Eurythmie als sichtbarer Gesang. Rudolf Steiner

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Eurythmie als sichtbarer Gesang - Rudolf Steiner


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      LUNATA

Eurythmie als sichtbarer Gesang

      Eurythmie als sichtbarer Gesang

      © 1924 by Rudolf Steiner

      © 2020 Lunata Berlin

      Inhalt

       Das Dur- und Moll-Erlebnis

       Die Gebärde des Musikalischen

       Die Auflösung des Akkords und des Harmonischen in das Melos

       Das Sich-Fortbewegen der musikalischen Motive in der Zeit

       Die Chor-Eurythmie

       Die beharrende Note und die Pause

       Der Ansatz zum musikalischen Eurythmisieren liegt im Schlüsselbein

       Tonhöhe, Tondauer, Tonstärke, Tempowechsel

       Über den Autor

      Acht Vorträge Dornach, 19. bis 27. Februar 1924

       Hinweis: Es handelt sich um eine handschriftliche Mitschrift der Originalvorträge. Einzelne Textstellen fehlen und sind als solche gekennzeichnet.

      Das Dur- und Moll-Erlebnis

      Erster Vortrag, Dornach, 19. Februar 1924

      Wir haben eigentlich im Grunde genommen bisher die Lauteurythmie bis zu einem gewissen Grade ausgebildet und darinnen ja auch einiges erreicht. Die Toneurythmie, sie ist eigentlich bis jetzt doch nur in ihren allerersten Elementen ausgebildet worden, und es ist eine sehr merkwürdige Tatsache, die sich in der allerletzten Zeit eingestellt hat und die mich eigentlich dazu veranlaßt hat, diese kleine Serie von Vorträgen zu geben. Das ist die Tatsache, daß von der einen oder von der anderen Seite stark hervorgetreten ist, daß die Leute oftmals die Toneurythmie sympathischer gefunden haben als die Lauteurythmie und so das Gefühl hatten, daß die Toneurythmie verhältnismäßig leicht verstanden werden kann für die Empfindung, während die Lauteurythmie manchem als etwas noch Weiterliegendes erschien. Diese traurige Tatsache, daß ein in den Windeln noch Liegendes vielfach als das Bedeutsamere hingestellt worden ist gegenüber dem Weiterausgebildeten, das ist dasjenige, was doch wirklich schon den Beweis geliefert hat, daß das Verständnis für die Eurythmie heute eigentlich noch nicht sehr weit gediehen ist. Und vor allen Dingen muß für dieses Verständnis gesorgt werden. Und deshalb möchte ich heute zunächst einleitungsweise einiges sprechen, das Ihnen eine Möglichkeit geben kann, auch im Sinne eines solchen Verständnisses für Eurythmie zu wirken. Gerade indem wir versuchen werden, die Toneurythmie herauszuholen aus dem Allgemein-Eurythmischen, wird sich über dieses Verständnis heute wenigstens einleitungsweise sprechen lassen. Es ist schon nicht zu leugnen, daß auch von Seiten der Eurythmisierenden noch vieles beigetragen werden kann, um ein richtiges Eurythmie-Verständnis zu verbreiten. Denn vor allen Dingen muß berücksichtigt werden, was der Zuschauer an der Eurythmie wahrnimmt. Der Zuschauer nimmt an der Eurythmie nicht etwa bloß die Bewegung oder die Geste wahr, die der Eurythmisierende darstellt, sondern der Zuschauer nimmt wirklich an der Eurythmie wahr, was der Eurythmisierende empfindet und innerlich erlebt. Und dazu ist notwendig, daß tatsächlich im Eurythmisieren von dem Eurythmisierenden erlebt werde – erlebt werde vor allen Dingen dasjenige, was ja zur Darstellung kommen soll. Das ist in der Lauteurythmie das Lautgebilde, in der Toneurythmie aber das Tongebilde. Nun, von diesem Tongebilde haben wir ja außer den Formen, die für einzelne musikalische eurythmische Darbietungen geschaffen worden sind, eigentlich bis jetzt bloß die glatten Töne, eigentlich bloß die Skala, und nicht mehr. Wenn wir von der Lauteurythmie auch nicht mehr hätten, als was wir heute in der Toneurythmie haben, so würde das ungefähr der Umfang der Vokale a, e, i, o, u sein. Nun bedenken Sie, wieviel wir künstlerisch erreichen würden, wenn wir bisher bloß a, e, i, o, u hätten in der Lauteurythmie! Mehr haben wir aber eigentlich künstlerisch noch nicht in der Toneurythmie. Deshalb ist es eigentlich deprimierend, wenn die vorhin charakterisierten Urteile über die Toneurythmie an einen herankommen. Und deshalb betrachte ich es als eine Notwendigkeit, daß wir wenigstens einmal einen Anfang machen in der Grundlegung der Toneurythmie. Da ist aber vor allen Dingen notwendig, daß über das bloße Gebärdenmachen und Bewegungerzeugen in der Eurythmie hinausgegangen werde, daß tatsächlich innerhalb des Eurythmischen – auch in der Lauteurythmie – der wirkliche Laut empfunden werde. Sie müssen mir schon gestatten, diese Einleitung zu machen; wir haben ja heute in unserem Sprechen, namentlich in unserem Schreiben gar keinen Begriff mehr davon, was ein Laut eigentlich ist, einfach weil wir die Laute nicht mehr benennen, sondern höchstens kurz anschlagen. Wir sagen a. Die griechische Sprache war die letzte, die alpha gesagt hat. Gehen Sie ins Hebräische zurück: aleph. Da hatte der Laut als solcher einen Namen. Da war der Laut etwas Wesenhaftes. Je weiter wir in der Sprache zurückkommen, desto wesenhafter wird der Laut. Wenn man den griechischen Laut, der der erste ist im Alphabet, benennt: alpha, und geht zurück auf die Bedeutung dieses Wortes alpha – es ist ja ein Wort, das den Laut umfaßt –, so haben Sie noch in manchen Anklängen, selbst der deutschen Sprache, dasjenige, was im Laute alpha, aleph liegt, zum Beispiel wenn Sie Alp sagen, wenn Sie Alpen sagen. Es führt das zurück auf Alp – Elf-, auf das Wesen, das in Regsamkeit ist, das im Entstehen, im Werden, im lebendigen Bewegen begriffen ist. Das ist vollständig verlorengegangen für das tf, weil wir nicht mehr alpha oder aleph sagen. Wenn man aber aleph oder alpha auf den Menschen anwendet, dann kann man das a auch wirklich erleben. Und wie erlebt man das a? Eine Schnecke kann kein aleph sein, kann kein alpha sein. Ein Fisch könnte schon ein alpha sein, ein aleph. Warum? Weil der Fisch ein Rückgrat hat und weil das Rückgrat den Ausgangspunkt des Werdens in einem solchen Wesen, das ein aleph ist, bedeutet. Und vom Rückgrat aus gehen die Kräfte, die zunächst das Wesen, das ein alpha ist, umspannen. Nun fassen Sie das auf. Fassen Sie das Rückgrat so auf, daß vom Rückgrat strahlig ausgeht dasjenige, was das aleph, das alpha ausmacht. Sie würden ungefähr so erleben, wenn Sie zunächst daran denken, daß Sie ja als Mensch zum Beispiel vom Rückgrat nichts hätten, wenn da nicht die Rippen ausgingen und den Leib gestalteten. Und wenn Sie sich die Rippen losgelöst und in Bewegung denken, so haben Sie die Arme. Dann aber haben Sie, wenn Sie dies ins Auge fassen, auch das eurythmische a. Glauben Sie nicht, daß derjenige, der der Eurythmie zuschaut, nur diese Gabelung sieht; da könnten Sie ihm auch eine Schere statt Ihrer Arme entgegenstrecken, oder eine Feuerzange, die Sie ausspannen. Das können Sie aber nicht, sondern Sie müssen ihm einen Menschen entgegenstellen. Und der Mensch muß drinnen das alpha, aleph wirklich fühlen. Er muß fühlen: er öffnet sich der Welt. Die Welt kommt an ihn heran, er öffnet sich der Welt. Wie öffnet man sich der Welt? Man öffnet sich der Welt zum Beispiel am reinsten, wenn man der Welt in Verwunderung gegenübersteht. Alle Erkenntnis, sagte der Grieche, beginnt mit dem Wunder, mit dem Verwundern. Wenn man aber der Welt verwundernd gegenübersteht, bricht man in das a aus. Und Sie haben, wenn Sie ein eurythmieanschlagen, Ihren astralischen Leib in jene Position versetzt, die durch die Armbewegung oder die Armstreckung, die gabelige Armstreckung angedeutet ist. Und Sie werden unwahr die entsprechende Geste machen, wenn Sie niemals die Übung gemacht haben – die Dinge sind ja in früheren Unterweisungen auch erwähnt worden –, wenn Sie niemals die Übung gemacht haben, nun wirklich diese Gabelung der Arme gefühlsmäßig zu erleben. Da muß Empfindung drinnen sein. Sie müssen eigentlich die Empfindung haben: der #- Laut, der ist eine Abbreviatur in der Luft oder so irgendetwas Abstraktes gegenüber dem Lebendigen, das der Mensch empfindet. Wenn der Mensch nun, sagen wir, etwas mit halbkreisförmig gebildeten, gestalteten Armen umfängt, da umfängt er es in Liebe. Wenn er sich öffnet in der Gabelung, empfängt er die Welt im Verwundern. Und dieses Sich-Verwundern mit dem im Leibe selbst,


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