenden Befürchtung erfüllt, den Redenden unterbrechen zu wollen.

      Erst jetzt gelingt ihm das, da der Fremde, erstaunt und erschrocken, das Tier sich gegenüber sieht in einer, wie er zuerst meint, feindseligen Haltung. Freilich im nächsten Augenblicke weiß er, daß der Hund, weit entfernt, Haß oder Feindschaft zu zeigen, gequält und geängstigt ist; in der scheuen Helligkeit seines Blickes und in der schrägen Haltung seines Kopfes ist das deutlich ausgesprochen, und es kommt noch einmal vor in der Art, wie er jetzt den Stein trägt, der unter den krankhaft hochgezogenen Lefzen in seiner ganzen Härte und Schwere daliegt.

      Plötzlich begreift der Mann, und er kann das Vorübergehen eines Lächelns nicht mehr verhindern:

      Du hast Recht, Lieber, es soll unausgesprochen bleiben zwischen uns, das Wort, das zu so viel Mißverständnissen Anlaß gab.

      Und der Hund legt den Stein vorsichtig hin wie etwas Zerbrechliches und seitwärts, um den Fremden nicht länger aufzuhalten.

      Der geht auch wirklich und merkt in seiner Versunkenheit erst später, daß der Hund ihn begleitet, unauffällig, anhänglich, ohne eigene Meinung, wie ein Hund seinem Herrn nachgeht. Das schmerzt ihn fast.

      Nein, sagt er, nein; nicht so. Nicht nach dieser Erfahrung. Wir würden beide vergessen, was wir heute erlebt haben. Das Tägliche stumpft ab, und deine Natur hat die Neigung sich unter meine zu ordnen. Dabei wächst schließlich eine Verantwortung an, die dein ganzes Vertrauen sich auf mich stellt; du würdest mich überschätzen und von mir erwarten, was ich nicht leisten kann. Du würdest mich beobachten und gutheißen, auch was nicht gut ist. Wenn ich dir eine Freude bereiten will: find ich denn auch eine? Und wenn du eines Tages traurig bist und klagst – werde ich dir helfen können? – Und du sollst nicht meinen, daß ich es bin, der dich sterben läßt. Nein, nein, nein. Geh, ich bitte dich: geh.

      Und der Mann begann beinah zu laufen, und es sah aus, als ob er vor etwas flüchtete. Erst allmählich mäßigte sich sein Schritt und schließlich ging er langsamer als vorher.

      Er dacht langsam: Was wohl sonst heute gesprochen worden wäre zwischen uns. Und wie man sich zum Schluß die Hand gereicht hätte –.

      Eine unbeschreibliche Sehnsucht regt sich in ihm. Er bleibt stehen und wendet sich rückwärts. Aber das Stück Weg biegt gleich hinter ihm in die Dämmerung hinein, die inzwischen eingebrochen ist, und es ist niemand zu sehen.

      Erlebnis

       I

      Es mochte weniger als ein Jahr her sein, als ihm im Garten des Schlosses, der sich den Hang ziemlich steil zum Meer hinunterzog, etwas Wunderliches widerfuhr. Seiner Gewohnheit nach mit einem Buch auf und abgehend, war er darauf gekommen, sich in die etwa schulterhohe Gabelung eines strauchartigen Baumes zu lehnen, und sofort fühlte er sich in dieser Haltung so angenehm unterstützt und so reichlich eingeruht, daß er so, ohne zu lesen, völlig eingelassen in die Natur, in einem beinah unbewußten Anschaun verweilte. Nach und nach erwacht seine Aufmerksamkeit über einem nie gekannten Gefühl: es war, als ob aus dem Innern des Baumes fast unmerkliche Schwingungen in ihn übergingen; er legte sich das ohne Mühe dahin aus, daß ein weiter nicht sichtlicher, vielleicht den Hang flach herab streichender Wind im Holz zur Geltung kam,


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