Damals bei uns daheim. Ханс Фаллада

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      LUNATA

Damals bei uns daheim

      Damals bei uns daheim

      Erlebtes, Erfahrenes und Erfundenes

      © 1942 Hans Fallada

      © Lunata Berlin 2020

      Inhalt

       Liebe Verwandtschaft!

       Festessen

       Prügel

       Penne

       Prozesse

       Reisevorbereitungen

       Familienfahrt

       Sommerfrische

       Großmutter

       Familienbräuche

       Mutter

       Wandervogel

       Onkel und Tanten

       Pechvogel

       Gärung

      Liebe Verwandtschaft!

      Meinen andern Lesern in der weiten Welt macht es nicht viel aus, ob auf den folgenden Blättern die vollkommene Genauigkeit vom Verfasser gewahrt ist. Ihnen ist Tante Gustchen Hekuba. Wie aber bestehe ich vor dir, sehr liebe Verwandtschaft –?! Wenn du findest, daß ich eine Geschichte von Tante Gustchen der Tante Wieke in die Schuhe geschoben habe – wenn du eine ganz neue Anekdote vom Vater hörst, und sie ist bestimmt erlogen! – und wenn der Schluß meines Berichtes von Großmutter nicht der familienkundigen Wahrheit entspricht – wie werde ich da vor dir bestehen?! Werdet ihr mich nicht einen Erzlügner schelten, einen gewissenlosen Verfälscher heiliger Familienüberlieferung? Werdet ihr mich nicht mehr auf der Straße grüßen, und werden meine Briefe keine Antwort mehr bei euch finden –? Ich denke doch nicht! Denn wenn ich im Kleinen sündigte, so bin ich doch im Großen getreu gewesen. Wenn ich bei den Taten erfand, so habe ich doch den Geist, so gut ich es vermochte, geschildert. Ja, ich glaube sogar, daß meine Freiheiten im Kleinen mir erst die Treue im Großen möglich gemacht haben. So habe ich die Eltern gesehen, so die Geschwister, so die gesamte Verwandt- und Bekanntschaft! Ihr seht sie anders? Geschwind, schreibet euer Buch! Meines bleibt mir darum doch lieb – als ein Gruß an die versunkenen Gärten der Kinderzeit.

      Euer getreuer Sohn, Bruder, Neffe, Onkel und Schwager, dermaleinst hoffentlich auch Großvater H. F.

      Festessen

      Feierliche Abendessen, zu jenen grauen Vorzeiten um das Jahr 1905 herum »Diners« genannt, waren der Schrecken meiner Eltern, aber die Wonne von uns Kindern. War das Weihnachtsfest vorüber, hatten zu Neujahr Portier, Briefträger, Schornsteinfeger, Waschfrau, der Milch- wie der Bäckerjunge ihren meist sowohl hinten gereimten wie auf buntes Papier gedruckten Neujahrswunsch abgegeben und dafür nach einer geheimnisvollen Preisskala Beträge von zwei bis zu zehn Mark empfangen, so fing meine gute Mutter erst sachte, bald dringlicher an zu mahnen: »Arthur, wir müssen wohl allmählich an unser Diner denken!«

      Zuerst sagte mein Vater nur leichthin: »Das hat gottlob noch ein bißchen Zeit!« Später seufzte er, schließlich stimmte er bei: »Dann werden wir also wieder einmal in den sauren Apfel beißen müssen. Aber das sage ich dir, Louise: mehr als fünfundzwanzig Personen laden wir diesmal nicht ein! Das vorige Mal war eine Fülle, daß keiner bei Tisch die Ellbogen bewegen konnte!«

      Worauf Mutter ihm zu bedenken gab, daß wir, bloß um uns zu »revanchieren«, mindestens vierzig Personen einladen müßten. »Sonst müssen wir eben zwei Diners geben, und zweimal diesen Aufstand im Hause zu haben, das bringt dich und mich um! Außerdem würden die zum zweiten Diner Eingeladenen alle gekränkt sein, denn ein zweites Diner gilt doch nur als Lumpensammler!«

      So glitten die Eltern ganz von selbst in immer häufigere eifrige Debatten über »unser Diner«. Debatten, denen wir Kinder mit größter Anteilnahme lauschten. Noch nicht so wichtig war uns die Frage, wer geladen wurde, wer neben wem sitzen sollte, trotzdem grade diese Frage meinen Eltern besonderes Kopfzerbrechen machte. Denn einesteils waren Rangordnung und Dienstalter (unter Berücksichtigung etwaiger Ordensauszeichnungen) strengstens zu beachten, zum andern mußten auch persönliche Sym- und Antipathien bedacht werden. Und schließlich entstand die schwere Frage: Hatten die so für ein vierstündiges Essen aneinander Gebannten sich auch was zu erzählen? Frau Kammergerichtsrat Zehner schwärmte nur für den Tirpitzschen Flottenverein, und Herrn Kammergerichtsrat Siedeleben interessierten neben seiner Juristerei nur kirchliche Dinge – ein solches Paar würde nie guttun! Und der liebe Kammergerichtsrat Bumm war auf dem linken Ohre taub, wenn er es auch nicht wahr haben wollte: schon fünfmal hatte in diesem Winter bei andern Kammergerichtsdiners Frau Kammergerichtsrat Elbe (Gutsbesitzerstochter vom Lande) neben ihm gesessen. Es machte ihr nichts aus, auch mal ein bißchen zu schreien, aber konnte man es ihr wirklich ein sechstes Mal zumuten –?

      Hatten die Eltern aber glücklich das kunstvolle Gebäude einer solchen Tischordnung errichtet und die Einladungen mit der mir sehr imponierenden Formel: U. A. w. g. (Um Antwort wird gebeten) durch Berlin versandt, so wurde unausbleiblich der Bau schon mit den ersten Antworten erschüttert bis in seine Grundfesten: der hatte die Influenza, dem war eben die Mutter gestorben, hier hatten die Kinder Diphtherie ...

      »Nein!« seufzte dann mein Vater, der sich immer am wohlsten über seinen Akten fühlte, »diese Abfütterungen sind etwas Schreckliches! Keiner schätzt sie. Warum verabreden wir uns nicht eigentlich alle, mit dem Unsinn Schluß zu machen –?!«

      Aber dies war ein rein rhetorischer Ausruf. Mein Vater wußte wohl, solchen Gedanken auch nur zu hegen, grenzte an anarchistischen Umsturz. Alles, was sich in der Juristerei kannte, lud sich alle Winter gegenseitig ein, wie das Offizierskorps sich untereinander einlud, wie die Geistlichkeit zu einem Teller Suppe bat, der auch vier Stunden dauerte – alles schön nach Ämtern und Klassen getrennt, daß nur kein neuer Gedanke in die altgewohnten Kreise kam!

      Doch, wie schon gesagt, diese Fragen interessierten uns Kinder nur als die Vorfragen der Hauptfrage: Was werden wir essen? Was werden wir trinken? Womit werden wir uns kleiden? (Nämlich die Mama, für den Papa war Gehrock mit weiß pikierter Weste selbstverständlich.) Oh, diese wichtige Frage: Koch oder Köchin? Jeder Koch war nach einem alten Glaubenssatz tüchtiger als jede Köchin, aber er war auch teurer und ließ sich nie etwas sagen. Mit der Köchin ließ sich angenehmer arbeiten, aber das letzte Mal war das Filet zäh gewesen, und die Eisbombe war ihr zusammengefallen.

      Ganz Fortgeschrittene ließen das Essen auch schon aus einer Stadtküche kommen, das dann im Hause nur aufgewärmt wurde. Aber dafür war Mutter gar nicht: »Es ist nicht das richtige, Arthur. Es schmeckt eben doch aufgewärmt!«

      In unserm Hause fiel nach langen Erörterungen die Entscheidung unweigerlich für die Köchin, trotz des zähen Filets und der zusammengefallenen Bombe. Dann erschien Frau Pikuweit eines


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