Auf fremden Pfaden. Karl May
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Inhaltsverzeichnis
4.
Er Raml el Helahk
Der Khabir
In den Magarat ess ssuchur
Isa Ben Marryam akbar
Blutrache
In Basra
El Lakit
Um des Kindes willen
Der Kutb
In Kairo
In Kaïrwan
Der Kys Kaptschiji
1.
2.
Maria oder Fatima
Gott läßt sich nicht spotten
1.
2.
3.
Ein Blizzard
Fußnoten
Karl May
Auf fremden Pfaden
Saiwa Tjalem
Ein eigentümliches, röchelndes Grunzen weckte mich aus dem Schlafe. Oder war es nur das Schnarchen eines meiner Schlafgefährten oder einer meiner Schlafgefährtinnen gewesen? Es herrschte in der hermetisch verschlossenen Winterhütte eine Atmosphäre, welche ganz zum Verzweifeln war. In dem engen Raume hatten acht Menschen und fünf Hunde Platz gefunden, aber fragt mich nur nicht, wie! Diese dreizehn Geschöpfe staken mit ihren zweiundfünfzig Vorder- und Hinderbeinen so neben-, über-, unter- und durcheinander, daß die Entschlingung so zahlreicher und verworrener Gliedmaßen eine absolute Unmöglichkeit zu sein schien.
In der Mitte der aus Rentierfellen erbauten Zelthütte kohlten die Überreste eines riesigen Feuers, dessen stechender Rauch eine einzige, undurchdringliche Wolke bildete, da die Abzugsöffnung zugedeckt worden war. Ich lag mit dem Kopfe auf der fischthranduftenden Hüfte der guten Mutter Snjära, welcher Name zu deutsch »Maus« bedeutet; mein rechtes Bein stak unter dem Leibe des alten Onkel Sätte, welches Wort mit »Pfeil« übersetzt werden muß, und mein linker Fuß diente einem der Hunde als Kopfkissen. Vater Pent, d. i. Benedikt, der Gesegnete, hatte sich meinen Pelzrock aufgeknöpft, um sein teures Haupt auf die Gegend meines Magens zu betten, so daß der Schwanz des Hundes, welchem er selbst als Matratze diente, mir lieblich krabbelnd um die Nase strich. Zu diesen unschätzbaren Bequemlichkeiten kam die Hitze, welche sich innerhalb meiner luftdichten Fell- und Pelzbekleidung entwickelte, und der aromatisch-diabolische Duft einer dreizehnfachen Trans- und Respiration nebst der Lebhaftigkeit jener kleinen, ritterlichen Geschöpfe, welche in solcher Hundenähe unvermeidlich sind, und von denen der alte, lustige Fischart gesungen hat: »Mich beizt neizwaz, waz mag daz gseyn?« Zieht man dazu in Betracht alle diatonischen und chromatischen Herzensergießungen, deren schnarchendes Fortissimo das Zelt erfüllte, so wird man es nicht unbegreiflich finden, daß ich mich für einen Augenblick dem weichen Arm des Schlafs entwand.
Doch nein, es war kein Schnarchen gewesen, welches mich erweckte, denn ich vernahm jetzt, da ich munter war, jenes grunzende Röcheln zum zweitenmal. Es ertönte draußen in einiger Entfernung von der Hütte. Gleich darauf krachte ein Schuß, und eine laute Stimme rief:
»Attje, tassne le tarfok ... Vater, der Bär ist da!«
Im Nu waren alle zweiundfünfzig Extremitäten in schleunigster Bewegung, und jene scheinbar unmögliche Entwirrung hatte sich in Zeit von zwei Sekunden glücklich vollzogen. Die acht Menschen schrieen und brüllten; die fünf Hunde bellten und heulten; das Feuer wurde vollends zertreten, indem ein jeder nach seinen Waffen suchte und diejenigen eines anderen erwischte. Und doch befanden wir uns nach kaum einer Minute vor der Hütte und eilten nach der Gegend, in welcher noch immer Neete, der Sohn des alten Pent, um Hilfe rief. Er hatte mit Kakke Keira die Wache, kam uns in höchster Aufregung entgegengesprungen und schrie aus Leibeskräften: »Tarfok, tarfok le mesam ... der Bär, der Bär hat mein Rentierkalb!«
»Wo ist er?« fragte der Alte.
»Tuos, tuos, kwouto pluewai ... dort, dort, auf dem Sumpfe!«
»Nehmt eure Ski,« kommandierte Vater Pent; »eure Flinten, Messer und Spieße. Nehmt auch Stricke mit. Wir eilen ihm nach!«
Die Schneeschuhe lehnten alle an dem Zelte. Wir legten sie an, und fort ging es, dem Sumpfe zu, der sich in geringer Entfernung von der Lappenwohnung in die Ebene zog. Kakke Keira blieb bei der Frau und den drei Töchtern zurück. Wir anderen zählten fünf Personen: Pent, Onkel Sätte, Neete, ich und ein zweiter Knecht, welcher Anda, d. i. Andreas, hieß.
Es war vielleicht eine Stunde nach Mitternacht, aber wir konnten dennoch recht gut sehen, denn am Himmel stand ein Nordlicht, wie ich es in dieser Pracht und Herrlichkeit noch niemals beobachtet hatte. Es war nicht jenes leise sich ausbreitende und wieder zusammenfallende, milde Farbenspiel, auch nicht jenes groß und ruhig am Firmamente stehende Phänomen, sondern es war ein ununterbrochenes, gewaltiges Emporschleudern strahlender Farbenbüschel, welche in die Unendlichkeit hinauszusprühen schienen, ein Wirbeln von tausend hintereinander in immer größeren Radien sich drehenden Feuerrädern, ein ununterbrochenes Kämpfen, Ringen, jagen und Haschen von allen möglichen Gluten, Lichtern, Farben und Nuancen, ein Schauspiel, welches wahrhaft überwältigend auf mich gewirkt hätte, wenn nicht der Jäger in mir erweckt worden wäre.
Die Spur des Bären war in dem tiefen Schnee ganz deutlich zu erkennen, und nach kurzer Zeit sahen wir ihn selbst als dunkeln, sich rasch fortbewegenden Punkt auf der weißen Fläche des Sumpfes erscheinen. Es mußte ein gewaltiges Tier sein, da er imstande war, bei einem so raschen Laufe das Rentierkalb mit sich fortzuschleppen.
Dennoch brauchten wir uns vor ihm nicht zu fürchten. Der lappländische Bär ist noch weniger gefürchtet als der Wolf; er besitzt nicht im entferntesten die Furchtbarkeit, welche z. B. den nordamerikanischen Grizzly so gefährlich macht, und wagt sich nur dann an den Menschen, wenn ihn die Notwehr dazu treibt. Die Lappen waren alle sehr gewandte Schneeschuhläufer. Wir flogen mit der Schnelligkeit eines Eilzuges über die Fläche dahin; aber dies schien dem alten Pent noch immer nicht flüchtig genug zu sein.
»Schneller,« rief er, »sonst erreicht er den Finop, und versteckt sich hinter die Plassait, wo wir ihm nur schwer folgen können.«
Wir griffen weiter aus; aber es war, als habe der Bär die Worte des Anführers vernommen. Er bog plötzlich nach links ab. Das Tier mußte seine Verfolger bemerkt haben und trottete nun dem Hügel zu, welcher den Vorläufer des Fjälls bildete, der mit seinem vom Schnee bedachten Tannendunkel auf das Sumpfland niederblickte. Wir suchten dem Flüchtlinge den Weg abzuschneiden, aber es gelang uns nicht; er war aus unserem Auge entschwunden, noch ehe wir den Hügel erreichten.
»Hier ist die Käja,« meinte Onkel Sätte; »sie führt gerade an der bösesten Stelle empor. Legt die Ski ab! Sie taugen hier nichts mehr.«
Wir hingen die Schneeschuhe über und stiegen die steile Lehne in die Höhe. Der Schnee lag mehrere Fuß tief, was den Aufstieg sehr beschwerlich machte. Wir gaben uns alle mögliche Mühe, so daß wir unter unserer schweren Kleidung in Schweiß gerieten, kamen aber doch nur langsam vorwärts. Endlich erreichten wir die Kuppe des Hügels, mußten uns aber mit der Spur des Bären begnügen; er selbst hatte einen bedeutenden Vorsprung gewonnen.
Das