TEXT + KRITIK 234 - Robert Menasse. Ewout van der Knaap
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Zeitschrift für Literatur
Begründet von Heinz Ludwig Arnold
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Meike Feßmann, Axel Ruckaberle, Michael Scheffel und Peer Trilcke
Leitung der Redaktion: Claudia Stockinger und Steffen Martus
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E-ISBN 978-3-96707-636-3
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© edition text + kritik im Richard Boorberg Verlag GmbH & Co KG, München 2022
Levelingstraße 6a, 81673 München
Inhalt
Michael Köhlmeier
Mein Robert Menasse
Daniela Strigl
Der Gegendenker. Laudatio für Robert Menasse
Attila Bombitz Variationen auf die Entgeisterung. Zum literarischen Werk von Robert Menasse
Armin Schäfer Konstruktion und Störung. Zu Robert Menasses »Die Vertreibung aus der Hölle«
Sławomir Piontek Die Erziehung der Lust als ein Psychogramm einer Generation
Florence Baillet Robert Menasses Theaterstücke. Zeitgenossenschaft, politisches Engagement und figurenorientiertes Drama
Benjamin Biebuyck Von der Spannung der Symbole in Robert Menasses Essays und Reden
Ewout van der Knaap Eine eurosophische Fiktion. Zu Robert Menasses »Die Hauptstadt«
Eva Schörkhuber Zugänge zum literarischen Vorlass von Robert Menasse
Robert Menasse Der Preis der Werte
Ewout van der Knaap Vita Robert Menasse
Ewout van der Knaap Auswahlbibliografie
Robert Menasse Abwesenheitsnotiz 2020/21
Michael Köhlmeier
Einmal hat mich Robert Menasse gelobt. Als ich ihm einen Witz erzählte, nämlich diesen: Es klingelt an der Tür, der Mann macht auf, sieht aber niemanden. Dahört er unter sich ein Kratzen. Dort steht ein kleiner Tod, halb so hoch wie sein Knie, in der Knochenhand die Sense. Er sagt: »Hab keine Angst, ich hole nur den Hamster.«
Robert lachte sehr laut und sehr lange, wir saßen im Kaffeehaus, und immer wieder lachte er von Neuem. Ich ahnte, dass ihn der Witz auf etwas anderes gebracht hatte, das nur ihn anging, oder das zu erklären zu umständlich gewesen wäre und für mich ohne Bedeutung. Seither höre ich den Nachhall seines Lachens aus allen seinen Büchern. Auch aus jenen, die er vor meinem Witz geschrieben hat, sogar aus jenen, die er geschrieben hat, bevor wir uns kannten. Das wäre allerdings eine Art Wunder. Aber diese Art Wunder würde zu ihm passen.
Als unsere Tochter beerdigt wurde, kam er. Und war da. Und weinte mit mir. Es gibt nichts zwischen uns zu vergeben, weil wir uns seit diesem Tag immer alles vergeben würden.
Daniela Strigl
Der Gegendenker Laudatio für Robert Menasse 1
An Robert Menasse gibt es, gottlob, viel zu loben, so viel, dass man nicht weiß, wo anfangen – und auch nicht, wo aufhören.
Hätte das Wort nicht einen leicht gönnerhaften Beigeschmack, würde ich sagen, Robert Menasse ist ein Tausendsassa, einer, der vieles ist und vor allem vieles kann.
Zunächst ist er natürlich Schriftsteller, Romancier. Sodann Essayist und politischer Kommentator. Außerdem Theaterautor (2009 wurde sein Stück »Doktor Hoechst« am Staatstheater Darmstadt uraufgeführt). Menasse ist Germanist (als solcher hat er etwa energisch für die Wiederentdeckung von Gerhard Fritsch plädiert), er ist – oder war – Übersetzer aus dem Portugiesischen.
Er ist übrigens auch: Laudator (seine Rede auf den in Wiener Neustadt geborenen Autor Elazar Benyoëtz gehört zu den besten Laudationes, die ich je gehört habe). Schade also, dass Robert Menasse seine Laudatio nicht selbst halten kann. Er ist auch ein glänzender Redner.
Ob er ein ebenso guter Zuhörer ist, weiß ich nicht, aber das gehört zu den Vorzügen dieser Textsorte: Es bleibt ihm nichts anderes übrig.
Menasses erste Erzählung hatte den prägnanten, adoleszentem Kunstwollen durchaus angemessenen Titel »Nägelbeißen« und erschien 1973 in der legendären Jugendzeitschrift »Neue Wege«. 1979 gehörte Menasse zu den studentischen Begründern des »Zentralorgans herumstreunender Germanisten«. Im Jahr darauf wurde er an der Universität Wien promoviert, mit einer Dissertation über den »Typus des ›Außenseiters‹ im Literaturbetrieb (Am Beispiel Hermann Schürrer)«. Anders als der genialische Dichter und gewiss nicht minder begnadete Trinker Schürrer, eine berühmte Wiener Lokal-Größe, hatte Robert Menasse kaum Gelegenheit, den Außenseiterstatus im Literaturbetrieb am eigenen Leib zu studieren.
Als Schriftsteller im engeren Sinn hat er sich mannigfaltig bewiesen: In seinen Romanen exerziert er alle möglichen Genres durch, manchmal auch in Überblendungen: den Exilroman, die Gelehrtensatire, den philosophischen Konversationsroman, den Campus-Roman, den Reiseroman, die Dorfgeschichte, den historischen Roman, den erotischen Entwicklungsroman. 2009 überraschte er seine Leser mit einem Erzählband – es war, und das war nun wirklich überraschend, sein erster. An Gedichten sind meines Wissens nur fünf Stück erschienen, weshalb ich mir erlaube, sie hier unter den Gabentisch fallen zu lassen, merkwürdigerweise firmierten sie unter dem Titel des allerersten – vom Autor verworfenen – Romanprojekts »Kopfwehmut«.
Das Goldene Verdienstzeichen des Landes Wien ist aber, das soll nicht übersehen werden, kein Literaturpreis (die Literaturpreise Menasses sind Legion), es ist ein Orden. Die »großen Verdienste«, die damit laut Statut gewürdigt werden sollen, gehen gerade im Fall Robert Menasses über das hinaus, was er sozusagen auf Grundlage seiner Profession, seines Schriftstellerhandwerks geleistet hat. Robert Menasse ist eine Institution, eine Wiener Institution, wie man, um »Das Lied der Deutschen« zu zitieren, »Von der Maas bis an die Memel, / Von der Etsch bis an den Belt«, also eben nicht nur hierzulande und nicht nur auf dem Gebiet des heutigen Deutschland, weiß. Die Institution Robert Menasse wirkt europaweit, sie wirkt auch dort, wo nicht deutsch gesprochen wird, sogar dort, wo das Deutsche aus historischen Gründen keinen besonders