Die Faulheit der Frauen. Renate Wullstein

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Die Faulheit der Frauen - Renate Wullstein


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schnappte nach Luft, als stünde die Summe noch immer an.

      Toni grinste.

      Ich berichtete besonders ausführlich über die bösartige Vorgehensweise der Bank. Auf diese Weise hoffte ich, dass er, der seine Konten ebenfalls dort hatte, aus Solidarität sofort wechseln würde. Ich hoffte immer, dass er etwas tun würde, irgendetwas, das seine Liebe zu mir bewies.

      ”Hast du eigentlich gestern den Anrufbeantworter abgehört?”

      ”Ja. Ich hatte bis Mitternacht zu tun, abends war ich bei Viola, wir haben über den Plänen gesessen.”

      ”Ist Viola die Architektin?”

      ”Ja. Sie ist meine Architektin”

      Ich nickte und tat ein paar unsinnige Schritte in Richtung Lager.

      ”Übrigens, ich hab Fliesen für dich zurückgelegt”, fiel mir ein.

      Ich ging nach hinten, um die in Zeitungspapier eingewickelten Stücke zu holen. Jemand hatte die alten Kacheln, die in blau weiß mit holländischem Windmühlenmotiven bemalt waren, vor einigen Tagen zu mir gebracht, weil er das Ambiente für einen An- und Verkauf hielt. Ich hatte sie gekauft, weil ich wusste, dass Toni alte Kacheln für die zukünftige Küche suchte. Toni war anspruchsvoll und kaufte bei IKEA nur das nötigste, aber keine Kacheln.

      Er wickelte die Stücke aus.

      ”Ich nehme sie”, sagte er. ”Wie viel? Was kostet?”

      ”Für dich zehn Mark das Stück, Einkaufspreis.”

      ”Einverstanden.” Er wickelte sie wieder ein.

      “Warst du bei ihr zu Hause?” fragte ich.

      “Ja.”

      “Warum hast du mir nicht Bescheid gesagt oder irgendwas?”

      “Wieso soll ich dir Bescheid sagen?”

      “Hast du ein Verhältnis mit ihr?”

      “Sie hat einen Mann und Kinder.”

      “Na und.”

      Toni warf mir einen strengen Blick zu.

      Plötzlich sprang er auf, nahm einen letzten Schluck Kaffee und sagte: ”Ich muss wieder los, arbeiten. Wir sehen uns heute Abend.”

      In diesem Moment erschien Loretta in der Tür.

      ”Hallo”, sagte sie und blieb im Türrahmen stehen. Sie schaute Toni entgeistert an, als würde sie diesen Menschen zum ersten Mal sehen.

      ”Was gibt’s Neues?” sagte Toni zu ihr.

      ”Nichts. Heute Abend ist Ausstellungseröffnung in der Kunstfabrik. Geht ihr da hin?”

      Ich blickte Toni an, der das Bücherregal betrachtete.

      ”Gehen wir da hin?”

      ”Können wir machen.”

      Er tippte auf einen Buchrücken.

      „Solltest du mal lesen“, sagte er zu mir. Er zog das Buch aus dem Regal und legte es auf den Schreibtisch. Ich las den Titel: Der Cinderella-Komplex oder die heimliche Angst der Frauen vor der Unabhängigkeit

      Häh? Was ist los?

      Zum Abschied hampelte er vor meiner Nase herum, machte seinen Oberkörper steif, kippte wie bei einer Gymnastik einmal nach vorn und einmal nach hinten; ließ plötzlich ein Bein hochschnellen. Er tat solche Dinge vermutlich, um einen Überschuss an jugendlicher Energie abzureagieren. Ich bekam Angst um das Inventar. In der Tür stieß Toni einen Pfiff aus, hob kurz die Hand und verschwand mit einem hysterischen Lachen.

      Als er draußen war, sagte Loretta: ”Komischer Typ.”

      Ich nickte. ”Das sagst du jedes Mal.”

      ”Das sage ich jedes Mal?”

      ”Ja.”

      “Was willst du mit dem?” sagte sie.

      “Keine Ahnung”, sagte ich. Jedem in meiner Umgebung schien klar zu sein, dass wir kein Paar waren.

      ”Deine Kacheln”, rief ich Toni hinterher. Er stieg bereits ins Auto. ”Hol ich mir später”, rief er. ”Wann sehen wir uns heute Abend?”

      ”Um acht in der Kunstfabrik.”

      Toni

      Das Besondere an Toni, er war ein Stotterer, aber kein gewöhnlicher, sondern gewissermaßen ein Quartals-Stotterer. So war ich auf ihn aufmerksam geworden. Das hatte mich gereizt. Ich setzte Stottern mit Zurückhaltung, Schüchternheit und Unberührtheit gleich. Mein Fehler. Und wollte ihn erlösen. Er sprach die meiste Zeit normal und es überraschte einen jedes Mal, wenn es plötzlich stockte. Als Loretta mich das erste Mal mit ihm zusammen sah, erzählte sie später, dass sie einmal eine denkwürdige Begegnung mit ihm gehabt habe, als sie in der Tischlerei einen Auftrag für einige Fenster abgab. Da saß dieser Toni im Büro und brauchte mehrere Minuten für einen einzigen Satz, und sie dachte, wieso muss ausgerechnet er die Kundschaft betreuen. Das sei doch eine Zumutung. Einige Tage später hatte sie ihn im Café mit einem Mädchen in der Unterhaltung beobachtet. Fließende Rede. Der hat mich verarscht, dachte sie, der stottert gar nicht. Und war empört. Genauso lief auch meine erste Begegnung mit ihm ab. Ich lernte ihn stotternd, stockend, nach Luft ringend kennen. Die Tischler kamen jeden Abend zum Essen ins Hofcafé, ich kannte sie vom Sehen. Normalerweise half ich nur für eine Stunde in der Küche aus, aber an jenem Tag musste ich in den von mir ungeliebten Service. Ungeliebt, weil ich stets unter Stress geriet, denn ich hatte den Tick, dass es schnell gehen müsse, dass niemand wartete und am liebsten alle zugleich ihre Bestellungen bekamen. Es heißt, das zukünftige Leben eines Menschen ist bereits im Geburtsvorgang erkennbar. Meine Geburt war ungewöhnlich schnell passiert.

      Ich ging also zu den Tischlern und nahm die Bestellung auf. Toni war der letzte. Ich sah ihn an, und er rang schon nach Luft. Sch…sch…schinken…. K… k …k k käse….Omelett, und so weiter. Ich blickte seine Kollegen an, sie halfen ihm nicht. Was mich aber vollkommen verblüffte, er bestellte nicht wie die anderen ein oder zwei Gerichte, sondern vier. Und es dauerte eine Ewigkeit. Was für eine Frechheit, dachte ich, der Laden ist voll, die Leute warten auf mich, und dieser Typ stottert die gesamte Speisekarte ab. Er bestellte das Omelett, einen Französischen Salat, einen überbackenen Schafskäse und einmal Crepes Cointreau. Und ich starrte ihn an, schrieb auf, bevor er fertig war mit dem Wort, immer mit dem Impuls, an seiner Stelle zu Ende zu sprechen. Aber da es keiner von seinen Leuten tat, die ihn ja kannten, war mir klar, es gehörte sich nicht. Von diesem Tag an hatte ich ihn erwählt. Diesen jungen Mann zu erlösen, das war mein Auftrag. Wie Loretta, bemerkte auch ich, dass er die meiste Zeit überhaupt nicht stotterte. Er erzählte mir dann, dass er sich früher versteckt gehalten hatte, möglichst nicht redete, bis er sich zwang, in die Offensive zu gehen, die Leute mit seinem Stottern zu konfrontieren und sogar Spaß daran habe, wenn er neue Kundschaft empfing, zu beobachten, wie hilflos die meisten reagierten. Und was die Unschuld betraf, die habe er mit fünfzehn verloren.

      Den Nachmittag verbrachte ich mit der Steuererklärung und fand nach kurzer Zeit Gefallen an den Zahlen. Die Einnahmen rechnete ich korrekt zusammen, für die Ausgaben hatte ich keine Belege, also schrieb ich in die Rubrik Gewinnermittlung minus neunhundert, die Höhe meiner aktuellen Schulden.

      Auf dem Hof der Kunstfabrik, ehemals eine kleine Textilmanufaktur, wimmelte es von Leuten, die ich von anderen Ausstellungseröffnungen kannte. Ich entdeckte Toni sofort. Er lehnte an einer Hauswand und redete mit einem unbekannten Mädchen. Er hatte die Angewohnheit, an einem öffentlichen Ort zunächst so zu tun, als sähe er mich nicht. Nur heute, vielleicht wegen seiner Unhöflichkeit am Vormittag, winkte er kurz. Während ich den Hof durchstreifte auf der Suche nach einem Imbiss, dem Getränkestand und irgendeinem Gesprächspartner, behielt ich Toni im Auge. Er lehnte mit nur einer Schulter an der Wand, Arme verschränkt, Beine verschränkt und der schlanke Körper in abenteuerlicher Schräglage.


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