Heute bei uns zu Haus. Ханс Фаллада

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Heute bei uns zu Haus - Ханс Фаллада


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Orgie in frischen Krabben aus dem fettigen Papier und verschwenden alle Ersparnisse!

      Der Kuhberg, diese Tauentzienstraße Altholms, ist zu teuer für uns, wir ziehen in eine Dachwohnung, wiederum möbliert, denn Möbel haben wir natürlich immer noch nicht. Rechts wohnt eine Arbeiterin aus der Lederfabrik, links eine uralte Oma – was hatten wir für gute und getreue und hilfreiche Nachbarn!

      Wir nehmen auch ein Kind an, Hulemule, eine kleine verstoßene Straßenkatze, die sich naß und verhungert zu uns gefunden hatte. Sie machte uns viele Sorgen, die Hulemule, sie konnte das Herumtreiben nicht lassen. Suse putzte sie, Suse hatte ihr ein Sandkistchen eingerichtet, Hulemule hatte es gut und warm und satt bei uns. Aber immer wieder riß sie aus, blieb zwei, drei Tage fort und kam naß und stinkend und verhungert wieder zu uns zurück. Dann schalt Suse die böse Hulemule aus, sie rieb sie trocken und putzte sie und machte sie warm, bis sie wieder schnurrte, und dabei schalt sie das böse, das unverbesserliche, das herumstrolchende Kind.

      Ich aber dachte vielleicht ein bißchen an einen Sohn, der sich auch immer wieder herumgetrieben hatte, und der nur nach Hause gekommen war, um wieder satt und warm zu werden, und der dann wieder ausbrach, ohne alle Dankbarkeit. Ich dachte vielleicht auch ein bißchen an meine eigenen Kinder, die ich doch eines Tages haben würde – ob die eines Tages auch so böse wie die Hulemule sein würden? In dieser Zeit lernte ich ein wenig anders über meine Eltern denken, wir kamen uns wieder etwas näher. Vielleicht machte es die Hulemule, vielleicht aber auch die Suse, daß der ewige alte Egoist ein wenig anders fühlen lernte.

      Wie sollte es weitergehen? Obwohl wir sehr sparten, reichte das Geld immer nur gerade hin. Kein Möbelstück konnte angeschafft werden, Berlin lag ferner denn je. Ich lief durch die Straßen, ich drückte hundert Klingelknöpfe, ich leierte mein ewiges Sprüchlein … Alle vier Wochen war ein Paar Schuhsohlen durchgelaufen, und was ein Mann, der bei jedem Wind und Wetter draußen sein muß, an Kleidung verbraucht, ist einfach niederschmetternd.

      Da ist unser alter Chefredakteur – wollen wir ihn Stuff nennen? Nun gut, Herr Stuff, dieser Chefredakteur, der zugleich Lokalreporter, Gerichtssaal-Berichterstatter und Kritiker für Film, Theater und Konzerte ist, sagte eines Tages zu mir: »Ich habe da für Sonntag zwei Freikarten von der Reichsbahn für eine Tagesfahrt ins Blaue. Wollen Sie die Karten haben, meine Frau will nicht. Sie müßten aber eine Viertelseite über die Fahrt schreiben.«

      »Da muß ich erst meine Frau fragen«, antwortete ich. »Heute nachmittag kriegen Sie Bescheid.«

      Am liebsten hätte ich gleich ja gesagt, aber wir gingen stark auf Ultimo zu, und in unserer Kasse war tiefe Ebbe. Suse und ich rechneten hin und her, die Fahrt war frei, aber schließlich mußten wir ja auch was essen. So ganz ohne Geld loszufahren, das wagten wir doch nicht. Schließlich erwies sich der Drang, aus der Stadt herauszukommen, als zu groß: wir wagten unsere letzten fünf Mark und fuhren!

      Es war ein strahlend heller Sommertag, der ganze Zug war vollgestopft mit vergnügten Menschen, die rieten, wohin wir wohl fuhren. Nun, wir fuhren über den damals noch neuen Hindenburgdamm auf die Insel Sylt. Wir stiegen aus in Westerland, ich nahm Suse bei der Hand, und wir liefen zum Strand. Wir sind beide immer Wassermenschen gewesen, Berge, nun meinetwegen, ganz schön, aber Wasser, du lieber Gott, Wasser, das Herrlichste von der Welt! Und Altholm war gänzlich wasserfrei.

      »Los, Suse, ich rieche die See schon! Lauf!«

      Aber am Strande harrte unser eine grimmige Enttäuschung, der Strand war durch Wälle und Draht gesichert gegen uns. Da waren kleine Einlaßpforten mit Schildern: »Tageskurtaxe pro Person eine Mark« stand darauf zu lesen. Drunten sahen wir in der Sonne die See blitzen, aber sie war sicher vor uns. »Zwei Mark von unsern fünf Mark opfern, bloß um in das Gitter gelassen zu werden? Kein Gedanke daran! Komm, Suse, mal muß ja dieser dämliche Drahtzaun ein Ende nehmen!«

      Und wir marschierten los.

      (Wie sich das alles verknüpft! Diese beiden Karten von der Reichsbahn, diese Frau Stuff, die keine Fahrtlust hatte, unsere Geldknappheit, die uns die zwei Mark Kurtaxe verbot – und nun marschieren wir beide, noch völlig ahnungslos, dem Wendepunkt unseres Lebens zu. Wären diese Zeilen je geschrieben worden, wenn wir die zwei Mark ausgegeben hätten? Ich ahne es nicht! Aber es ist alles doch recht rätselhaft!)

      Wir marschieren durch Sonne und Sand am Draht entlang, wir wandern durch die ein wenig extravagante Badeeleganz Westerlands mit Brusttüchlein und scharf gebügelten Strandhosen als ein paar städtisch gekleidete Leute. Suse trägt ihr Kashakleid – weiß der Henker, was ein Kashakleid ist, woher es seinen Namen hat. Aber ich habe nie ein Kleid so geliebt wie dieses Kashakleid mit seinen zarten, pastellhaften Farben. Sie trug es die ganze erste Zeit unserer Bekanntschaft und Ehe, an den schönsten Tagen. Wie viel ist uns aus dieser Zeit abhanden gekommen, ich denke nicht mehr daran, aber manchmal grolle ich noch heimlich mit Suse, daß sie nicht wenigstens ein Fitzelchen von dem Stoff aufbewahrt hat. Mir ist, als müßten bei seinem Anblick die alten goldenen Tage wieder aufleuchten, da wir uns noch so neu waren, da wir ein ganz anderes, ein ganz ungeahntes Leben zu zweien begannen. Aber es ist fort, ich kann es mir noch vorstellen, ich sehe sie noch darin, jung, lachend, unbekümmert, unenttäuscht. Und dann vergeht alles, und das Gesicht von heute kommt mit den Kleidern von heute. Ich erinnere mich nur.

      Ich hatte es ganz richtig geahnt: auch der böswilligste Drahtzaun nimmt einmal ein Ende, und durch eine verlassene Dünenwildnis gerieten wir in einen Ort, der sich Kampen nannte. Wir aßen zu Mittag, Entenbraten – nie werde ich diesen köstlichen Entenbraten vergessen! Und nachdem wir die Zeche bereinigt hatten, erwies sich, daß wir noch Geld genug besaßen, um mit der Bahn von Kampen nach Westerland zurückzufahren. So gingen wir einmal ans Außenwasser und dann ans Binnenwasser, wir saßen still und rochen die See, die Wolken wanderten über uns hin, Wind kam auf, die Wellen hatten plötzlich weiße Köpfe, es wurde kühl …

      »Komm, Suse, laß uns noch einmal auf das hohe Ufer gehen und zur See hinabschauen. Wir haben noch gute zwanzig Minuten, bis unser Zug fährt.«

      Unser Schicksal hat sich wirklich alle Zeit gelassen, in der letzten Minute griff es zu. Denn als wir da nun an das hohe Ufer kamen, stand dort ein großer braungebrannter Mann mit einer Baskenmütze auf dem Haupt. Er sah mich an, ich sah ihn an.

      »Fallada!« sagte er.

      »Ja, sind Sie das denn wirklich?« fragte ich staunend. Und nach zehnjähriger Trennung und Schweigen schüttelten sich Verleger und Autor die Hand.

      Hier muß ich es gestehen, und ich lege dieses Geständnis nur in aller Eile und mit einer gewissen Beklommenheit ab, daß ich bereits in den Jahren 1919 und 1920 zwei Romane veröffentlicht hatte – als gänzlich unausgegorener junger Dachs. Es waren so eine Art Pubertätsromane, den Zeitverhältnissen entsprechend in etwas gestammeltem Deutsch geschrieben – und ich habe mich nie überwinden können, auch nur eine Zeile dieser Selbstbeschau wieder zu lesen. Längst habe ich sie aus dem Buchhandel zurückgezogen, sie sind eingestampft, auch meine ältesten Freunde tun umsonst Kniefälle, sie bekommen doch kein Exemplar davon zu sehen.

      Aber mein Verleger hatte diese beiden Bücher nicht vergessen; nach so vielen Jahren des Schweigens erkannte er seinen Autor wieder, der doch nur einer von vielen war (der aber einen nie abgearbeiteten Vorschuß erhalten hatte).

      »Mensch, Fallada, was machen Sie denn eigentlich?«

      Wir wurden der Frau des Verlegers vorgestellt, und zu vieren strebten wir nun dem Kampener Bahnhof zu. Ich stand stark unter dem Eindruck, daß die Verlegerin nicht gerade gnädigen Auges auf diese so plötzlich aufgetauchten literarischen Bekanntschaften ihres Mannes schaute, die selbst für Kampen ein wenig schäbig gekleidet waren. (O Kashakleid, geliebtes!) So fiel mein Bericht etwas eilig und dürftig aus.

      »Aber das ist doch nichts für Sie!« rief der alte Menschenkenner, der auch Ungesagtes zu hören verstand. »In so einem Kaff rumlaufen und Abonnenten werben! Sie müssen nach Berlin, Mensch!«

      Ich tauschte mit der Suse einen eiligen, aufglühenden Blick. Dann bemerkte ich, daß ich kaum aufs Blaue hinaus nach Berlin ziehen könne … die Arbeitslosigkeit … ohne die geringste Reserve …

      Jetzt warf er einen abschätzenden


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