Blutdienst. Stefan Landfried

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Blutdienst - Stefan Landfried


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gab ich sie einem anderen Krieger, der keine bekommen hatte, da nicht genug für alle vorrätig waren. Dennoch war es für mich eine Ehre, in Thortrygs Heer kämpfen zu dürfen.

      Wir zogen bereits mehrere Wochen durch das Land, um Thortrygs Bruder zu finden und zu stellen. Als gewöhnlicher Soldat erfuhr ich nicht viel über den Bruder. Man erzählte sich im Lager, dass er nach dem Tod ihres gemeinsamen Vaters versucht hat, Thortryg zu töten, während Thortryg ihm vorgeschlagen hatte, gemeinsam zu herrschen. Weiterhin versuchte er wohl, das ganze Land in den Krieg zu stürzen, nur um an weitere Besitztümer heranzukommen. Ich weiß von meinem Vater, dass der alte Jarl wohl alles dafür getan hatte, um sein Land zu beschützen und Handel zu treiben. Natürlich überfiel auch er andere Länder, aber er hatte wohl nie versucht, seine Grenzen auszuweiten. Thortryg mochte diesen Weg beibehalten und so versuchte er, seinen Bruder zu stoppen, bevor das Land vollkommen im Blut ertrank. Ich hielt das für ein ehrenwertes Ziel.

      In dieser Jahreszeit waren die Nächte oft regnerisch und kalt. Um meine Hände wenigstens kurz aufzuwärmen, musste ich kurz vor dem Einschlafen meinen Schwanz festhalten. Das war das einzige Körperglied, das warm blieb. Danach konnte ich zwar meine Eier auf meinen kleinen Finger legen, aber immerhin war die Hand kurz warm. Jeden Morgen übten wir uns im Schildwall und im Zweikampf. Danach wurde gegessen, sofern man diesen Fraß als Essen bezeichnen konnte, und wir zogen weiter. Die Versorgung der Männer war wegen der mangelnden Nahrung, dem schlechten Wetter und fehlender Rüstteile wie Armschienen für die Bogenschützen eher schlecht. Versorgungswägen blieben stets im Schlamm stecken und verzögerten unseren Marsch häufig. Erst nach mühsamen Befreiungen ging der Marsch weiter. Die Rationen waren so eingeteilt, dass die Männer bereits an Gewicht verloren. Einige waren bereits sehr schwach auf den Beinen. Die Nahrungslieferungen blieben oft wegen des schlechten Wetters stecken. Manchmal brachten unsere Jäger gute Beute mit, die direkt mit Beifall und Jubel in Empfang genommen wurde.

      Mir machte das alles wenig aus. Ich war es gewohnt, wenig zu haben und trotzdem stark zu sein. Allerdings wünschte ich mir manchmal eine Frau in mein Bett. Die ganze Zeit unter Männern, die sich gegenseitig herausforderten und ihre Stärke unter Beweis zu stellen mochten, war ebenso ermüdend wie ein Weibsbild, das die ganze Zeit schnattert wie eine Gans.

      Im Lager war ich eher ein Einzelgänger. Ich freundete mich nur mit einem Mann an: Borg. Borg war so alt wie ich, dafür aber um einiges größer und stärker. Manchmal hatte ich das Gefühl, dass er nur aus einem einzigen großen Muskel bestand. Leider konnte ich nicht viel mit ihm sprechen, da er auch dumm war wie ein leerer Becher Bier. Erstaunlicherweise hatte er dafür ein großes Geschick. Oder Glück. Wir würfelten oft, und das Glück ist ja bekanntlich mit den Dummen.

      An einem nebligen Morgen waren wir gerade dabei, uns etwas zu essen zu holen. Borg und ich mussten nicht weit laufen bis zur Feuerstelle, an der die Tage zuvor ein magerer Kerl gestanden und den widerlichen Haferbrei gerührt hatte. Es hätte mich nicht gewundert, wenn dieses Stinkgesicht in den Brei gepisst hätte, um ihn zu strecken. Wobei, dann hätte es vielleicht besser geschmeckt. Auf dem Weg dorthin fiel mir auf, dass kein Vogel zu hören war. Das Essen wurde auch heute wieder von diesem Stinkgesicht zubereitet. Die anderen Köche nahmen die Rationen aus dem Lagerwagen und verteilten sich auf die Feuerstellen im Lager. Es gab insgesamt zwanzig größere Feuerstellen, sodass der Andrang der Krieger beim Essen nicht zu groß war. Man bemerkte in der letzten Zeit, dass unsere Horde gereizter wurde. Die Männer fuhren schneller aus der Haut, wenn ihnen etwas nicht passte. Schlägereien waren an der Tagesordnung und manchmal half es nur, wenn ein Krieger der Wolfshorde dazwischenging.

      Meine Holzschüssel wurde mit nur einem Schöpflöffel gefüllt. Ich rümpfte meine Nase und ging mit hängendem Kopf zu meinem Platz zurück. Dort saß bereits Borg mit seinem Essen in der Hand. Er winkte mich zu sich und deutete auf den Platz ihm gegenüber. Zwei unserer Späher kamen durch den Nebel zurück ins Lager. Sie wirkten abgehetzt und eilten zu Thortryg. Ich dachte mir nichts weiter dabei, obwohl sich ein ungutes Gefühl in mir breitmachte. Es war nicht ungewöhnlich, dass Späher sich abhetzen. Eine Situation muss schnell übermittelt werden, bevor sie vorbei ist.

      Langsam setzte ich mich zu Borg und hielt meine Schüssel an den Mund. Diesen verdammten Haferbrei konnte ich bald nicht mehr sehen. Also schlang ich das Zeug so schnell wie möglich herunter.

      Ich schob mir gerade den Rest der Schüssel in den Mund, als ein Hornsignal mich blitzartig aufschnellen ließ. Die Schüssel flog im hohen Bogen auf Borgs Kopf und ich packte instinktiv meinen Schild.

      »Schildwall!«, schrie Thortryg, der gerade aus seinem Zelt herausgestürmt kam. Er zeigte mit seinem Schwert in die Richtung, in die wir uns ausrichten sollten.

      Genau in diesem Moment begann es in der Luft zu zischen und zu surren. Pfeile flogen auf unser Lager zu und sorgten für unsere ersten Toten. Wildes Gebrüll und ein reges Treiben herrschten. Bereits bei Thortrygs Befehl waren die meisten Männer auf den Beinen, doch man merkt einer Armee immer an, wie erfahren die Männer sind. Wir waren es bis dahin noch nicht. Die Wolfshorde verteilte sich im Lager und trieb all jene an, die sich, in Panik verfallen, verstecken wollten. Laute Schreie gellten durchs Lager. Die Befehlshaber brüllten Befehle, andere brüllten vor Schmerz, als sich Pfeile in sie gruben. Ich blickte zu Borg, der nun neben mir stand, wie ich mit erhobenem Schild. Ein Pfeil krachte mit lautem Klang in meine geschützte Front, woraufhin wir uns in Bewegung setzten. In mir brodelten die Gefühle. Auf dem Weg zum Schildwall konnte ich keinen klaren Gedanken fassen. Meine Beine schienen von allein zu rennen.

      Die erste und die zweite Reihe des Schildwalls standen schon bereit und wir hasteten darauf zu. Ein Pfeil schwirrte direkt an meinem Kopf vorbei und hinter mir hörte ich einen Aufschrei. Ich hatte keine Zeit, mich umzudrehen. Mein Körper befahl mir, weiterzurennen, um den Schildwall nicht in Gefahr zu bringen und um mich selbst zu schützen. Im Wall übersteht ein Mann den Pfeilhagel besser als auf freiem Feld.

      Borg und ich schlossen in die vierte Reihe auf und hoben unsere Schilde über den Kopf unserer Vordermänner. Ein Mann trat hinter mich und deckte mit seinem Schild meinen Kopf. So funktioniert der Schildwall. Jeder ist für den anderen da, um ihn zu schützen. Gibt es nur eine Schwachstelle, ist das Gemetzel grauenvoll.

      Immer noch hörte ich überall Schreie und Gebrüll. Pfeile donnerten auf unsere Schilde. Ich drehte meinen Kopf und sah, dass weitere fünf Reihen sich dem Schildwall angeschlossen hatten.

      Auf einmal war alles ruhig. Meine Ohren rauschten vom Blut, das in meinem Körper pulsierte. Das Stöhnen der Verwundeten war zu vernehmen und das schwere Atmen der Männer um mich herum. Es war die Ruhe vor dem Sturm.

      In der Luft lag der eiserne Geruch des Blutes. Dieser Duft bekam plötzlich einen stinkenden Zusatz. Ich blickte an meinem Vordermann herab und sah, dass er sich eingeschissen hatte. Niemand spottete darüber, denn es ging vielen so. Jeder einzelne von uns hatte Angst. Wir mussten nur die Angst in Wut umwandeln. Ich hatte meinen Arsch unter Kontrolle, allerdings stieg die Angst in mir nach oben, sodass ich nicht mehr an mich halten konnte, und meinem Vordermann über die Schultern spie.

      Borg konnte sich ein Kichern nicht verkneifen und sagte: »Der Arme stirbt mit Scheiße und Kotze auf seinem Körper. Da hast du ja das ganz große Los gezogen.«

      Gelächter machte sich breit unter den Kriegern und selbst mein Vordermann musste etwas lachen.

      Wir verstummten jäh, als wir plötzlich ein Donnern hörten, gefolgt von Schritten. Der Nebel war so dicht, dass Borg und ich höchstens einen Speerwurf weit sehen konnten. Das Donnern wurde lauter und lauter. Der Feind schlug auf seine Schilde und Unruhe machte sich unter unseren Männern breit. Ein Name drang immer und immer wieder aus dem Nebel hervor, gerufen von Thjodrecs Männern, die bereit waren für den Kampf: »Thjodrec! Thjodrec!«

      Aus dem Nebel wurden Umrisse von Männern mit ihren Schilden sichtbar. Der Schildwall von Thjodrecs Männern stand nun direkt vor unserem. Sie blieben stehen und verstummten.

      Da war sie wieder. Diese Ruhe. Nervosität staute sich in mir auf. Ich hatte den Drang, loszustürmen und zu kämpfen. Andererseits spürte ich große Furcht, sodass ein Rückzug auch in Frage käme. Dieses Hin und Her drohte meinen Geist zu zerreißen. Jeder Muskel in meinem Körper war angespannt


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