Altes Herz geht auf die Reise. Ханс Фаллада

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       Altes Herz geht auf die Reise

       Hans Fallada

      

      Inhaltsverzeichnis

       1. KAPITEL

       2. KAPITEL

       3. KAPITEL

       4. KAPITEL

       5. KAPITEL

       6. KAPITEL

       7. KAPITEL

       8. KAPITEL

       9. KAPITEL

       10. KAPITEL

       11. KAPITEL

       12. KAPITEL

       13. KAPITEL

       14. KAPITEL

       15. KAPITEL

       16. KAPITEL

       17. KAPITEL

       18. KAPITEL

       19. KAPITEL

       20. KAPITEL

       21. KAPITEL

       22. KAPITEL

       23. KAPITEL

       24. NACH- UND SCHLUSSKAPITEL

       Impressum

      1. KAPITEL

      Worin Professor Gotthold Kittguß von einem Engel besucht und nach Unsadel gesandt wird

      Es war einmal ein alter Professor namens Gotthold Kittguß, der hatte weder Weib noch Kind. Bis zu seinem fünfzigsten Lebensjahr war er schlecht und recht an einem Berliner Gymnasium Lehrer der christ-evangelischen Religion gewesen. Zudem hatte er die jüngeren Jahrgänge in die lateinische und griechische Sprache eingeführt, während er mit den älteren, soweit sie sich später der Gottesgelehrsamkeit widmen wollten, das Neue Testament im griechischen Text gelesen und das Hebräische exerziert hatte.

      Diese fünfundzwanzig Jahre seines Lehrerdaseins hatte eine wahre Liebe zu den heranwachsenden Knaben erwärmt, und sein eifrigstes Bemühen war dahin gegangen, ihnen nicht nur die Schrift, sondern auch den Geist, der in dieser Schrift wohnt, recht faßlich zu machen. Viele Male schon hatte er den Jungen das Neue Testament erklärt und damit auch die Offenbarung Johannis, aber nie hatte er versucht, gerade an dieses letzte und ihm sehr liebe Buch der Heiligen Schrift mit eigenen Deutungen heranzugehen.

      »Da aber ließ mir«, wie er in seinem Tagebuch niedergeschrieben, »der Herr mit einemmal ein Licht aufgehen, durch das mir die Pforte zum göttlichen Bau der Offenbarung aufgeschlossen ward. ›Wie‹, fragte ich mich, ›wenn zwar für die Herrlichkeit des vollendeten Reiches Gottes keine Zeitschranke gesetzt wäre, wohl aber für den vorangehenden Jammer, welcher der Weg zu dieser Herrlichkeit ist?‹ Mit der stärksten Klarheit und Überzeugung stellte sich diese Vermutung vor meine Seele, und ich ward so sehr von ihr eingenommen, daß ich nicht mehr imstande war, die Unterrichtung meiner Knaben fortzusetzen …«

      Trotz mancher an ihn gerichteten Bitte von Mitlehrenden und Schülern suchte er um seine Pensionierung nach, die ihm schließlich auch gewährt wurde. Und nun zog er sich ganz in seine Berechnungen, Textvergleichungen und Schriftdeutungen zurück.

      Nur einem Studienfreunde von ehemals, einem Geistlichen Thürke im Mecklenburger Lande, hatte er von den tieferen Gründen zur Veränderung seiner Lebensumstände Mitteilung gemacht, und zwar mit den Briefworten: »Es ist mir nicht möglich, Dir eine Nachricht vorzuenthalten, von der ich gleichwohl wünschen muß, daß Du sie vorerst ganz für Dich behältst … Unter dem Beistand des Herrn habe ich die Zahl des Tieres gefunden. Dieser apokalyptische Schlüssel ist von Wichtigkeit, denn diejenigen, welche jetzt geboren sind, kommen in wunderbare Zeiten hinein. Auch Du hast Dich darauf gefaßt zu machen, denn Weisheit wird nottun …«

      Dies war im Dezember geschrieben, und es wurde März, ehe Professor Kittguß eine Antwort seines Freundes Thürke in Händen hielt: Es sei ihnen ein Töchterchen geboren, das in der Taufe den Namen Rosemarie erhalten habe, und als Taufpaten habe man auch den Herrn Professor Gotthold Kittguß in das Kirchenbuch eingetragen, weswegen man seine Zustimmung erhoffe. – Es freuten den Freund die wunderbaren Zeiten, denen dies Mägdlein entgegengehe! Indessen möge er, der Kittguß, seine Untersuchungen beschleunigen und sobald wie tunlich abreisen in die ländliche Pfarre, sich das Patenkind zu beschauen. Auch auf dem Lande fehle es nicht an Zeichen kommender guter Zeiten: in diesem Jahre sei der Frühling eher, denn je erhört, gekommen, auf dem Kirchgang seien die Schwalben schon über dem Täufling mit ihrem Zwi-Wit hingeschossen …

      Professor Kittguß hatte einen Augenblick nachsinnend über diesem Brief gesessen, in seiner dunklen Wohnung war es für eine kurze Frist hell gewesen; er hatte den Brief auch beantworten wollen. Dann aber war er zwischen andere Papiere geraten, die Berechnungen, was eine halbe Zeit, ein ϰαιϱός, und eine gemessene Ewigkeit, ein aÏÂn seien, hatten den Professor wieder ganz gefangengenommen. Und so blieb der Brief unbeantwortet und vergessen, durch sechzehn Jahre, wie die ganze Umwelt vergessen und ohne Lebenszeichen vom Professor blieb.

      Wir haben ihn uns in all diesen fast nur hinter dem Schreibtisch verbrachten Jahren vorzustellen als einen immer noch ansehnlichen, großen Mann mit einem breiten, fleischigen, weißen Gesicht, festem Kinn, starken, dunklen Augenbrauen, braunen, freundlichen, aber etwas fremden Augen und sorgfältig gescheiteltem, weißem, etwas gewelltem Haar. Er gab viel auf Sauberkeit, stets war er glatt rasiert, seine weißen Halsbinden waren sorgfältig gestärkt und geplättet, seine weißen, sehr kleinen, etwas vollen Hände, an deren Handgelenken erst da und dort der erste gelbe Altersfleck auftauchte, trugen trotz aller Bücher und Schreibereien nie ein Spürchen Staub oder Tinte.

      Betreut wurde der Professor von der Witwe Müller, die hinten in der Küchenregion lautlos wirtschaftete, lautlos ihm das Essen hinstellte, an jedem Sonnabend ungefragt die frische Wäsche über den Stuhl legte und nie ein überflüssiges Wort sprach.

      Die beiden waren so ineinander eingelebt, daß sie oft viele Wochen nicht einmal miteinander sprachen.


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