Apartheid in Italien - Fragmente aus dem Apartheid-Italien. Giulio Di Luzio

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Apartheid in Italien - Fragmente aus dem Apartheid-Italien - Giulio Di Luzio


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      Die Welt ist aufgeteilt

      in diejenigen, die nicht einschlafen können,

      weil sie Hunger haben

      und in diejenigen, die nicht einschlafen können,

      weil sie sich vor denen fürchten,

      die Hunger haben.

      (Paulo Freire)

      Flüchtlinge sind menschliche Abfallprodukte ohne jegliche nützliche Funktion in dem Land, in das sie kommen und in dem sie sich aufhalten und wo sie keine realistische Bleibemöglichkeit vorfinden, um sich in das neue soziale Gefüge zu integrieren; wenn sie mal in der Müllhalde landen, gibt es kein Zurück mehr, wenn nicht in noch entlegenere Orte.

      Außerhalb der Flüchtlingslager gelten die Flüchtlinge als Hindernis, ja als Störfaktor; und in diesen Lagern geraten sie in Vergessenheit. Es bleibt nichts mehr übrig als die Mauern, der Stacheldraht, die bewachten Tore und die bewaffneten Wachen.

       Zygmunt Bauman

      Zuerst ignorieren sie dich. Dann verspotten sie dich. Dann bekämpfen sie dich. Am Ende bist du der Sieger.

      M. Gandhi

      Die ersten Darstellungen

      Aber wer sind diese seltsamen Gestalten mit einzigartigen somatischen Eigenschaften und schwarzer Haut, die an der Sprechanlage klingeln oder stundenlang auf der Straße stehen? Die zu Beginn schwebende Frage beginnt sich gegen Ende der siebziger Jahre in Apulien, insbesondere im Salento, durch-zusetzen. Es sind die Straßenverkäufer, die Teppiche von Tür zu Tür oder in den Straßen der Stadt verkaufen. Sie sträuben sich auch nicht, wenn es um Jobs in der Landwirtschaft oder um Gelegenheitsarbeit geht. Die meisten von ihnen kommen aus Marokko und dem Senegal. Es sind die Zeiten eines zu beschäftigten Italiens. Somit achtet kaum jemand auf diese schlanken Schatten, die sich ganz verängstigt an die Türen eines Landes begeben, das sie für sanftmütig und gastfreundlich halten.

      Am Ende des Jahrzehnts gab es fast 150.000 Migranten, die 1979 die Grenze der 200.000 überschritten. In den darauffolgenden Jahren waren es dann um die 300.000. Im Jahre 1981ergab die erste Volkszählung der Ausländer in Italien eine Zahl von 321.000 Einwanderern. Es folgen leichte quantitative Steige-rungen. 1984 wird die Schwelle von 400.000 erreicht. Ein weiterer Anstieg ist drei Jahre später zu verzeichnen, als die Einwanderer, nach der ersten „Legalisierung“ im Jahre 1986, die halbe Million überschreiten.

      Unsere DNA spricht seit der Vereinigung Italiens größtenteils von einem Volk und Land von Auswanderern mit etwa 28 Millionen Auswanderern Ende des 19. Jahrhunderts und einem Höhepunkt im Jahre 1913 von fast 900 Tausend Auswan-derungen. Selbst in den 1950er und 1960er Jahren verließen durchschnittlich 300.000 Menschen pro Jahr Italien. Das Auswanderungsphänomen beginnt erst ab den sechziger Jahren zu verblassen. Denn diese sind die Jahre des sogenannten Wirtschaftswunders. In dieser Zeit kommt eine erste Einwande-rungswelle junger philippinischer, kapverdischer, somalischer, eritreischer, peruanischer und argentinischer Frauen nach Italien. Dank der Unterstützung katholischer Netzwerke erbringen diese Frauen in Großstädten private Dienstleistungen (Haushaltshilfe). Aber erst in den siebziger Jahren des 20. Jahrhunderts kommen mehr Einwanderer nach Italien. Diese Jahre werden im kollek-tiven Gedächtnis, aber auch im schwachen zivilen Gewissen der Italiener, der Welt der Politik und der Medien als Jahre der Neugier und Gleichgültigkeit gegenüber der noch wenigen Neuankömmlingen verewigt bleiben. Aber schon gegen Ende der achtziger Jahre wird die Einwanderung als ein Phänomen ausgelegt, das einen Notfall darstellt und öffentlich so dargestellt wird. Die Wissenschaftler widmen dem Thema wenig Aufmerk-samkeit: Die Italiener fokussieren nämlich immer noch auf das Italien der Auswanderer. Aber die Zeiten ändern sich schnell!

      Wer sind diese Leute?

      1989 wurde im Rahmen einer ersten nationalen Untersuchung des Einwanderungsphänomens die folgende Schlussfolgerung gezogen: Die Mehrheit der Einwanderer beurteilt die Italiener als „gleichgültig, feindselig und rassistisch“. Es handelt sich um eine verlässliche Untersuchung, die an einer Stichprobe von 1.200 Personen durchgeführt wurde. Sie erschüttert die Sittlichkeit der öffentlichen Meinung über die Einwanderer, die zu dem Zeit-punkt schätzungsgemäß ungefähr 1 Million waren. Um die Ergebnisse zu erklären, muss man einen mutigen Schritt zurück-gehen und die Elemente eines aufkommenden, unterschwelligen Rassismus nach italienischem Stil entpuppen. Es handelt sich fast um einen plötzlichen Weckruf, der die Ruhe unserer Träume stören wird. Er wird im Besonderen jene durcheinanderbringen, die davon überzeugt waren, dass das Leben in einer Republik, die aus dem antifaschistischen Widerstand hervorging, ein gültiges Gegenmittel gegen die fremdenfeindliche Abdrift darstellt. Ende der 1980er Jahre zeichnet sich ein trauriger Hintergrund ab. Diese Zeit berichtet von zahlreichen kleinen und großen Episoden von Intoleranz und Gewalt, die sich zum Nachteil der schwarzen Einwanderer auf der gesamten Halbinsel ausbreiten. Diese Episoden werden die Wahrnehmung des tatsächlichen Ausmaßes der italienischen Einwanderung und auch ihre Zukunftsaus-sichten erheblich beeinflussen. Gerade in diesen Jahren kam es in den großen und zivilen italienischen Städten von Verona bis Florenz, von Rimini bis Udine, von Mailand bis Pisa und Turin zu Episoden der Intoleranz, der mehr oder weniger verschleierten Diskriminierung oder gar des offenen Rassismus. In Turin wird sogar eine „Vereinigung gegen die Betäubungsmittel und die illegale Einwanderung aus der Dritten Welt“ gegründet. Die gröbsten und offen xenophoben Akteure ebnen sich ihren Weg und gerinnen wie Klumpen um das Einwanderungsphänomen herum. Es geht hier im Besonderen um Episoden, welche die Straßenverkäufer der Adriaküste betreffen, aber auch um Arbeitsbeziehungen zu verachteten Einwanderern. Es kommt sogar dazu, dass man das Zusammenleben mit Schwarzen als schwierig in Frage stellt. In Palermo wurde im Januar 1989 die junge Somalierin Dacia Valent angegriffen, die später Europapar-lamentarierin der Kommunistischen Partei Italiens (PCI) wurde. Nur vier Jahre zuvor war ihr erst fünfzehnjähriger Bruder von zwei Schulkameraden, leidenschaftlichen Lesern von Mein Kampf, mit sechzig Stichen hingerichtet worden. Ebenfalls Anfang 1989 wurde in Florenz der junge Somalier Osman Ibrahim zu Tode geprügelt, nachdem er einen Nachtclub verlassen hatte, während in Neapel eine Gruppe von Schlägern einen Äthiopier verletzte. Im reichen Mailand dieser achtziger Jahre ereignet sich ein besonders schwerwiegender Fall von Polizeigewalt gegen den jungen Senegalesen Paap Khouma. Die rassistische Vulgata ver-schont auch die Süditaliener, die sogenannten Terroni, nicht: Am 8. Juli wird der 51-jährige Soldat Achille Catalani in Verona von zwei Veronesern massakriert und zu Tode geprügelt. Seit 1988 - insbesondere nach den von Frankreich und Deutschland einge-führten Einreisebeschränkungen - ist das Phänomen selbst in den Augen derjenigen massiv geworden, die den in Italien stattfin-denden Wandel von einem Auswandererland in ein Land der nur langsamen Wahrnehmung als Gastland zu spät erfassten. Das Abkommen von Schengen zwecks Regelung der Grenzübergänge wird 1985 zwischen Deutschland, Frankreich, Luxemburg, Holland und Belgien mit restriktiven Maßnahmen unterzeichnet, die schwer gegen die Menschenrechte verstoßen. Im Dezember 1988 gab es 600.000 vom italienischen Innenministerium regi-strierte Einwanderer im Besitz einer Aufenthaltserlaubnis, wobei die Daten aber eine ebenso hohe Zahl illegaler Einwanderer ausblenden. Jede ethnische Gruppe wird ihren Platz in einem genau definierten Landesteil einnehmen: die Nordafrikaner in Sizilien, die Kapverdier, Äthiopier und Somalier in Rom und die Senegalesen in den Industrieballungsgebieten Norditaliens. Und nicht zuletzt die Zentralafrikaner in der Gegend von Neapel. In Italien gibt es 1989 1,2 Millionen Einwanderer.

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