Ein Granatapfelhaus. Oscar Wilde
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Ein Granatapfelhaus
Märchensammlung
© 1891 by Oscar Wilde
Originaltitel A House of Pomegranates
Aus dem Englischen von Wilhelm Cremer
Illustrationen von Heinrich Vogler
Umschlagbild Lucian Zabel
© Lunata Berlin 2020
Inhalt
Der junge König
Es war am Vorabend seines Krönungstages, und der junge König saß allein in seinem schönen Gemach. Seine Höflinge hatten sich alle von ihm verabschiedet, indem sie nach der feierlichen Sitte des Tages ihre Köpfe bis zur Erde verneigten, und waren jetzt in dem großen Saal des Palastes versammelt, um von dem Professor des feinen Anstands ein paar letzte Anweisungen zu erhalten. Denn es gab unter ihnen einige, die noch ein ganz natürliches Benehmen zeigten, was bei einem Höfling, man braucht das kaum zu erwähnen, ein sehr schwerer Verstoß ist.
Der Jüngling – denn er war nur ein Jüngling, da er erst sechzehn Jahre zählte – grämte sich nicht über ihr Fortgehen. Mit einem tiefen Seufzer der Befreiung hatte er sich auf die weichen Kissen seines bestickten Lagers zurückgeworfen und lag da mit wilden Augen und offenem Munde, wie ein brauner Waldfaun oder ein junges Tier aus dem Forst, das um ein Haar in die Schlingen der Jäger geraten war.
Und es waren ja auch wirklich Jäger, die ihn gefunden hatten, die fast durch Zufall auf ihn gestoßen waren, als er barfüßig, eine Flöte in der Hand, der Herde des armen Ziegenhirten folgte, der ihn aufgezogen, und für dessen Sohn er sich immer gehalten hatte. Er stammte aber aus einer heimlichen Ehe der einzigen Tochter des alten Königs mit einem Manne, der weit unter ihr stand – einem Fremden, wie einige sagten, der durch den wundervollen Zauber seines Lautenspiels der jungen Prinzessin Liebe erobert hatte, während andere von einem Künstler aus Rimini sprachen, dem die Prinzessin viel, vielleicht zu viel Ehre erwiesen hatte, und der plötzlich aus der Stadt verschwunden war, ohne sein Werk im Dom vollendet zu haben. Das Kind stahl man, als es kaum eine Woche alt war, von der Seite seiner schlafenden Mutter weg und gab es einem einfachen Landmann und seiner Frau, die selbst keine Kinder hatten und im entlegensten Teil des Waldes, mehr als einen Tagesritt von der Stadt entfernt, lebten. Kummer oder die Pest, wie der Hofarzt feststellte, oder, wie manche glaubten, ein schnelles italienisches Gift, das in einem Becher gewürzten Weins gereicht wurde, tötete innerhalb einer Stunde nach seinem Erwachen das zarte Mädchen, das ihn geboren hatte, und als der treue Bote, der das Kind auf seinem Sattelbogen trug, von seinem müden Pferd herabstieg und an die grobe Tür der Hütte des Ziegenhirten klopfte, wurde die Leiche der Prinzessin in ein offenes Grab hinabgelassen, das auf einem verlassenen Kirchhof jenseits der Stadtmauern gegraben war, in ein Grab, von dem es hieß, daß in ihm schon eine andere Leiche lag, die eines jungen Mannes von wunderbarer und fremdländischer Schönheit, dem man die Hände mit verschlungenen Stricken auf dem Rücken zusammengebunden hatte, und dessen Brust viele rote Stichwunden zeigte.
So wenigstens lautete die Geschichte, die sich die Menschen zuflüsterten. Und sicher war es, daß der alte König, als er auf dem Sterbebett lag, entweder aus Reue über seine große Sünde oder einfach, weil er nicht wünschte, daß das Königtum an eine andere Linie fallen sollte, den Jüngling holen ließ und ihn in Gegenwart seines Staatsrats als Erben anerkannte.
Und es scheint, daß er von dem ersten Augenblick seiner Anerkennung an Merkmale jener seltsamen Leidenschaft für Schönheit gezeigt hatte, die bestimmt war, einen so großen Einfluß über sein Leben zu haben. Diejenigen, die ihn nach der Zimmerflucht begleiteten, die man zu seiner Benutzung ausgewählt hatte, sprachen oft von dem Freudenschrei, der von seinen Lippen brach, als er das feine Gewand und die reichen Juwelen sah, die man für ihn bereithielt, und die fast wilde Lust, mit der er den groben Lederrock und den rauen Schaffellmantel von sich schleuderte. Er vermißte zwar manchmal die schöne Freiheit seines Waldlebens und war stets geneigt, sich über die langweiligen Hofzeremonien zu ärgern, die ihm soviel von jedem Tag fortnahmen, aber der wundervolle Palast – den freudenreichen nannte man ihn – in dessen Besitz er sich jetzt wußte, erschien ihm wie eine neue Welt, die zu seinem Entzücken eigens geschaffen war. Und sobald er der Ratsversammlung oder dem Audienzzimmer entfliehen konnte, lief er die große Treppe mit ihren Löwen aus vergoldeter Bronze und ihren Stufen aus schimmerndem Porphyr hinab und wanderte von Zimmer zu Zimmer und von Flur zu Flur, wie jemand, der im Schönen ein Heilmittel gegen den Schmerz, eine Gesundung aus dem Siechtum sucht.
Auf diesen Entdeckungsfahrten, wie er sie wohl nannte – und sie waren ja für ihn wirkliche Reisen durch ein wunderbares Land, wurde er oft von den schlanken, blondhaarigen Hofpagen begleitet mit ihren wehenden Mänteln und den lustig flatternden Bändern. Aber noch viel öfter war er allein, denn mit einem schnellen, sicheren Instinkt, der fast eine Offenbarung war, fühlte er, daß die Geheimnisse der Kunst nur im Geheimen gelernt werden können, und daß Schönheit, wie Weisheit, den einsamen Verehrer liebt.
Viele seltsame Geschichten wurden um diese Zeit über ihn berichtet. Man erzählte, daß ein würdiger Bürgermeister, der gekommen war, für die Bürger der Stadt eine mit blühenden Phrasen geschmückte Denkschrift zu überreichen, gesehen hatte, wie er in wirklicher Anbetung vor einem großen Gemälde kniete, das man gerade aus Venedig gebracht hatte, und das den Dienst irgendwelcher neuen Götter zu verkünden schien. Ein andermal wurde er mehrere Stunden vermißt und nach langem Suchen fand man ihn in einer kleinen Kammer in einem der Nordtürme des Palastes, wie er ganz verzaubert auf eine griechische Gemme starrte, in die die Figur des Adonis eingeschnitten war. Man hatte ferner beobachtet, wie er seine warmen Lippen auf die marmorne Stirn einer antiken Statue drückte, die man beim Bau einer Steinbrücke im Flußbett gefunden hatte, und die den Namen eines bithynischen Sklaven Hadrians trug. Und eine ganze Nacht verbrachte er damit, den Eindruck zu beobachten, den das Mondlicht auf eine silberne Statue des Endymion machte.
Alle seltenen und kostbaren Gegenstände übten jedenfalls einen starken Zauber auf ihn aus, und in seinem Verlangen, sie sich zu verschaffen, hatte er viele Kaufleute ausgesandt, einige, um von dem rauen Fischervolk der Nordsee Meerschaum einzuhandeln, andere, um in Ägypten nach jenen merkwürdigen grünen Türkisen zu suchen, die man nur in den Gräbern der Könige findet, und von denen man sagt, daß sie magische Eigenschaften besitzen. Noch andere mußten nach Persien reisen für seidene Teppiche und bemalte Töpferwaren, oder nach Indien, um Florgewebe zu kaufen und buntes Elfenbein, Mondsteine und Armbänder aus Achat, Sandelholz und blaues Emaille und Halstücher aus weicher Wolle.
Aber, was ihn am meisten beschäftigt hatte, war das Gewand, das er bei seiner Krönung tragen sollte, das Kleid aus gewebtem Gold, die rubinengeschmückte Krone und das Zepter mit seinen Kränzen und Reihen von Perlen. Und auch an diesem Abend dachte er daran, als er auf seinem kostbaren Lager lag, und den großen Block von Tannenholz betrachtete, der langsam in dem offenen Kamin verglühte. Die Entwürfe aus den Händen der berühmtesten Künstler waren ihm schon vor vielen Monaten vorgelegt worden, und er hatte Befehl gegeben, daß die Handwerker Tag und Nacht arbeiten sollten, um sie auszuführen, und daß man die ganze Welt nach Juwelen durchsuchen sollte, die dieser Arbeit würdig waren. In Gedanken sah er sich schon in dem strahlenden Gewand eines Königs vor dem Hochaltar des Domes stehen, und ein Lächeln umspielte seine jungen Lippen und entfachte strahlenden Glanz in seinen dunklen Waldaugen.