Jahre mit Camilla. Helmut H. Schulz
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Helmut H. Schulz
Jahre mit Camilla
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Inhaltsverzeichnis
Von Helmut H. Schulz bei uns als eBook erschienen
1
Der Himmel an jenem Tage war ungeheuer hell und hoch. Durch das Fenster des Restaurants konnte ich auf die Pisten sehen, zwei Antonows sah ich, eine IL. Ihr Silber glänzte in einem warmen, zuverlässigen Blau.
Das Flugpersonal der einen Antonow saß am Nebentisch. Die Männer tranken Kaffee, rauchten Zigaretten und sprachen leise miteinander. Ich verstand nicht, was gesprochen wurde. Der eine mochte vierzig sein. Er hatte ein länglich-ovales Gesicht mit spitzem Kinn und schmaler glatter Stirn. Die Lidspalten waren schräg gestellt und mandelförmig. Auffallend kleine Hände mit Nägeln, deren Grundton heller war als die gebräunte Haut der Finger und des Handrückens, bemerkte ich. Dagegen waren die Innenflächen der Hände fleischfarben. Wie kalte Flammen wirkten die erschreckend blauen Augen des Mannes, den etwas Fremdartiges, Kreolenhaftes auszeichnete. Trotz der hellen Augen ähnelte sein Gesicht den Porträts El Grecos. In seinen Augen spiegelten sich der helle Himmel und das bläuliche Silber der Maschinen. Er erweckte den Eindruck hochgradiger Zivilisierung, und doch vermutete ich in ihm den kühl berechnenden Angreifer. Die übrigen Mitglieder seiner Crew fielen neben ihm kaum auf.
Es war eine eigenartige Atmosphäre. Draußen dröhnten die Aggregate, drinnen klingelten Löffel an Tassenränder.
Bis zur Abfertigung für den Flug war noch Zeit. Ich reise gern. Die schnelle, mühelose Bewegung beruhigt mich, aber ich komme nicht gern an. Ich versuchte, zu arbeiten. Ich versuchte, nicht wirklich zu arbeiten. Dazu wäre ich nicht fähig gewesen. Allzu sehr fesselten die Vorgänge drinnen und draußen meine Aufmerksamkeit. Zu wirklicher Arbeit fehlten die Telefone auf meinem Schreibtisch, das Hacken der Schreibmaschine im Vorzimmer. Unsere Bereichssekretärin würde an diesem Tage mehr als ein dutzendmal sagen, der Doktor ist in Urlaub, oder, Kalender ist nicht da, oder einfach, das Nashorn kommt voraussichtlich erst nächste Woche, wieder.
Der Pilot drückte die Zigarette aus. Er winkte der Kellnerin. Unwillkürlich lächelte ich ihm zu, aber er sah mich nicht an. Er sah durch mich hindurch. Für ihn war ich ein Fluggast, den er zu befördern hatte. Diese Arbeit wurde von ihm verlangt, und er tat sie offenbar gut. Dafür sprach der Respekt, mit dem ihn die Kellnerin bediente.
Mein Platz war, auf der rechten Seite. Durch das Bordfenster hatte ich das Antriebsaggregat zum Greifen nahe. Wenn ich mich vorbeugte, konnte ich sogar, das stelzengerade Fahrwerk sehen. Vor mir befand sich die Cockpitrückwand aus einem blauen, geäderten Material, wie es die moderne Chemie aus der Retorte zaubert: hart, unelastisch, säurefest, nicht brennbar, leicht. Über mir im Gepäckfach lagen Tageszeitungen. Gewohnheitsgemäß blätterte ich sie durch.
Als ich die Sicherheitsgurte anlegte, rollte die Maschine zur Startbahn. Ich lutschte, den ekelhaften säuerlichen Bonbon, der den Haushalt meines Magens regelmäßig durcheinanderbringt. Dann gab der Pilot Vollgas. Die Maschine hob ab. Wir stießen in den hellen, hohen Himmel, dessen Ende wir doch nicht erreichen würden, wir, ein winziges, fliegendes Präzisionspartikelchen, dessen, einige Tausend Meter Reisehöhe im Zeitalter der Raumschiffe kaum mehr als, ein Luftsprung waren.
Hinter Prenzlau zogen sich weite weiße Flächen unter unserer Maschine hin. Sie sahen aus wie Gletscher, veränderten kaum ihre, Form. Die Maschine lag vollkommen ruhig. Eine Zeit lang glaubte ich, wir stünden still in der Luft, während unter uns eine polare Landschaft abrollte, während Sonnenstrahlen hart und grell in den Passagierraum fielen.
Die Maschine durchstieß die Wolkendecke, und die kompakte weiße Masse erwies sich als Wattegebilde, das von der Antonow mühelos zerteilt wurde. Unten tauchte die Landepiste aus dem Dunst, ein glattes Band mit Seitenmarkierungen und einem spielzeughaft kleinen Flughafengebäude. Ich stellte fest, dass die Fahrwerke bereits ausgefahren waren, und so sicher arbeitete der Pilot, dass die Gummiräder genau auf dem Pistenanfang aufsetzten, wo die Grasnarbe endet und das Rollfeld beginnt. Ein scharfes radierendes Geräusch übertönte den Motorenlärm, dann ging ein leichter Ruck durch die Maschine. Ich konnte das Aufsetzen mehr sehen als spüren. Sekundenlang standen die Räder, ehe sie die Bewegung aufnehmen konnten. Die Antonow verlor an Geschwindigkeit.
Fischland bot das gewohnte Bild, an den Boden gekauerte Häuser mit Strohdächern, Möwen verschiedener Arten, mannshoher meergrüner Sanddorn. Die Natur ist hier sparsam mit Farben umgegangen. Grau überwiegt an den gewöhnlichen Tagen, aber es war kein gewöhnlicher Tag, der Höhenwind konnte die Wolkenmassen kaum bändigen. Sie strebten, sich dauernd verändernd, nach den Seiten und in die Höhe. Eine Weile beobachtete ich das Spiel des Windes mit den Wolken. Ich berührte die skalpellartigen Blätter des Sanddorns. Sie waren trocken und hart.
Das Haus, in dem ich regelmäßig meinen Urlaub verbrachte, passte sich der Umgebung an, nur stand es mehr aufrecht, nicht so hingeduckt und ich empfand, dass es weniger zur Landschaft gehörte als die Fischerhäuser. Es wirkte unecht oder nachgemacht. Missgestimmt und nervös, wie immer am ersten Tag auf dem Fischland, drückte ich den Klingelknopf und wartete auf die alte Frau, die für die Gäste sorgte. Eine junge Gestalt kam den Weg zur Gartentür herunter. Ich dachte, dass die Hausbesorgerin erstaunlich leichtfüßig geworden sei. Ich hatte sie anders in Erinnerung. Vielleicht hatte ich ihr nie genügend Aufmerksamkeit geschenkt. Erst als wir uns gegenüberstanden, sah ich meinen Irrtum. Es war nicht die Hausbesorgerin. Es war eine junge Frau oder noch ein Mädchen. Sie war in eine viel zu große weiße Schürze gewickelt. An den Füßen trug sie Turnschuhe. Ich registrierte ein rundes Gesicht, Lippen von natürlichem leichten Rot, einem Rot, das sich bis in das Gesicht hinein fortsetzte. Ich registrierte Haar von verschiedenem blond, sehr dichtes, kräftiges Haar und Augen von der Farbe des Sanddorns. Und dann war noch der hohe helle Himmel in dem Gesicht, der Himmel des Fischlandes.
Sie stand da und wartete. Nur ihr Gesicht war rot. Die Haut ihrer Arme erinnerte an die Farbe rauchigen Bernsteins.
«Ich wollte zu Frau Klaas.»
Vielleicht hätte mich in meinem Büro die Erscheinung des Mädchens ganz unberührt gelassen. Meine Beziehungen zu Frauen sind stets lose gewesen, sie dauerten vom Beginn des Studienjahres bis zur ersten Zwischenprüfung. Nach meiner Studienzeit, als ich bei Rickweiler arbeitete, kam Sigrid, aber unsere Zeit lief ab. Ich merkte es daran, dass ich mich bei ihr den Spannungen überließ, die ich tagsüber voll beherrschte. Das führte zu unerfreulichen kleinlichen Auseinandersetzungen zwischen uns.
«Kommen Sie herein. Meine Mutter ist zur Kur in Heiligendamm. Ich soll mich um Sie kümmern.»
Ihre Stimme war tief und klangvoll.
Etwas Rundliches, Mütterliches lag in ihrer Gestalt.