Joseph Conrad - Seefahrer und Schriftsteller. Joseph Conrad
Читать онлайн книгу.Dominic hoffnungslos.
Ich unterdrückte die einleuchtende Entgegnung, dass er auf diese Weise Gefahr liefe, aus ihm, nach den Worten des unsterblichen Mr. Mantalini, „einen verdammt nassen, unguten Leichnam“ zu machen.
„Er will Schlosser werden!“ platzte Cervoni heraus. „Um zu lernen, wie man Schlösser mit dem Dietrich knackt, vermute ich“, fügte er mit sardonischer Bitterkeit hinzu.
„Und warum soll er nicht Schlosser werden?“ wagte ich zu fragen.
„Wer wollte ihn in die Lehre nehmen?“ rief er. „Wo sollte ich ihn unterbringen?“ fragte er mit leiserer Stimme, und ich sah zum ersten Mal in meinem Leben echte Verzweiflung. „Sie wissen, er stiehlt, ach! Par la madoniae! (Mit Madonna) Ich glaube, er könnte Gift in Ihr und mein Essen tun – die Viper!“
Er hob sein Antlitz und beide ineinandergeklammerten Hände langsam gegen den Himmel. Cesar tat jedoch niemals Gift in unsere Tassen. Man kann es nicht genau wissen, aber ich glaube, er ging auf andere Weise zu Werke.
Auf der nächsten Reise, deren nähere Umstände nicht erzählt zu werden brauchen, mussten wir aus verschiedenen Gründen weit in See hinaus segeln. Als wir von Süden heraufkamen, um sie mit dem wichtigeren und wirklich gefährlichen Teil des vorgesehenen Planes abzuschließen, fanden wir es richtig, um einer bestimmten Information willen Barcelona anzulaufen. Das macht den Eindruck, als steckte jemand seinen Kopf so recht in den Rachen des Löwen, aber so war es in Wirklichkeit nicht. Wir hatten dort ein oder zwei hohe, einflussreiche und viele andere niedrige und dennoch wertvolle Freunde für gutes, hartes Geld gekauft. Wir liefen keine Gefahr, belästigt zu werden, und wirklich, die wichtige Information ließ nicht auf sich warten, sie erreichte uns durch einen Zollbeamten, der zu uns an Bord kam, um voll gespielten Eifers mit einem Eisenstab in der Apfelsinenschicht herumzustochern, die in der Luke den sichtbaren Teil unserer Ladung ausmachte.
Ich vergaß, vorhin zu erwähnen, dass die TREMOLINO offiziell als Frucht- und Korkholzfahrer galt. Der eifrige Beamte ließ beim Anlandgehen ein nützliches Stück Papier in Dominics Hand gleiten, und als er wenige Stunden später mit seinem Dienst fertig war, kam er durstig nach Getränken und Erkenntlichkeit an Bord zurück. Beides wurde ihm selbstverständlich zuteil. Während er in der kleinen Kabine saß und seinen Likör schlürfte, setzte ihm Dominic mit Fragen nach den derzeitigen Standorten der Guardacostas zu. Mit dem Küstendienst hatten wir sehr zu rechnen, und es war für unseren Erfolg wie für unsere Sicherheit wesentlich, die genaue Position des in unserer Nachbarschaft auf Streifendienst befindlichen Fahrzeuges zu kennen. Die Nachrichten hätten nicht günstiger sein können. Der Beamte nannte einen kleinen, zwölf Meilen entfernten Küstenort, wo es ahnungslos und unvorbereitet mit abgeschlagenen Segeln vor Anker lag, um seine Rahen zu malen und seine Spieren abzukratzen. Dann verließ er uns mit den üblichen Ehrenbezeugungen, wobei er uns zur Beruhigung über die Schulter anschmunzelte.
Ich war aus übermäßiger Vorsicht den ganzen Tag unten geblieben. Der Einsatz, um den es auf dieser Reise ging, war sehr groß.
„Wir könnten sofort abfahren, wenn nicht Cesar wäre. Seit dem Frühstück ist er verschwunden“, verkündigte mir Dominic auf seine langsame, grimmige Art.
Warum der Bursche fortgegangen war und wohin, konnten wir uns nicht vorstellen. Alle Vermutungen, die beim Ausbleiben eines Seemanns gewöhnlich angestellt werden, passten nicht auf Cesar. Er war viel zu widerwärtig für Liebe, Freundschaft, Spiel oder auch nur eine Zufallsbegegnung. Aber er war schon früher ein- oder zweimal auf dieselbe Weise fortgegangen.
Dominic ging an Land, um ihn zu suchen, kam aber nach zwei Stunden allein zurück. Ich erkannte an dem verschärften unsichtbaren Lächeln unter seinem Schnurrbart, dass er sehr zornig war. Wir überlegten, was aus dem Kerl nur geworden sein könnte, und suchten auch eilends unsere Habe durch. Gestohlen hatte er nichts.
„Er wird schon bald wieder da sein“, sagte ich zuversichtlich.
Zehn Minuten später rief einer der Leute an Deck laut: „Er kommt!“
Cesar hatte nur Hemd und Hose an. Er hatte seine Jacke verkauft, wahrscheinlich um Taschengeld zu haben.
„Du Schurke!“ sagte Dominic nur; seine Stimme war dabei fürchterlich mild. „Wo bist du Vagabund gewesen?“ fragte er drohend.
Nichts hätte Cesar zwingen können, diese Frage zu beantworten. Er verzichtete sogar darauf, zu lügen. Er stand uns gegenüber, zog die Lippe hoch, knirschte mit den Zähnen und wich um keinen Zoll vor Dominics Arm zurück. Natürlich ging er wie erschossen zu Boden. Aber diesmal bemerkte ich, dass er beim Aufstehen länger als sonst auf allen Vieren blieb, seine großen Zähne fletschte und mit einer neuen Art von Hass in den runden, gelben Augen zu seinem Enkel aufstierte. Dieses stetige Gefühl schien in diesem Augenblick durch besondere Bosheit und Neugier eine neue Schärfe bekommen zu haben. Ich war gespannt und dachte, wenn er uns einmal Gift ins Essen tun sollte, dann wird er uns, wenn wir bei Tisch sitzen, so ansehen. Aber selbstverständlich nahm ich nicht einen Augenblick lang an, dass er uns jemals Gift ins Essen tun würde. Er aß dasselbe wie wir. Überdies hatte er gar kein Gift. Und ich konnte mir kein menschliches Wesen vorstellen, das durch Habgier so verblendet wäre, einem so widerlichen Geschöpf Gift zu verkaufen.
Wir glitten in der Dämmerung leise in See, und die Nacht hindurch ging alles gut. Es wehte böig, ein steifer Südwind kam auf. Das war für unseren Kurs günstiger Wind. Dann und wann schlug Dominic langsam und rhythmisch ein paar Mal die Hände zusammen, als wollte er der TREMOLINO Beifall klatschen. Die Balancelle summte und bebte im Dahinfliegen und tanzte leicht unter unseren Füßen.
Bei Tagesanbruch wies ich Dominic auf ein besonderes Fahrzeug unter den verschiedenen hin, die innerhalb unserer Sicht vor dem wachsenden Sturme dahinsegelten. Es hatte Vollzeug stehen und sah dadurch von vorne sehr hoch aus; wie eine graue Säule stand es genau in unserem Kielwasser.
„Sehen Sie einmal den“, sagte ich. „Der scheint es eilig zu haben.“
Der Padrone äußerte sich nicht dazu, raffte aber seinen schwarzen Mantel dichter um sich und stand auf. Sein wettergegerbtes, von der Kapuze umrahmtes Gesicht sah herrisch und herausfordernd aus. Seine tief liegenden Augen spähten fest und ohne jedes Zwinkern wie die aufmerksamen, gnadenlosen, starren Augen eines Seevogels in die Ferne.
„Chi va piano va sano“ (Wer geht langsam), bemerkte er schließlich mit einem spöttischen Blick über die Reling mit einer ironischen Anspielung auf unsere eigene rasende Fahrt.
Die TREMOLINO tat ihr Äußerstes und schien die mächtigen Gischtkämme im Überfliegen kaum zu berühren. Ich kauerte mich wieder in den Schutz der niedrigen Verschanzung. Nachdem er länger als eine halbe Stunde in schwankender Reglosigkeit dagestanden hatte, einer gesammelten, atemlos beobachtenden Reglosigkeit, ließ er sich neben mir an Deck nieder. Unter der mönchischen Kapuze glühten seine Augen so wild, dass ich erschrak. Alles, was er sagte, war: „Er ist hergekommen, um sich die neue Farbe von den Rahen zu waschen, nehme ich an.“
„Was?“ rief ich und kam auf die Knie. „Ist es der Guardacosta?“
Die stete Andeutung eines Lächelns unter Dominics piratenhaftem Schnurrbart schien sich noch zu verstärken – es kam jetzt ganz deutlich, grausam und wirklich beinahe sichtbar durch das feuchte, glatte Haar heraus. Danach beurteilt, musste er in rasender Wut sein. Aber ich sah auch, dass er verwirrt war, und diese Entdeckung berührte mich sehr unangenehm. Dominic verwirrt! Lange Zeit starrte ich, an die Verschanzung gelehnt, über das Heck nach der grauen Säule, die leise schwankend immer im gleichen Abstand über unserem Kielwasser stand.
Indessen saß Dominic in seiner schwarzen Umhüllung mit untergeschlagenen Beinen rückwärts gegen den Wind gelehnt an Deck; er erinnerte unbestimmt an einen arabischen Häuptling, der in seinem Burnus im Sande sitzt. Über seiner reglosen Gestalt warf der Sturm die kleine Schnur und Troddel an der steifen Kapuzenspitze sinnlos hin und her. Ich gab es schließlich auf, mich mit der Vorderseite dem Wind und Regen auszusetzen, und duckte mich neben ihm hin. Ich war überzeugt, dass der Segler ein Streifenfahrzeug war. Über seine Nähe verlautete am besten nichts, aber bald fiel zwischen zwei hagelschweren Wolken ein Streifen Sonnenlichts auf seine Segel,