Mississippi-Bilder. Gerstäcker Friedrich
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Gesammelte Schriften
Friedrich Gerstäcker
Mississippi-Bilder
Licht- und Schattenseiten transatlantischen Lebens
Volks- und Familien-Ausgabe Band Zehn
der Ausgabe Hermann Costenoble, Jena
Friedrich-Gerstäcker-Gesellschaft e.V., Braunschweig
Ungekürzte Ausgabe nach der ersten Buchausgabe, Arnoldische Buchhandlung, Dresden u. Leipzig, 1847 u. 1848 in 3 Bänden. Herausgegeben und mit einem Nachwort versehen von Thomas Ostwald und Prof. Dr. Wolfgang Hochbruck, sowie mit Hinweisen auf die Erstveröffentlichungen der Erzählungen.
Ein Teil der Illustrationen wurde dem Band Western Lands and Western Waters, 1864, London, entnommen.
Wir bedanken uns für die finanzielle Unterstützung bei der Realisierung der vorliegenden Buchausgabe beim Verkehrsverein Braunschweig – Netzwerk der Tradition.
Friedrich-Gerstäcker-Gesellschaft e.V. u. Edition Corsar
Braunschweig. Geschäftsstelle Am Uhlenbusch 17
38108 Braunschweig
Alle Rechte vorbehalten. © 2013 / 2020
Die Sklavin
Amerikanische Nachtstücke. Die Sclavin in:
Das Pfennig-Magazin für Belehrung und Unterhaltung. Neue Folge.- F. A. Brockhaus, Leipzig, 1845.
Das Mail- oder Postboot war eben von New Orleans angelangt, und über die von demselben ans Ufer geschobene Planke strömten in ununterbrochenem Zuge fast alle Geschäftsleute und Müßiggänger der kleinen Stadt Bayou Sara1 an Bord, um teils für sie angekommene Briefe und Pakete in Empfang zu nehmen, teils ihre Neugierde zu befriedigen, und an dem zierlich ausgeschmückten Schenkstande ein Glas Brandy und Eiswasser zu schlürfen.
Der Kapitän des Postbootes, ein kleiner Franzose mit grauem Rock, schwarzem Filzhut und außerordentlich blank gewichsten Stiefeln, schien überall zu sein, und während ihm große Schweißtropfen an der geröteten Stirn glänzten, schimpfte er in fürchterlich gebrochenem Englisch auf Gott und die Welt, vorzüglich aber auf den Postmeister, der ihm aus seinem Comptoir, eben als er kaum den Rücken gewandt, ein Paket Briefe in zu großem Amtseifer entführt und mit hinauf auf die Post genommen hatte.
„God dam him!“ wetterte der kleine Mann, mit der Faust auf das grünbeschlagene Pult niederschlagend, dass die Tinte hoch empor spritzte. „Was hat der Pflasterschmierer (der Postmeister hatte zu gleicher Zeit eine Apotheke und einen Kramladen, und ließ sich gern ,Doktor‘ nennen) in meinem Comptoir zu suchen? Schleppt Briefe hinauf, eh? Denkt nachher Wunder, was er getan hat; aber wart‘ – Du kommst mir wieder.“
„Kapitän! Briefe für mich angekommen?“ fragte ein junger, schlanker Mann, dem Erzürnten lachend dabei auf die Schulter klopfend.
„Geht in die Hölle oder zum Quacksalber hinauf!“ fluchte dieser weiter, ohne sich nur die Mühe zu nehmen, herumzuschauen, wer ihn angeredet habe.
„Hallo! Was ist wieder im Wind?“ lachte der junge Pflanzer. „Die Kessel voll zum Zerplatzen? Dampf genug, um drei gewöhnliche Boote in die Luft zu blasen! Immer noch der Alte! Ihr Franzosen seid doch sonderbares Volk; gleich Feuer und Flamme, wie Duponts Schießpulver!“2
„Der Postmeister hat die Briefe mit hinaufgenommen,“ antwortete der Buchhalter statt des Kapitäns.
„Dam him!“ rief dieser, und warf die Glastür hinter sich ins Schloss, dass die Scheiben klirrten. „Never mind“, sagte der Pflanzer, „er will gern seine Viertel-Dollars dafür ziehen – alles zu Onkel Sams3 Bestem, ‘s ist ein gar uneigennütziger Mann, ich kenne ihn wohl; wer einen Brief abholt, muss auch eine Kleinigkeit im Laden kaufen, oder eine Schachtel Medizin mitnehmen. Doch ich will hingehen und sehen, ob etwas für mich angekommen ist.“
Damit trat er hinaus auf den Gang, stieg die Kajütentreppe hinunter, und war eben über die Planke ans Ufer gesprungen, als er eine Hand auf seiner Schulter fühlte, und ihn eine freundliche, wohlbekannte Stimme anredete:
„Hoho, Ned, wohin so eilig? Rennst Du doch, als ob Du von einer Wahl kämst und die wichtigsten Neuigkeiten mitbrächtest!“
„Guston! Bei allen Teufeln und Engeln der vier Elemente“, rief der also Angeredete in freudigem Erstaunen aus. „Guston! Aber wie um des Himmels Willen kommst Du denn jetzt hierher, wo ich Dich ehrbar und fest in Connecticut angesiedelt glaubte; hast Du die östlichen Staaten schon satt?“
„Vollkommen, mein alter Junge, vollkommen“, entgegnete Guston. „Der Böse hole die freien Staaten; ein Pflanzer kann nun einmal da nicht existieren, wo kein Sklavenhandel ist. Ich hatte erst allerlei phantastische Ideen von der Freiheit und Gleichheit der Menschen“, fuhr er fort, als er seinen Arm in den des jungen Mannes hing und mit ihm an das Ufer hinauf schlenderte. „Ich glaubte es eine Sünde, meinen ,schwarzen Bruder‘, wie die Methodisten sagen, zu schinden und zu plagen, bat daher meinen Alten um Reisegeld und ging nach New York. Von dort aus schrieb ich Dir, dass ich gesonnen sei, mir ein Landgut zu kaufen und mich im Norden des Staates oder in Connecticut, zwischen den dort eingewanderten gemütlichen Pennsylvaniern niederzulassen. Es war damals meine Absicht, und hätte ich es getan, so ständen wir jetzt nicht hier auf louisianischem Grund und Boden zusammen; gerade damals lernte ich aber einen jungen Mann kennen, dem ich mich anschloss und dessen intimer Freund ich wurde, so dass ich, da er in Geschäften nach Europa musste, mit ihm ging und mit dem Great Western hinüber nach dem ,alten Lande‘ segelte.“
„So bist Du indessen in Europa gewesen?“ unterbrach ihn erstaunt der junge Pflanzer.
„Gewiss“, nickte Guston, „in England, Irland und Deutschland; durch die ersten beiden Länder begleitete ich meinen neugefundenen Freund, bis dieser sich plötzlich in ein irländisches Mädchen, und zwar so rasend verliebte, dass er in vier Wochen Hochzeit hielt, gegenwärtig mit allen möglichen alten Squires und jungen Gentlemen nach Füchsen und Kirchtürmen rennt, über alle nur aufzufindenden Hecken, Gräben und Mauern wegsetzt, und sich jetzt, wenn er nicht unter der Zeit den Hals gebrochen hat, ganz wohl befindet. Ich selbst hatte es da bald satt, ging zurück nach England und ließ mich von da nach Deutschland übersetzen. Dort hatte ich Gelegenheit, das Leben der unteren Volksklassen, das Leben der A r m e n kennen zu lernen, und, Ned, von dem Augenblick an bedauerte ich unsere Sklaven nicht mehr. Es muss hart sein, die Freiheit zu verlieren und der Willkür eines oft vielleicht zu strengen Herrn preisgegeben zu werden; aber das Elend, das ich dort gesehen, die N a h –
r u n g s s o r g e n der Unglücklichen, vor deren Augen die eigenen Kinder darben und verderben; der Frost noch dazu im Winter, wo der Vater, der einzige Brotverdiener, e i n g e k e r k e r t wird, wenn er den Jammer zu Hause nicht mehr mit anschauen mochte, und in den Wald ging, um ein paar Zweige abzubrechen und die Seinigen wenigstens zu erwärmen, wenn er sie nicht sättigen konnte – der eingebildete, förmlich wahnsinnige Stolz des Adels dabei, gegenüber den unglücklichen Armen – und außerdem noch eine ,gesetzliche‘ Willkür, die dem Unglücklichen mit dem vollen Pomp und Schein offenbarer Gerechtigkeit mit gierigen Händen das L e t z t e nimmt und dem Vernichteten in der Pracht und dem Luxus der Großen wie zum Hohn alles das zeigt, was er eben entbehren muss, nicht einmal imstande, seine Kinder so zu füttern, wie die H u n d e der Großen gefüttert werden – und das, Ned, füllte mich mit Ekel und Überdruss, und ich kann Dir gestehen, ich war froh, als ich das ,alte Land‘ wieder hinter mir hatte. Es mag denen dort zusagen, die es ihre H e i m a t nennen, der Eskimo liebt ja seine Eisberge und Trannahrung, aber dem, für den es diesen Zauber entbehrt, ist es ein trauriger Aufenthalt – ich möchte dort nicht leben. Nach kurzem Aufenthalt in Deutschland kehrte ich über Hamburg nach New Orleans zurück, und bin heut, wie Du mich siehst, mit dem Postboot heraufgekommen, um von hier zu Land meines Vaters Plantagen zu erreichen.“
„Das zu lernen, brauchtest Du wahrhaftig nicht nach Europa zu gehen“, lachte Ned, „das weiß jedes Kind, dass es unsere Neger besser haben als die armen Leute in Irland oder Deutschland, hol‘ sie der Henker, und doch murren die Kanaillen; aber heut Abend bleibst Du bei mir, und morgen früh nimmst Du mein Pferd, dein Alter hat Dich