Nachhaltigkeit, CO2-Neutralität und andere bilanzielle Fehler. Marc Lindner
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1 Einführung
Nachhaltigkeit ist ein Begriff, welcher zusehends leichtfertig und meist auch leichtgläubig verwendet wird. Oft ist damit eine zukunftsweisende Entwicklung oder die Nachahmung eines, den Menschen bequem und einfach erscheinenden Trends gemeint.
In Präsentationen oder in politischen Aussagen wird gerne auf die Aspekte der Nachhaltigkeit hingewiesen. Dabei wird oft der soziale Aspekt besonders hervorgehoben, ohne dass dieser, abgesehen von der namentlichen Erwähnung, im Konzept wiederzufinden ist.
Der ökologische Aspekt wiederum – gerne als Umweltschutz bezeichnet, beschränkt sich häufig auf einzelne, einfach zu visualisierende Maßnahmen, die dem gesamten Vorhaben die notwendige grüne Farbe verleihen. Fleißig wird Ökostrom eingekauft, Erdgas mit 1 % realem „Biogas“ salonfähig vertrieben und um den letzten Skeptikern zu zeigen, dass schonungslos an die Umwelt gedacht wird, spazieren wir in die Wälder und schlagen tonnenweise Holz heraus, um es in einem wildromantischen Pelletfeuer zu verheizen und uns gegenseitig auf die Schulter zu klopfen. Umweltschutz ist doch so leicht.
Wir leben in einer Zeit, die sich wandelt. Wir werden mit neuen Begriffen konfrontiert und müssen lernen, mit diesen umzugehen. Es ist wichtig, dass wir verstehen, was hinter diesen Aussagen steht und wo manche uns versuchen zu täuschen. Vielleicht würde vieles sinnvoller gestaltet werden, wenn wir als Konsumenten wüssten, dass grün angestrichene Plakate letztendlich nur aus Farbe bestehen und vor allem anderen dazu dienen, die wirtschaftlichen Interessen der Unternehmen zu schützen. Die zugegebenermaßen wenig versteckte Kritik, die in dieser Aussage steckt, gilt nicht den Unternehmen – deren Handeln ist seit jeher der Rationalität und der Logik verschrieben. Und das zurecht. Nein, die Kritik gilt der Leichtgläubigkeit und der Bequemlichkeit. Wir alle wissen, dass wir etwas ändern müssen, wir stehen voller Tatendrang auf und sehen: Ach, sieh her, die machen doch schon. Ja, dann ist doch alles in Ordnung. Es sind nicht die Unternehmen, die handeln müssen – es ist der Mensch aus Fleisch und Blut und nicht die juristische Person. Wir haben von Geburtswegen Augen, Ohren und Verstand. Aber wir müssen noch lernen zu sehen, zu hören und zu verstehen.
Dieses Werk beruft sich nicht auf Vollständigkeit und soll auch keine wissenschaftliche Lektüre darstellen. Vielmehr versucht es, Missverständnisse zu beleuchten und das Interesse zu wecken, sich mit der Wandlung unserer Gesellschaft zu beschäftigen und als alternativlos postulierte Handlungen kritisch zu hinterfragen. Ich möchte Ansätze aufzeigen, welche bei der Auseinandersetzung mit wohlklingenden populistischen Aussagen helfen. Zudem sollen ebendiese Ansätze dazu dienen, „nachhaltiges“ Strohfeuer von zukunftsweisenden Konzepten zu unterscheiden. Dazu erscheint es sinnvoll, unterschiedliche Perspektiven wahrzunehmen, Begriffe zu definieren und nüchtern zu betrachten. Denn oft sind Nuancen mitentscheidend. Es muss unterschieden werden zwischen „richtig“ und „unter gewissen Bedingungen richtig“. System- und Bilanzierungsgrenzen werden häufig aus Bequemlichkeit ausgeblendet, sodass das gewünschte Ergebnis auch richtig erscheint. Deshalb werde ich versuchen, in diesem Buch einzelne Elemente genauer zu beleuchten und gleichzeitig, das System als Ganzes zu betrachten.
Bevor im Folgenden unser Bemühen nach oder unser Verständnis von Nachhaltigkeit hinterfragt wird, erscheint es sinnvoll den Begriff der Nachhaltigkeit als solchen zu definieren.
Generell beschreibt Nachhaltigkeit einen Zustand, der es ermöglicht, unsere Bedürfnisse zu erfüllen, ohne die Möglichkeit zukünftiger Generationen zu beschneiden, deren Bedürfnisse zu erfüllen1. In dieser Definition wird die zentrale Rolle des Menschen deutlich. Unterschieden wird häufig zwischen ökonomischer, ökologischer und sozialer Nachhaltigkeit. Wenn wir von Nachhaltigkeit sprechen, dann meinen wir damit die Bedürfnisse der Menschen, ohne dabei räumlich oder zeitlich zu differenzieren. Es geht somit um jeden Menschen, der jetzt oder in Zukunft auf diesem Planeten lebt.
Nachhaltigkeit ist ein Sammelbegriff für verschiedenste Aspekte und meint nicht mehr und nicht weniger als sämtliche Chancengleichheit eines jeden Individuums, ungeachtet dessen, ob er bereits geboren ist oder nicht.
Vielen mag nun unangenehm sein, dass dem Begriff durch diese Darstellung ein wenig an Charme verloren geht. Doch durch die nüchterne Betrachtung kann es einfacher erscheinen, etwas Distanz zu dem Begriff der Nachhaltigkeit zu gewinnen und einen davon abhalten, ihn leichtfertig zu gebrauchen. Bezeichnen wir für einen Augenblick Nachhaltigkeit als die egoistische Forderung der Menschheit, ihren Lebensstandard auf einem möglichst hohen Niveau dauerhaft zu halten. Diese auf den Menschen reduzierte Formulierung zwingt uns, darüber nachzudenken, was wir als Grundlage unseres Lebensstandards betrachten und wie wir unsere Bedürfnisse definieren wollen.
Hierzu zählen dann sicherlich Grundbedürfnisse wie Nahrung, Gesundheit, Sicherheit, aber auch weiterführende Bedürfnisse wie Komfort, Wohnen, Selbstbestimmung, Wohlstand, Erholung und Freizeit. Diese Liste könnte beliebig weitergeführt und gegliedert werden. Auch hier werden wieder die auf die Menschen bezogenen sozialen und ökonomischen Aspekte deutlich, die durch eine egoistisch agierende Menschheit ausreichend abgedeckt sind. Hinzu kommt allerdings eine auf die Umwelt beziehungsweise die naturbezogene ökologische Nachhaltigkeit, die durch die Forderung nach Gesundheit, Energie und Artenvielfalt herrührt. Dabei ist die Artenvielfalt für ein stabiles Ökosystem wichtig und bereichert die Menschheit auf sozialer Ebene. Ausnahmen sind hierbei Menschen, die ein abgekapseltes Stadtleben führen wollen und denen es ausreicht, Tiere im Zoo zu betrachten und sich im besonderen Maße geehrt fühlen, wenn sie darunter auf einem Schild lesen können: Dies ist das letzte Exemplar seiner Art.
Fassen wir zusammen, dann ist es völlig ausreichend, wenn die Menschheit egoistisch handelt, denn dann ist an alles gedacht. Wenn wir dann unseren Nutzen maximieren wollen, sorgen wir uns gleichzeitig um unsere Umwelt; dazu zählen dann unsere Mitmenschen und deren Nachkommen und auch die Tier- und Pflanzenwelt. Dazu ist es aber wichtig, dass die Menschheit den Nutzen und damit den Wert der Welt für sich erkennt und dadurch scheinbar altruistisch handelt. Ich unterstelle der Menschheit an dieser Stelle Empathie für die sie umgebende sichtbare und nicht sichtbare Welt.2
Nach Charles Darwins Evolutionstheorie ist eine egoistische Lebensweise aufgrund der bekannten Aussage „survival of the fittest“3 oder „Überleben des am besten Angepassten“, für das Überleben einer Spezies durchaus zielführend. Es entsteht die Hoffnung, dass eine egoistisch handelnde Menschheit in einem stabilen Ökosystem resultiert und sich die erzielte Nachhaltigkeit nicht nur auf den Menschen reduziert, sondern sich auf das Gesamtsystem positiv auswirkt. Dabei sind lediglich – und im entscheidenden Maße – zwei Störgrößen vorhanden, die diese Hoffnung illusorisch erscheinen lassen. Denn die Menschheit handelt nicht geschlossen.
Erstens handeln derzeitige Generationen egoistisch und leben auf Kosten zukünftiger Generationen und zweitens handeln einzelne Individuen egoistisch und streben danach ihren eigenen Nutzen zu maximieren, und nicht den der Gesellschaft.
Somit kann die Komplexität einer nachhaltigen Welt auf die Problematik der egoistisch handelnden Individuen der Menschheit reduziert werden. Das heißt, alles was wir fertigbringen müssen ist, geschlossen als Menschheit zu handeln. Wir müssen uns als Gesellschaft sehen und die Verantwortung übernehmen, die uns als Individuen einer Gesellschaft zuteil wird. Und das ist das größte und das einzige Problem. Jeder dürfte bereits folgenden Spruch gehört haben.
Es stehen 1000 Menschen in einem Eck und sagen im Chor: Einer allein kann nichts ändern.
Nachdem ich aufgezeigt habe, dass wir nicht primär ein Nachhaltigkeitsproblem haben, sondern es letztlich auf ein gesellschaftliches Problem hinausläuft, stelle ich nun einmal die Gegenfrage.
Müssen wir etwas tun, damit wir Nachhaltigkeit erreichen oder erhalten wir einen nachhaltigen Zustand ganz ohne unser Zutun? Die Frage scheint zunächst verwirrend, wird uns doch von allen Seiten eingetrichtert, dass wir etwas tun müssen.
Rufen wir uns noch einmal in Erinnerung was Nachhaltigkeit bedeutet. Nachhaltig beschreibt nämlich einen Zustand, der bis in alle Ewigkeit4 konstant gehalten werden kann. Somit läuft es darauf hinaus, dass wir irgendwann nur so viel konsumieren können (Energie, Nahrung, Material, Gesundheit), wie unserem Ökosystem zugeführt beziehungsweise an Giftstoffen abgebaut werden kann. Dieses Gleichgewicht wird spätestens dann erreicht werden, wenn alle gespeicherten Ressourcen aufgebraucht sind