Anja und das Reitinternat - Himmel und Hölle. Feli Fritsch
Читать онлайн книгу.Anja rollte mit den Augen. Sky war der Nachwuchshengst ihres Vaters, sein ganzer Stolz. Und Anja hatte die Ehre bekommen, ihn mittrainieren zu dürfen und ihn auf Turnieren vorzustellen. In den Sommerferien sollte sie mit ihm in der A-Klasse starten.
„Okay, Leute“, rief Friederike in diesem Moment. „Wir sind jetzt durch mit der Springprüfung. Man sieht euch an, dass ihr keine Lust mehr auf eine große Nachbesprechung habt. Seid nur morgen bitte pünktlich auf der Geländestrecke, damit wir genauso gut durchkommen wie heute. Ich wünsch euch einen entspannten Nachmittag“, mit diesen Worten entließ sie die Schüler in ihre Freizeit.
„Na endlich. Das wurde aber auch Zeit“, fand Anja und ließ sich aus dem klebrigen Sattel gleiten. Sie spürte nur noch den Schweiß auf ihrer Haut und wollte eigentlich nur noch unter die Dusche oder in den kühlen Waldsee springen; aber zuvor musste sie ihr Pony fertigmachen.
Boreo war ein sehr talentierter Ponywallach. Ein Endmaß-Pony, das etwas zu groß geraten war. Mit 1,50 Metern Stockmaß war Boreo offiziell kein Pony mehr, wurde aber durch seine Rasse dennoch als Pony geführt. Für die Zucht war er damals uninteressant geworden, da er nicht den Anforderungen entsprach. So hatte sich der freche Fuchs allerdings durch sein übernatürliches Geschick am Sprung durchgesetzt und war erfolgreich bis zur Klasse M auf Turnieren unterwegs gewesen und hatte nebenbei viele Meisterschaftstitel abgeräumt, bis er schließlich zu Anja gekommen war, als sie in die fünfte Klasse eingeschult wurde. Das war jetzt fast vier Jahre her und sie freute sich jeden Tag erneut, wenn sie aus ihrem Zimmer heraus auf die Koppeln blickte und ihren kleinen Rabauken entdeckte. Sie hatte Boreo sehr lieb und er war ihr ein und alles. Neben Phil natürlich.
„Los, Leute. Lasst uns unsere Sachen packen, bei Iris in der Küche was zum Mittagessen stibitzen und mit den Pferden zum Waldsee. Ich brauch ’ne Auszeit“, forderte Olli sie alle mit neuer Energie erfüllt auf.
„Ich hol‘ meine Sachen schnell aus meinem Zimmer“, rief Anja und joggte durch die brütende Hitze los Richtung Privathaus, in dem sie mit ihrer Familie wohnte. Die Bernersennenhündin Marla kam ihr schwanzwedelnd entgegen, als sie die Haustür aufschloss, ihre Schuhe in die Ecke kickte und in die Kühle hineintrat. Entspannung.
„Was machst du denn schon hier?“, kam es ihr aus dem Wohnzimmer entgegen. Cedric. Ihr großer Bruder war siebzehn Jahre alt und hielt sich für den Größten. Mit seinem Pferd Spirit, das eigentlich Spirit’s Best hieß, war er nicht nur der Jahrgangsbeste, sondern auch noch Deutscher Jugendmeister der Vielseitigkeitsreiter in diesem Sommer geworden.
„Mama hat uns schon gehen lassen. Auf dem Platz verkokelt man und in der Halle verdampft man“, entgegnete Anja nur kühl und verschwand die Treppe hinauf in ihrem Zimmer. Sie hatte das Glück, ein sehr großes Zimmer mit einem eigenen Bad, einem Ankleidezimmer und einer Schlafkammer zu besitzen. Cedric hingegen musste sich das Bad mit den Eltern teilen, was ihm gar nicht gefiel. Aber so war das eben. Wenn er in zwei Jahren sein Abi haben würde, dann würde er sowieso ausziehen und fürs Studium weg sein. Das Reitinternat – so hatte er es schon vor zwei Jahren laut verkündet – wollte er nicht übernehmen. Umso schöner für mich , dachte Anja, denn es ist nicht nur mein zuhause, sondern auch mein absoluter Traum!
Die Sonne schien gnadenlos auf die Jugendlichen herab und spiegelte sich hell im Wasser, als sie sich am Waldsee einen freien Platz suchten, an dem sie ihre Picknickdecke ausbreiten und die Pferde nach dem Baden an einem Baum festbinden konnten.
„Ich fühl mich ja jetzt schon wie ’ne Sardine in der Büxe.“ Anja ließ ihren Blick über die Menschenmassen gleiten. Überall waren Menschen. Die grüne Wiese, der Sand – alles war von nackten Menschen und ihren Rucksäcken bedeckt.
„Wir hätten bis heute Abend warten müssen“, stellte Olli fest, als er sich das T-Shirt über den Kopf zog und Schoki den Sattel abnahm.
„Ja, und dann sind hier nur noch die angesoffenen Studenten, die schon Semesterferien haben, und der Rest liegt in den Büschen“, Celina sah ihn wenig begeistert an.
„Wer sagt denn, dass ich was dagegen hätte?“, zwinkerte Olli und die drei Mädchen stöhnten.
„Mensch, Oliver! Hör auf damit“, fauchte Amelie. Olli verkniff sich einen weiteren Kommentar und zuckte nur die Schultern.
Sie zogen sich schnell um und gingen dann mit den Pferden Richtung Waldsee. Vor ein paar Jahren hatte es eine Regelreform gegeben. In einem bestimmten Teil des Waldsees und zu bestimmten Uhrzeiten durften auch die Pferde ins Wasser. Auf dem Internat hatte man diesen Beschluss hoch gefeiert.
„Wollen wir die Pferde nach dem Ausflug dann duschen und für morgen gleich einflechten?“, schlug Anja Amelie vor.
„Logo“, sie zwinkerte ihr zu, dann machte Starbux, den sie seit der fünften Klasse als Reitbeteiligung ritt, einen Satz und seine Reiterin landete im angenehm kühlen Nass.
Olli lachte los, doch Celina schupste ihn von Schokis Rücken, sodass auch er ins Wasser flog. Anja rutschte freiwillig von Boreos Rücken und begann zu schwimmen. Das Wasser umspülte ihren überhitzten Körper und brachte die nötige Entspannung. Das hatte sie vermisst. Sofort dachte sie wieder an Phil …
Anja schlich ins Büro ihrer Mutter. Es war stockfinster. Sie hatte sich nicht getraut, das Licht anzumachen, immerhin durfte Friederike auf gar keinen Fall mitbekommen, dass Anja hier war. Olli und Amelie hatten sie dazu überredet, herauszufinden, welche Noten Frau Klein ihnen mit den Wertnoten geben würde, die sie am nächsten Abend nach der Geländeprüfung errechnet hatten. Eigentlich waren die Ansprüche hoch, aber Friederike hatte eine neue Bewertungstabelle erstellt. Jetzt waren sie natürlich alle gespannt.
Anja stieß irgendwo gegen. „Autsch!“ Sie humpelte im Dunklen hinüber zu dem Schreibtisch. Die Hand konnte man kaum vor Augen sehen. Warum hatten die Streber ausgerechnet sie losschicken müssen? Wenn Friederike etwas mitbekam, dann gäbe es Ärger – hundertprozentig.
Anja kramte in den Unterlagen ihrer Klasse. Irgendwann fand sie die Bewertung zwischen den ganzen Zetteln. Mama sollte sich unbedingt mal eine neue Ordnung anschaffen , fand sie und kniff die Augen zu, um die Ziffern lesen zu können. Da alle im 8er-Notenbereich waren, bekamen auch alle eine Eins. Anja freute sich und wurde unvorsichtig. Irgendetwas fiel vom Tisch herunter, als sie den Blätterstapel wieder in die Schublade zurücklegen wollte. Es knallte dumpf und im nächsten Moment hörte man, wie im Schlafzimmer der Eltern jemand aufstand. Anja konnte sich kaum schnell genug hinter dem Sessel verstecken, der im Arbeitszimmer stand, schon ging das Licht an.
„Hallo?“, hörte sie die Stimme ihrer verschlafenen Mutter. „Ist da jemand?“
Anja traute sich nicht, einen Blick zur Tür zu werfen, atmete fast gar nicht.
„Oh, Mann, ich glaube, ich werde alt“, sagte Friederike Klein und Anja musste ein Kichern unterdrücken. Das Licht erlosch und die Tür ging zu. Erleichtert atmete sie aus und bekam einen Schrecken. Was, wenn Mom jetzt in meinem Zimmer schauen wird, ob ich auch schlafe? Dann würde alles auffliegen!
Sie bekam Panik, schob schnell die Schublade zu und schlich in ihr Zimmer. Anscheinend war Friederike zu müde gewesen und direkt wieder ins Bett gegangen. Anja zog sich die Decke bis zum Kinn und schlief sofort ein.
Sommerferien
Die Zeit verging quälend langsam. Es schien so, als bräuchte der Zeiger auf der Uhr über der Tafel doppelt so lang wie sonst. Mir entwich ein Seufzen, als ich mich auf mein Matheheft sinken ließ. Eigentlich hatte meine Klasse vorgehabt, zu frühstücken, doch unser Lehrer war richtig übermotiviert. Herr Gregorie hatte erst vor wenigen Wochen sein Staatsexamen in dieser Klasse bestanden und die Freude am Unterrichten sprühte förmlich aus ihm heraus. Es war schrecklich.
„Wann klingelt es denn endlich? Ich hab keinen Bock mehr auf Mathe-Mist“, flüsterte Celina zu mir herüber und so öffnete ich die Augen.
„Noch fünfzehn lange Minuten. Ich brauch dringend Ferien!“, bestätigte ich und blätterte resigniert eine Seite in meinem Mathebuch um, um die nächste Aufgabe zu rechnen, die Herr Gregorie, ein leider