Reichsgräfin Gisela. Eugenie Marlitt

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Reichsgräfin Gisela - Eugenie Marlitt


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      Also der Abend kam, und was niemand, am allerwenigsten die Frau Gräfin erwartet hatte: Der Prinz blieb richtig zu Hause, und die drei Herren, mein Major, der Baron Fleury und Herr von Eschebach, die auch eingeladen waren, mußten bei ihm bleiben... Der Prinz hatte mich gern, und wenn er abends mit den Herren spielte, da schickte er seine Lakaien fort, und ich mußte auf seinen Befehl im Vorzimmer bleiben...

      Da saß ich denn auch mutterseelenallein im Fenster und horchte auf den greulichen Tumult draußen. – Herr, um ein solch altes Schloß heult der Sturm in einer ganz besonderen Tonart! Da singt und klingt alles mit, was das alte Gemäuer gesehen hat – Turnieren und Bankettieren, und was alles für tote Herrlichkeiten – aber auch Verbrechen und Untaten die schwere Menge!... Es hatte elf geschlagen, aber überall im Schlosse brannten noch die Lichter, kein Mensch traute sich ins Bett... Auf einmal wurden drin im Zimmer die Stühle fortgeschleudert, es riß an der Klingel wie Sturmläuten, und wie ich die Tür aufmache, da liegt Prinz Heinrich totenblaß, mit weit aufgerissenen Augen in seinem Lehnstuhl, und das Blut stürzt ihm stromweise aus Mund und Nase... Die Schloßleute liefen zusammen und klagten und jammerten; aber hinein durfte niemand mehr – ich auch nicht...

      Herr von Eschebach verstand seine Sache, er war der beste Doktor weit und breit, es heißt aber: ›für den Tod kein Kraut gewachsen ist‹ – des Prinzen Stunde hatte geschlagen – da kam mit einemmal Baron Fleury heraus und verlangte ein Pferd. ›Es geht zu Ende mit dem Herrn‹, sagte er zu dem Stallmeister so laut, daß es die Leute noch auf der untersten Treppenstufe hören konnten; ›ein Ritt nach A. in dieser Nacht ist so gut wie Selbstmord; aber der Prinz will sich mit dem Fürsten versöhnen – ein Schuft, der nicht sein Leben dran setzt!‹... Fünf Minuten später hörte ich ihn auf der Chaussee nach A. hinjagen... Von dem Augenblick an verhielten sich alle im Schlosse mäuschenstill – die Gräfin sollte ja tanzen, tanzen, bis – der Fürst sein rechtmäßiges Erbe in der Hand hatte... Da stand ich nun wieder im Fenster und zählte in Todesangst die Minuten – ein scharfer Reiter brauchte eine gute Stunde nach der Stadt.

      Mein Major und Herr von Eschebach waren allein beim Prinzen, er hatte noch seine volle Besinnung – wenn ich der Tür nahe kam, hörte ich deutlich, wie er mit pfeifendem Atem, ruckweise, den Herren diktierte... Dort lag Schloß Greinsfeld – wär' eine klare Nacht gewesen, da hätte ich von meinem Fenster aus ›die Beleuchtung zu Ehren der Prinzessin Heinrichs‹ als hellen Punkt sehen können. ›Hei, tanze du nur und jubiliere da drüben!‹ dachte ich, wie die Schloßuhr draußen zwölfe herabrasselte. ›Nur noch eine einzige Stunde, und dein Tanz hat eine halbe Million gekostet!‹... Im selben Augenblick kam die Windsbraut wieder dahergejohlt – ein Schlot stürzte ein, und das Mauerwerk prasselte nieder auf das Pflaster im Schloßhof, aber es klang auch dazwischen wie Pferdestampfen und Räderrollen – da sprang die Tür auf, und da stand sie – Herr, da stand das Weib! Der Satan muß sie hergeführt haben! Es weiß bis heute keiner, was da geschehen ist und wer den Verräter gemacht hat!... Sie riß den Pelzmantel ab, schleuderte ihn auf den Boden und lief nach dem Sterbezimmer; aber da stand ich schon und hielt das Türschloß in der Hand. ›Da hinein darf niemand, Frau Gräfin!‹ sagte ich. Sie stand einen Augenblick wie versteinert; ihre funkelnden Augen bohrten sich wie Mordspitzen in mein Gesicht. ›Unverschämter, das soll dir teuer zu stehen kommen!‹ zischte sie. ›Fort, nur aus dem Wege!‹... Ich wich und wankte nicht. Drinnen im Zimmer mußten sie aber doch was gehört haben – mein Major kam heraus. Er schlug gleich die Tür hinter sich zu und nahm meinen Verteidigungsposten ein, während ich auf die Seite trat... Es war merkwürdig – er hatte auf einmal etwas im Gesicht, was mir nicht gefiel... Sie haben die Gräfin gekannt, Hüttenmeister?«

      »Ja, sie galt für eine der schönsten Frauen ihrer Zeit... Drüben im Schloß Arnsberg hängt ja noch ihr Bild – eine geschmeidige, schlanke Gestalt, große, kohlschwarze Augen in einem schneeweißen Gesicht, und darüber förmlich strahlendes, goldblondes Haar –«

      »Das war's eben!« unterbrach Sievert grimmig lächelnd die Schilderung. »Weiß der Henker, wie sie's angefangen hat! Sie war dazumal hoch in den Dreißigern und hatte schon eine Tochter von siebzehn Jahren; aber sie sah aus wie Milch und Blut. – Die Jüngste konnte nicht aufkommen neben ihr, und kein Mensch wußte das besser als sie selbst... Das elende Komödiantenweib! Wie zerbrochen fiel sie auf einmal vor meinem Herrn nieder und schlang ihre weißen Arme um seine Knie. Sie steckte noch in den Maskenkleidern – das funkelte und glitzerte, und das gelbe Haar, das ihr der Sturm auseinandergerissen hatte, schleifte lang nach auf dem Boden: An der Seite des Gesichts aber floß es schmal und rot nieder und ringelte sich über den weißen Hals hin wie eine kleine Schlange – hm, eine Schlange mußte freilich dabei sein, wo eine Mannesehre zerbrach, der bis dahin kein Fleckchen nachzusagen war!... Herr, mir zuckte es in den Fäusten, die Erbschleicherin von der Schwelle wegzujagen, wo sie nichts mehr zu suchen hatte – und er stand da, kreideweiß, und entsetzte sich über einen Hautriß an der Stirn des elenden Weibes – ein Stein aus dem niederprasselnden Mauerwerk hatte ihre Stirn gestreift –, wenn er nur besser getroffen hätte!... ›Ich bin verwundet‹, sagte sie so schwach, als ging's zu Ende mit ihr; ›wollen Sie mich hier umkommen lassen, Zweiflingen?‹ Und sie haschte nach seiner Hand und zog sie an ihren lügnerischen, falschen Mund... Hei, da schlug es wie eine Feuerflamme über sein Gesicht! Er riß die Frau in die Höhe und – ich weiß bis heute nicht, wie es zuging –, sie mußte ein Teufel sein an Schlauheit und Behendigkeit, im Umsehen war sie drin im Zimmer und warf sich vor dem Sterbebette nieder... ›Fort, fort!‹ schrie der Prinz und stieß mit den Händen nach ihr; aber da schoß ihm auch schon wieder ein Blutstrom aus dem Munde, und zehn Minuten nachher war's aus und vorbei mit ihm.«

      »Die Nacht ist keines Menschen Freund, heißt's«, unterbrach sich der alte Soldat, herb auflachend; »die Spitzbuben haben keinen besseren Freund! Möchte wissen, ob die Frau Gräfin auch alleinige Erbin geworden wär', wenn die helle Sonne ins Sterbezimmer geschienen hätte – glaub's nicht!... Wie der Prinz den letzten Seufzer ausgestoßen hatte, da stand sie auf – sie sah aus wie ein Geist, aber nicht eine Spur von Mitleid oder gar eine Träne war auf dem hochmütigen, weißen Gesicht zu sehen –, also, sie stand auf und schlug mir die Tür vor der Nase zu. Über eine halbe Stunde lang hat sie drin in einem fort gesprochen, was, das weiß ich nicht – ich hörte nur die Todesangst in ihrer Stimme. Nachher kamen die beiden Herren heraus und zeigten den Schloßleuten den Tod des Prinzen an. Mein Major ging an mir vorbei, als sei ich auf einmal ein Mauerstein oder so was geworden – er sah mich nicht an... Herr, ich sagte vorhin, daß in der Nacht die ganze wilde Jagd über den Thüringer Wald hingetobt sei – nun ja, die Gräfin kam als Frau Venus mitgeritten, und wer der Tannhäuser war, das weiß ich –, mein Herr war seitdem ein verlorener Mann, die Gräfin aber die reichste Frau weit und breit. Das Testament, das sich vorfand, fiel in die Zeit, wo die Feindschaft mit dem Hofe zu A. am schlimmsten und die Macht der Gräfin am höchsten gewesen war – es soll förmlich niet- und nagelfest gewesen sein, und kein Gerichtshof hat daran rütteln können. Was da war, gehörte der Erbschleicherin, nicht einmal die Armen im Lande kriegten einen Groschen.«

      »Verwünscht, daß der Fürst zu spät kam! – stieß der Student hervor und schlug mit der Hand auf den Tisch.

      »Zu spät?« wiederholte Sievert. »Er kam gar nicht. Gegen Morgen fingen Bauern in der Nähe von A. ein herrenloses Pferd ein, und der Baron Fleury wurde im Chausseegraben gefunden. Er war im Hinreiten nach der Stadt mit dem Pferde gestürzt und hatte sich die Gliedmaßen dergestalt verstaucht, daß er nicht von der Stelle konnte... Hei, der sah aus, wie er auf der Trage eingebracht wurde! Die Kleider zerrissen und voll Chausseeschlamm, und die Haare, die der Pomadenheld alle Tage so schön kräuseln und ringeln ließ, hingen wie bei einem Zigeuner über das Gesicht!... Nu, er hat sein Schmerzensgeld vollauf gekriegt. Es ist ihm nicht vergessen worden, daß er sein Leben in die Schanze geschlagen hat, um dem Fürstenhause die Erbschaft zuzuwenden, und drum ist er auch schließlich – Minister geworden.«

      »Und Herr von Eschebach?« fragte der Student.

      »Ja so, Herr von Eschebach!« wiederholte Sievert, indem er sich die Stirn rieb. »Um seinetwegen hab' ich ja eigentlich die Schandgeschichte erzählt. Je nun, der verging sozusagen seit der Nacht. Zuerst war er noch ziemlich lustig und guter Dinge – er ritt viel nach Greinsfeld; das hörte aber schon nach ein paar Tagen ganz


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