La San Felice Band 6. Александр Дюма
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La San Felice B6
Sechster Theil
Erstes Capitel.
Nicolino's Verhör
Die wenigen Augenblicke, welche vergingen, bis, nachdem der Commandant Don Roberto sich entfernt, der Gefangene eintrat, wurden von dem Fiscalprocurator dazu angewendet, daß er ein Richtergewand über seine gewöhnlichen Kleider warf, eine ungeheure Perrücke, welche nach seiner Meinung seinem Gesichte Majestät verleihen sollte, auf seinen magern, langen Kopf und auf diese Perrücke wiederum eine viereckige Mütze setzte.
Der Protokollant begann damit, daß er die beiden mit einem N bezeichneten Pistolen und den Brief der Marquise von San Clemente als Ueberführungsbeweise auf den Tisch legte. Dann schritt er zu derselben Toilette, welche sein Vorgesetzter gemacht, natürlich mit Beobachtung des Rangunterschieds, das heißt, sein Gewand war enger, seine Perrücke weniger umfangreich und sein Barett weniger hoch.
Hierauf nahm er an dem kleinen Tische Platz. Der Marquis Vanni setzte sich an den großen, und da er ein ordnungsliebender Mann war, so schob er das vor ihm liegende Papier so zusammen, daß kein Bogen über den andern hervorragte, überzeugte sich, daß Tinte in dem Fasse war, untersuchte den Schnabel seiner Feder, spitzte ihn mit einem Federmesser, egalisierte die beiden Spitzen durch Abkippen auf dem Nagel, zog aus seiner Tasche eine mit dem Porträt des Königs geschmückte goldene Tabatière, stellte sie so, daß sie ihm bequem zur Hand war, weniger um daraus zu schnupfen, als damit mit jener gleichgültigen Miene des Richters zu spielen, welcher mit dem Leben eines Menschen eben so sorglos spielt, wie mit seiner Dose, und erwartete Nicolino Caracciolo in der Haltung, von welcher er glaubte, daß sie die geeignetste sei, um Wirkung auf den Gefangenen zu äußern.
Unglücklicherweise war Nicolino Caracciolo durchaus nicht der Mann, der sich durch die Attitüden des Marquis Vanni hätte imponieren lassen. Die Thür, welche sich hinter dem Commandanten geschlossen, öffnete sich zehn Minuten später vor dem Gefangenen und Nicolino Caracciolo trat mit einer Eleganz gekleidet, welche den wenig comfortablen Aufenthalt in einem Gefängniß durchaus nicht verrieth, mit lächelnder Miene herein und trällerte dabei das »Pria che spunti l'aurora« aus der Oper »Il Matrimonio segreto.«
Begleitet war er von vier Soldaten und hinter ihm drein folgte der Gouverneur. Zwei Soldaten blieben an der Thür stehen, die zwei andern schlossen sich rechts und links an den Gefangenen an, welcher gerade auf den für ihn bereitgestellten Sitz zuging, sich, ehe er sich setzte, mit der größten Aufmerksamkeit rings umschaute, auf französisch die drei Sylben: »Tiens! tiens! tiens!« welche, wie man weiß, bestimmt sind, komisches Erstaunen auszudrücken, murmelte und dann, sich mit der größten Höflichkeit an den Fiscalprocurator wendend, fragte:
»Haben Sie, Herr Marquis, vielleicht zufällig die »Geheimnisse Adolpho‘s« gelesen?«
»Was ist das, die »Geheimnisse Adolpho‘s?« fragte Vanni, indem er seinerseits antwortete, wie Nicolino gewohnt war es zu thun, nämlich durch eine anderweite Frage.
»Es ist ein neuer Roman von einer Engländerin Namens Anna Radcliffe.«
»Ich lese keine Romane, verstehen Sie, mein Herr,« antwortete der Richter in würdevollem Tone.
»Daran thun Sie Unrecht, sehr Unrecht. Es gibt deren sehr amüsante, und ich möchte wohl einen in meinem Gefängniß zu lesen haben, wenn es hell genug dazu wäre.«
»Mein Herr, ich wünsche, daß Sie vor Allem Ihre Aufmerksamkeit darauf lenken – «
»Worauf denn, Herr Marquis?«
»Daß wir hier sind, um uns mit etwas ganz Anderem zu beschäftigen als mit Romanen. Setzen Sie sich.«
»Ich danke Ihnen, Herr Marquis; ich wollte Ihnen blos sagen, daß in den »Geheimnissen Adolpho‘s« die Beschreibung eines Zimmers vorkommt, welches diesem hier vollkommen ähnlich ist. In diesem Gemach hielt der Räuberhauptmann mit seiner Bande Sitzung.«
Vanni rief seine ganze Würde zu Hilfe.
»Angeklagter, ich hoffe, daß diesesmal –«
Nicolino unterbrach ihn.
»Erstens heiße ich nicht Angeklagter, das wissen Sie.«
»Vor dem Gesetze gibt es keine socialen Rangunterschiede, Sie sind angeklagt.«
»Als Verbum laß' ich den Ausdruck gelten, als Substantivum aber nicht. Wessen bin ich denn angeklagt?«
»Sie sind eines Complotts gegen den Staat angeklagt.«
»Aber, mein Himmel, da verfallen Sie schon wieder in Ihre Manie!«
»Und Sie in Ihren Mangel an Ehrerbietung gegen die Gerechtigkeit.«
»Wie? Ich beweise Mangel an Ehrerbietung gegen die Gerechtigkeit? Ach, mein Herr Marquis, ganz gewiß halten Sie mich für einen Andern, denn Niemand respektiert und verehrt die Gerechtigkeit mehr als ich. Die Gerechtigkeit ist ja das Wort Gottes auf Erden. O nein, ich bin nicht so gottlos, daß ich unehrerbietig gegen die Gerechtigkeit sein sollte. Gegen die Richter ist es freilich etwas Anderes, und in Bezug auf diese möchte ich meine Unschuld nicht so keck behaupten.«
Vanni stampfte vor Ungeduld mit dem Fuße.
»Haben Sie sich endlich entschlossen, die Fragen, die ich heute an Sie richten werde, zu beantworten?«
»Es kommt darauf an, was für Fragen Sie an mich stellen werden.«
»Angeklagter!« rief Vanni in heftigem Tone.
»Schon wieder!« rief Nicolino, die Achseln zuckend. »Was kann es Ihnen verschlagen, ob Sie mich Prinz oder Herzog nennen? Ich gebe keiner dieser beiden Benennungen einen Vorzug vor der andern. Ich nenne Sie Marquis, und ganz gewiß, ob ich kaum den dritten Theil der Lebensjahre zähle, welche Sie hinter sich haben, bin ich Prinz oder Herzog seit längerer Zeit, als Sie Marquis sind.«
»Genug über dieses Capitel! Wie alt sind Sie?«
O Nicolino zog eine prachtvolle Uhr aus der Tasche.
»Einundzwanzig Jahre, drei Monate, acht Tage, fünf Stunden, sieben Minuten und zweiunddreißig Secunden. Diesmal, hoffe ich, werden Sie mich nicht eines Mangels an Genauigkeit beschuldigen.«
»Wie heißen Sie?«
»Immer noch Nicolino Caracciolo.«
»Wo wohnen Sie?«
»Im Castell San Elmo, Kerker Nummer drei, in der zweiten Etage, unter dem Zwischenstock.«
»Ich frage Sie nicht, wo Sie jetzt wohnen, sondern wo Sie wohnten, als man Sie festnahm.«
»Als man mich festnahm, wohnte ich gar nicht; ich war auf der Straße.«
»Gut, gut, es kommt auf Ihre Antwort weiter nichts an. Man weiß, wo Sie gewohnt haben.«
»Dann sage ich wie Agamemnon zu Achilles: Warum, Freund, fragst Du mich, da Du es doch schon weißt?«
»Waren Sie bei der Versammlung der Verschwörer, die in der Nacht vom 22.
zum 23. Dezember in den Ruinen des Palastes der Königin Johanna stattfand?«
»Einen Palast der Königin Johanna in Neapel kenne ich nicht.«
»Wie, Sie kennen nicht die Ruinen des Palastes der Königin Johanna auf dem Pausilippo, dem Hause, welches Sie bewohnen, beinahe gerade gegenüber?«
»Ich bitte um Verzeihung, Herr Marquis, wenn ein Mann aus dem Volke, ein Fiakerkutscher, ein Fremdenführer, ja sogar ein Minister des öffentlichen Unterrichts – Gott weiß, woher man in unserer Zeit die Minister nimmt! – einen solchen Irrthum begeht, so ist es leicht begreiflich; wenn aber Sie, ein Archäolog, in der Architectur um dritthalb Jahrhunderte und in der Geschichte um fünfhundert Jahre sich irren, so verzeihe ich Ihnen dies nicht. Sie wollen sagen: Die Ruinen des Palastes Anna‘s Caraffa, der Gattin des Herzogs von Medina, des Günstlings Philipp des Vierten, welche nicht den Erstickungstod starb wie Johanna die Erste, noch an Gift, wie Johanna die Zweite – bemerken Sie wohl, daß ich diese Thatsache nicht behaupte, denn dieselbe ist zweifelhaft geblieben – sondern an der Läusesucht wie Sylla und Philipp der Zweite – das ist nicht erlaubt, Herr Marquis, und wenn ein solcher Irrthum bekannt würde, so wäre es um Ihren Ruf als wissenschaftlich gebildeter