Der bittere Weg Teil 1. Jens Otto Holländer
Читать онлайн книгу.aufzustehen kam ich auf die Spülung, sah das Wasser rauschen, aber ich hörte nichts. Ich drehte mich zur Türe um und es wurde schwarz.
Ich wurde wieder wach. Das erste, was ich wahrnahm, war der Geschmack von Blut im Mund.
Mein Hemd war halb nass. Neben mir lagen Brille, mein Gürtel, Kippen, der Löffel, die Spritze, Feuerzeug und das leere Briefchen. Der Geldbeutel, mit knapp 40 Mark war auch noch da. Und meine Tasche aus Tunesien.
Ich hatte eine Beule und eine aufgebissene Lippe. Es war vielleicht eine halbe Stunde vergangen. Ich bog die Brille wieder gerade und setzte sie, schmierig wie sie war auf.
Ich war völlig deprimiert. Abwesend suchte ich meinen Kram zusammen, Pumpe und Löffel warf ich weg. Dann machte ich mich auf den halbstündigen Heimweg.
Ich war innerlich wie erstarrt. Jegliche Emotion in mir war erfroren.
Eine Stunde später war ich oben in der Wohnung meiner Mutter, schlich hinauf ins Gästezimmer und pennte sofort ein. Es war eine Etagenwohnung und mein Zimmer war oben auf der Empore.
Gegen Morgen erwachte ich und war mit einem Schlag hellwach. Die Panik traf mich wie ein Hammerschlag. Ich rannte runter zum Klo und musste mich übergeben. Es kam nicht viel und ich würgte vor mich hin. Ich wartete, bis sich meine Magennerven etwas beruhigt hatten und nahm eine dicke Dosis DHC Saft (Dehydrocodein), mit dem damals kurzzeitig substituiert wurde.
Meine Mutter war zum Glück bei der Arbeit. Wie immer hatte sie das Frühstück stehen lassen, obwohl ich nie frühstückte. Ich stellte das Zeug in den Kühlschrank. Dann nahm ich meine Tasche, verließ die Wohnung, warf den Schlüssel in den Briefkasten und holte mir beim Edeka zwei Chantre. Mit diesem Stoff im Gepäck und dann im Bauch, machte ich mich den Hügel hinab auf, in Richtung Hospital. Als mir die Wärme des Alkohols und des Codeins die Glieder und die Psyche streichelten, fühlte ich mich halbwegs als Mensch. Bald war ich an der Pforte. Es war Montag der 2. August 1993.
Der Anfang-1989
Im Grunde fing es ganz banal an.
Es war Montagvormittag, Ende Mai, schon bald Mittag und ich saß, als einziger Gast, draußen im La Concha, am Rande der Stuttgarter Altstadt, auf einem schäbigen Rohrstuhl, bei einer halben Bier. Mein 26. Geburtstag war paar Tage her. Ich hatte tolle Geschenke bekommen, u.a. ein Dartschränkchen mit Scheibe und 6 Dartpfeilen, zwei King Romane, eine gute Pulle Whisky und ein Einmachglas mit dicken Gummibärchen und zwei in Alu gewickelten Fläschchen Valoron N, von einer Freundin, die im Krankenhaus arbeitete! Darüber freute ich mich besonders. Ein halbes Fläschchen und ich war gut drauf.
Es war typisches Ende Mai Wetter. Diesig und schwül warm. Selbst durch die Sonnenbrille sah alles grau aus.
Ich hatte meinen freien Tag und saß seit einer halben Stunde hier, las den Spiegel und bereitete mich innerlich darauf vor, das nächste Bier zu ordern. Gelangweilt starrte ich auf die vorbeiziehenden Passanten und den Autoverkehr der sich über den Wilhelmsplatz quälte.
Wie schon zu oft war ich, in der Hoffnung, es würde etwas Tolles Passieren, hierher gefahren und wie immer war nichts Aufregendes geschehen. Nur meine noch recht neue Vespa, die knallrot dem grauen Wetter trotzte, gab dem Tag Farbe.
Ich vertiefte mich wieder in die Zeitung und zog an meiner Zigarette. Zwei abgesoffene Frauen setzten sich zwei Tische weiter. Eine lange Nacht, stand allzu deutlich in ihre Gesichter geschrieben. Dann hörte ich, wie wieder ein Stuhl verschoben wurde und bemerkte aus den Augenwinkeln, dass sich jemand links von mir hinsetzte. Ich schaute ihn an. Ein dürrer Typ, mit sehr langen und sehr fettigen Haaren, einem Schnauzbart, Lederhose und Shirt. Ich spürte, wie sich mein Magen leicht zusammenzog. Den Typ kannte ich nicht, hatte ihn nie gesehen, aber ich dachte sofort, der weiß was mit Heroin.
Fieberhaft überlegte ich und rutschte unruhig auf meinem Stuhl hin und her. Jetzt etwas Heroin, das wäre RIESIG. Seit über einem halben Jahr hatte ich nichts geschnupft. Nur Valoron gab es ab und an, aber schon EWIG keine Schore. Aus Mangel an Gelegenheit. Das wäre echt das Richtige für meinen freien Montag.
Also stand ich auf, ging rein, bestellte ein Bier und zwei Tequilla und rückte beim wieder hinsetzen meinen Stuhl zu ihm hin. Ich bot ihm eine Kippe an. Er nahm sie bereitwillig und ich gab ihm Feuer. Dann sah ich in an und sagte halblaut:
Ich glaube, wir haben das gleiche Hobby.
Er sah auf, zögerte kurz und fragte
Suchst Du Gift?
Mein Magen hüpfte, ich bejahte und fragte, ob er was besorgen könne. Er nickte. Die Tequilla und das Bier kamen und wir tranken zusammen.
Ich heiße Jim und du?
Freddy. Wenn wir ausgetrunken haben, können wir gleich gehen. Wieviel willst Du?
Ich war tierisch aufgeregt. Ich hatte schon bezahlt und wir gingen los. Die Vespa blieb stehen. Nach knapp 10 Minuten bogen wir in einen Hausgang und betraten eine Altbauwohnung im Erdgeschoß. In einem schmuddeligen Zimmer gab ich ihm 100 Mark und er sagte, es dauere paar Minuten. „Bitte verarsch mich nicht“ flehte ich innerlich.
Er kam und kam nicht wieder. Gerade, als ich dachte, er hätte mich gelinkt, kam er zurück und mir war klar, warum es so lange gedauert hatte, denn er sah völlig knülle aus. Er war erst mal aufs Klo, sich einen Druck machen. Ich war nun total geil auf Heroin. Nichts hätte mich nun mehr abbringen können, Heroin zu nehmen.
Mit der leicht nasalen, schleppenden Stimme, die viele haben, wenn sie dicht sind, entschuldigte er sich, dass es so lange gedauert habe. Er gab mir ein Briefchen. Ich tat sehr erfahren und fragte nach der Qualität. Gleichzeitig sah ich mich nach einem geeigneten Platz um. In der Ecke stand ein emaillierter Kohleofen. Ich wischte den Deckel ab und schüttete vorsichtig ungefähr ein Drittel des Pulvers, auf den schwarzen Lack. Mit dem Rand eines Fünfers zerdrückte ich das Pulver. Es knirschte leise und blieb am Rand hängen. Mit seinem Messerchen kratzte ich es ab. Ich verschloss das Briefchen und steckte es in die Uhrentasche meiner Levis. Dann rollte ich ein Röhrchen aus einem Stück einer Spiegelseite. Vorsichtig beugte ich mich über die zittrig zackige Line und sog es in das rechte Nasenloch.
Nach wenigen Sekunden fing es an zu brennen. Ein Teil rann mir in den Rachen hinab und es schmeckte sehr bitter. Ich zerknüllte das Röhrchen, wir gingen raus auf die Straße und ich verabschiedete mich. Auf dem Weg zurück zum La Concha und meiner Vespa, setzte die Wirkung ein.
In leichten Wellen, die mir durch Kopf und alle Glieder gingen, kam das Heroin. Eine euphorische Stimmung überkam mich. Ich fühlte mich völlig relaxt und absolut zentriert und alles war wunderbar, so wie es war. Ich lächelte vor mich hin und freute mich, auf der Welt zu sein. Der Tag war nicht mehr grau und alles war ok. Ich fühlte mich top. Und ich brauchte niemand.
Ohne Vorwarnungen musste ich plötzlich kotzen. Ich schaffte es gerade noch den Kopf zu drehen und ein Schwall Stuttgarter Hofbräu ergoss sich in einem festen Strahl in die Büsche, neben einer Telefonzelle. Dann steckte ich mir eine Zigarette an und ging weiter, als sei nichts geschehen. Ich schwebte zurück zum La Concha und setzte mich wieder an den gleichen Platz. Das Gefühl war überwältigend und die Gewissheit, noch Heroin in der Hosentasche zu haben, versöhnte mich mit allem, was mich am Alltag anödete.
Einerseits war ich völlig berauscht, andererseits vollkommen klar. Ich wollte nichts Alkoholisches trinken und keinesfalls etwas kiffen. Nur dasitzen und mich am Rauch einer Zigarette betrinken, denn nichts schmeckt herrlicher, als eine Zigarette unter Opiateinfluss.
Irgendwann setzte ich mich auf meine Vespa und fuhr kreuz und quer durch den Stuttgarter Norden und Westen. Hier lebte ich seit 26 Jahren, fast jede Straße hatte ihre eigenen Erinnerungen, jeder Platz sein eigenes Flair.Eine Fahrt in meine Vergangenheit, soweit ich mich zurück erinnerte. Am Kriegsbergturm an der Aussichtsplatte hielt ich an, rauchte eine weitere Zigarette und besah mir von oben meine Stadt. Geliebt-gehasstes Stuttgart.
Ich kotzte nochmal. Dann fuhr ich heim. Ich stellte die Vespa ab, öffnete das Gartentor und ging die paar