Die leise Sprache der Toten. Walter Brendel

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Die leise Sprache der Toten - Walter Brendel


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      Walter Brendel

      Die leise Sprache der Toten

      Die leise Sprache der Toten

      Walter Brendel

      Otto Prokop

      Impressum

      Texte: © Copyright by Waltr Brendel

      Umschlag: © Copyright by Walter Brendel

      Verlag: Das historische Buch, 2021

      Mail: [email protected]

      Druck: epubli - ein Service der neopubli GmbH,

      Berlin

      Inhalt

       Einleitung

       Ein Österreicher in der DDR

       Tod beim Sex

       Leichenschau

       Der Tod des Transitreisenden

       System-Wandler

      Das Metier der Rechtsmedizin ist breit gefächert und in seiner Verbindung von Wissenschaft und Kriminalität nicht nur im populären Sinne spannend. Diese Spannung in einer Sammlung nach individuellen Maßstäben herauszufiltern und literarisch darzustellen, erweist sich als reizvolles Unterfangen. Über die literarische Auswahl der unglaublichsten Fälle sollte man jedoch das Alltägliche nicht aus dem Blick verlieren: Die intensive Beschäftigung mit den nicht immer appetitlichen Spuren von Gewalttaten und Unglücksfällen aller Art, die Auseinandersetzung mit den Irrungen und Wirrungen menschlichen Denkens und Handelns. Zwar lässt sich vieles messen, berechnen und an wissenschaftlichen Erfahrungen abgleichen, die Fallbeispiele machen jedoch deutlich, wie schmal zuweilen der Grat der Entscheidungsfindung ist. Das gilt insbesondere für die Begutachtung von Todesursachen. Der Kriminalist und der Staatsanwalt haben es leichter. Sie stellen die Fragen. Der Rechtsmediziner muss antworten, muss erklären. Für ihn gilt nicht die strafprozessuale Unschuldsvermutung oder der Zweifelssatz. Er muss fundiert Stellung beziehen: Trauernder Hinterbliebener oder Täter eines geschickt inszenierten Kapitalverbrechens? Fehler, Nachlässigkeiten oder leichtfertige, nicht hinterfragte Hypothesen entscheiden über Schicksale. Deshalb ist die Arbeit der Rechtsmedizin von hoher Verantwortung für Mensch und Gesellschaft geprägt. Ist sich die Gesellschaft dieser Bedeutung bewusst? Auch die „Anwälte der Toten“ wollen ausgebildet und sachlich wie personell hinreichend ausgestattet sein. Tote haben keine Lobby. Drittmittel lassen sich bei oder mit ihnen schwerlich einwerben. Bei allem Verständnis für das Diktat leerer Kassen, der Rechtsstaat definiert sich nicht zuletzt auch nach den Anstrengungen, die er zur Aufklärung und Ahndung schwerer Straftaten unternimmt.

      Das Institut für gerichtliche Medizin der Charité befindet sich in einem gelben dreistöckigen Backsteingebäude und liegt in Berlin-Mitte. Es ist ein Zentrum für die Grundlagenforschung und angewandte Forschung der forensischen Medizin. Vor hundert Jahren wurde es als Berliner Leichenschauhaus eröffnet. An der Wand hängen zu Demonstrationszwecken menschliche Oberschenkelknochen, der Länge nach halbiert und schneeweiß. Darunter steht eine leere Bahre mit beflecktem Laken. Im angrenzenden kleinen Nebenraum, der lichtdurchflutet ist, liegt ein nackter toter junger Mann mit einer großen Flügelkanüle in der linken Leistenbeuge auf dem Seziertisch bereit.

      Otto Prokop sitzt hinter einem großen Schreibtisch und tippt. Die Zimmerjalousien sind halb heruntergelassen, aus dem Radio erklingt Musik. Im halbdunklen geräumigen Arbeitszimmer herrscht merkwürdige Unordnung, Stapel von Büchern und Papieren bedecken den Boden, die hohen Wandregale sind zur Hälfte leer. Seitlich steht eine große Leiter. Der Tisch ist übersät mit Papieren, geöffneter Post, Stiften und Zeitungen. Neben einer grünen Glasschale liegen ein paar schöne exotische Muscheln und eine schwere Pistole. Zur Linken des Tisches steht ein wuchtiger alter Stahltresor. Er ist hell gestrichen und trägt auf dem Riegel die Aufschrift Uran. An der Wand hinter dem Schreibtisch hängen mehrere eher kleine Ölgemälde, ebenso an der Wand über der Sitzecke, Blumen- und Landschaftmotive, alle gemalt von Prokops Mutter, Elfriede Bachmayr – die im hundertsten Lebensjahr gestorben ist – war Malerin und bekam das österreichische Ehrenkreuz für Wissenschaft und Kunst. Flankiert werden sie von zwei Urkunden, einer sehr großen, mit blutrotem Siegel und einer kleinen in japanischer Schrift.

      Professor Prokop trägt einen frisch gestärkten weißen Kittel, weißes Hemd mit Fliege, schwarze Hose und schwarze Schuhe. Sein Schädel ist in einem weißen Haarkranz umrahmt. Das Gesicht, so gut wie faltenlos, wird von einer Brille mit großen Gläsern beherrscht.

      Neben seinem Lehrstuhl in Berlin war er ja auch noch die kommissarische Vertretung der verwaisten Lehrstühle für gerichtliche Medizin in Halle und Leipzig, in Leipzig musste er noch zusätzlich das Institut für gerichtliche Medizin und Kriminalstatistik übernehmen, und bis 1963 auch noch die Leitung des Blutspendedienstes Berlin.

      Eine Gehaltsbescheinigung existiert von damals, aus der seine Jahresverdienste an der Uni Leipzig hervorgehen. 1.000 Mark 1959, ebenso 1960, und 1962 waren es nur 666 Mark. Diejenigen, die ihre Lehrstühle verlassen haben, verdienten im Westen drüben weit besser und sind auch heute, im Alter, mit hohen Pensionen gesegnet.

      Otto Prokop, der österreichisch-deutsche Gerichtsmediziner und forensischer Serologe, Leiter des Instituts für Gerichtliche Medizin der Berliner Charité leistete einen wichtigen und international beachteten Einfluss auf die forensische Medizin und die Forschungspolitik in der DDR und war in ganz Deutschland anerkannt. Seine Lehrbücher und Monografien wurden zu Standardwerken wie sein Atlas zur Gerichtsmedizin. Prokop gehört zu den herausragenden Gerichtsmedizinern des 20. Jahrhunderts. Er soll in diesem Buch gebührend gewürdigt werden.

      „Ich habe in die Seele der Menschen schon hinein geschaut und weiß ungefähr, was los ist“, sagt er. An der Berliner Charité leitet er über 30 Jahre die Gerichtsmedizin. Ein Österreicher in der DDR. Viel Zeit für seine Familie bleibt ihm nicht, denn das Verbrechen schläft nie. Sein Berufsleben lang gibt er den Toten eine leise Stimme.

      Rund 50 000 Mal obduzieren Otto Prokop und sein Team Verstorbene. Ermordete, Mauertote, Verunglückte. Eben all jene, die unter zweifelhaften Umständen ihr Leben lassen. Seine Arbeit im Ostteil Berlins beginnt er Ende der 50iger Jahre. Die Gerichtsmedizin gehört damals zur Charité an der Humboldt-Universität. „Hier ist die Stätte, wo der Tod sich freut, dem Leben zu helfen“ meint er. Der Sektionssaal ist sein zweites Zuhause. Hier widmet er viel Zeit den Toten und der Suche, nach den Todesursachen.

      „Es gab 1956 natürlich eine große Diskussion über den Ruf, in die DDR zu kommen. Ich habe darüber mit meinem Lehrer in Bonn gesprochen, der war dafür, aber zur Sicherheit fragte ich den Professor Martini in Berlin – er war Leibarzt von Adenauer – und der hat gesagt: Mensch Prokop, einmalige Gelegenheit, so ein junger Mensch und dann auch noch die Charité! So was kriegt man nur sehr selten angeboten. Also ging ich und habe es nicht bereut. Und später . . . da war ich gerade mit meinem Bruder am Wörthersee und wir hörten im Kofferradion, dass sie eine Grenze bauen. Aber das war nie eine Frage für mich, nie! Rückkehr war selbstverständlich, ich hatte hier meine Mitarbeiter – und das ist für mich Anstandssache, die nicht im Stich zu lassen. Sie haben mich umarmt sogar und gesagt: Er ist wieder da, er ist da!“ Das war die Begründung von Otto Prokop über seine Übersiedlung in die DDR und seine Rückkehr nach dem Mauerbau.

      Unweit vom heutigen Bettenhaus der Charité hat Otto Prokop gearbeitet. Das Backsteingebäude in der Hannoverschen Straße ist damals seine Wirkungsstätte. Das Institut für gerichtliche Medizin. Ein Raum ist bis heute unverändert, der Hörsaal. Hier lehrt Otto Prokop die Wissenschaft von Sterben und vom Tod. Auch noch


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