Im Hause des Commerzienrates. Eugenie Marlitt

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Im Hause des Commerzienrates - Eugenie Marlitt


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sie hatte ihr kleines Vermögen von wenigen Tausenden auch in das große Glücksrad geworfen, das heißt in Actien angelegt, und fast unheimlich sah es aus, wenn das Gesicht der sonst so kühlempfindenden Frau bei den immer wiederkehrenden Geldgesprächen vor aufgestörter innerer Leidenschaft roth bis über die Schläfe wurde. …

      Käthe verließ den Thurm und betrat die Brücke. Sie bog sich einen Augenblick über das Geländer und sah forschend in die Wasserfluth, als müßten die alten Bekannten, die Zwergobstbäumchen und Beerensträucher, noch an ihren Plätzen stehen, aber sie blickte nur in ihr eigenes Gesicht mit dem Diadem der dicken, braunen Flechte über der Stirn – dieses Mädchen hatte die wundersame Eigenschaft, der Goldfisch der Familie zu sein; das wurde ihr täglich gesagt, als solcher wurde sie respectirt und ausgezeichnet; man suchte ihr begreiflich zu machen, daß sie eben als solcher die braunen Flechten nicht selber ordnen dürfe, daß eine Kammerjungfer nunmehr unumgänglich nöthig sei, aber sie hatte sich ernstlich und energisch der Frau Präsidentin gegenüber verwahrt; sie gab ihren Kopf nicht in dergleichen künstlerische Hände – im Frisirmantel stundenlang steif und feierlich wie ein Götzenbild zu sitzen, das brachte sie in ihrem ganzen Leben nicht fertig. … O ja, es war und blieb „über die Maßen hübsch“, reich zu sein, nur durfte der Reichthum nicht unfrei machen; er durfte dem raschen, warmblütigen Menschenkind die regen Hände nicht binden wollen.

      Sie hatte die zierlichen Anlagen vor der Ruine verlassen und schritt auf dem wenig gepflegten Wege neben dem weidenbesetzten Flußufer. Noch den Hauch scharfer Winterkälte im Athem und den geschmolzenen Schnee aus den Bergen mit sich schleppend, schossen die Wassermassen lehmfarben neben ihr hin, aber die Elritzen zuckten frühlingslebendig und blank wie Silberstäbchen durch die trübe Fluth; an den Weidengerten saßen die weichflaumigen Blüthenkätzchen, und unter dem schützenden Laubgebüsch hatte das Leberkraut den ganzen zarten Schmelz seiner himmelblauen Blumen ausgebreitet – die gaben schon einen Frühlingsstrauß. –

      Die Blumen in der Hand, wandelte sie langsam weiter bis zu der alten Holzbrücke. … Dort streckte sich Susens Bleichplatz, die mit Obstbäumen bestandene Rasenfläche hin. Der Commerzienrath hatte Recht gehabt, in dem niedrigen Holzgitter, das den Garten umfriedigte, fehlte kein Stab, und an dem Hause kein Ziegel, kein Brett, auch nicht die kleinste Latte des Weinspaliers. … Und es war doch ein hübsches, altes Haus, die verlästerte Baracke! Es lag so geborgen hinter dem rauschenden Flusse, und der Laubwald im Hintergrunde, der sogenannte Stadtforst, der ziemlich nahe an das Holzgitter heranrückte, gab ihm den anmuthig einsamen Charakter einer Försterei. Niedrig war es allerdings; es hatte nur eine Fensterreihe – direct darüber erhob sich das Dach mit den vergoldeten Windfahnen und den massiven Schlöten, von denen der eine in der That rauchte – nie gesehene Erscheinung! In dem Hause hatte seit langen Zeiten kein Feuer in Herd und Ofen, kein Licht auf dem Tische gebrannt. Zu des Schloßmüllers Lebzeiten war jahraus, jahrein Getreide in den Stuben aufgeschüttet worden, die Jalousien hatten wie festgemauert vor den Fenstern gelegen, und nur alljährlich bei der Obsternte hatte die streng verschlossene Hausthür tagsüber offen gestanden. Da war dann auch die kleine Käthe hineingeschlüpft in die sogenannte Obstkammer, die neben der Küche gelegene weißgetünchte Stube mit dem großen, grünen Ofen, und hatte sich das Schürzchen mit Birnen und Aepfeln gefüllt. … Heute nun waren die Läden zurückgeschlagen, und das junge Mädchen sah zum ersten Mal Glasscheiben blinken in den großen, von Steinrahmen umfaßten Fenstern. Das war nun Doctor Bruck’s Haus.

      Ohne zu wissen wie, hatte sie die Brücke überschritten und umging das Gebäude von drei Seiten. Das Herz klopfte ihr ein wenig. Sie hatte kein Recht mehr, sich hier bemerklich zu machen, aber ihre Fußtritte verhallten auf dem weichen Grasboden; dazu toste der angeschwollene Fluß stark herüber, und auf dem Dache lärmten die Spatzen. Einzelne Fensterflügel standen offen; sie sah Ampeln mit grünem Schlingpflanzenbehang an den stuckverzierten Zimmerdecken schweben und blankes Kupfergeschirr auf der Küchenwand glänzen; auch zartes Vogelgezwitscher klang heraus und mischte sich mit dem zänkischen Geschrei der Sperlinge, aber kein Geräusch menschlichen Lebens und Treibens war zu hören. … Nun bog sie zuversichtlicher um die westliche Hausecke und wollte die Hauptfronte entlang gehen, und da schrak sie zusammen.

      In der Flügelthür, welche die Façade in zwei gleiche Hälften theilte, und von der die Steintreppe fast vornehm breit auf den Rasenplatz herabstieg, stand eine Frau, eine feine, schlanke, fast mädchenhaft zierliche Erscheinung. Sie hatte einen Tisch neben sich stehen, auf welchem Bücher und Bilder aufgehäuft lagen, und war mit Abstäuben derselben beschäftigt. Befremdet sah sie auf die unsicher Näherkommende und ließ unwillkürlich das Bild sinken, das sie eben mit dem Staubtuche säuberte – es war Flora’s Photographie im Ovalrahmen.

      Das konnte doch unmöglich die Tante Diakonus sein! Nach Flora’s eben gehörter, mit beißender Ironie getränkter Schilderung[96] hatte sich Käthe ein kleines, gebücktes, wenn auch immer noch rasches Hausmütterchen mit küchengeschwärzten Händen gedacht, das, zwischen Pfannen und Töpfen und Einmachbüchsen grau geworden, nichts Lieberes that, als Pfannkuchen backen – das Bild war unvereinbar mit dieser Dame, deren kleines, allerdings ältliches Gesicht so zartbleich und edel, mit so milden, sprechenden Augen aus dem weißen Spitzentuche sah, welches sie über das noch sehr reiche, aschblonde Haar geknüpft hatte.

      Käthe wurde immer befangener und stammelte, an den Fuß der Treppe tretend, eine herkömmliche Entschuldigung. „Ich habe als Kind hier gespielt, und bin vor einigen Tagen aus Dresden zurückgekehrt und – das ist meine Schwester,“ setzte sie, auf das Bild zeigend, hastig hinzu, und dann brach sie in ein frisches, helles Lachen aus und schüttelte den Kopf über sich selbst und die naive, ungeschickte Art der Einführung, zu der sie in ihrer Verlegenheit gegriffen.

      Und die Dame lachte auch. Sie legte das Bild auf den Tisch, und die Stufen herabsteigend, streckte sie dem jungen Mädchen beide Hände entgegen. „Dann sind Sie Bruck’s jüngste Schwägerin.“ Ein leiser Schatten flog über ihr Gesicht. „Ich habe nicht gewußt, daß Besuch in der Villa Baumgarten eingekehrt ist,“ fügte sie mit einem kaum hörbaren Anfluge von Bitterkeit hinzu.

      In diesem Augenblicke zog auch ein Wolkenschatten über Käthe’s Seele hin – war sie denn so ein gar Nichts, ein solch verschollenes, nicht mitgeltendes Glied der Familie Mangold, daß Doctor Bruck es nicht der Mühe werth gefunden hatte, seine Begegnung mit ihr zu erwähnen? … Sie biß sich auf die Lippen und folgte schweigend der einladenden Handbewegung der Dame, welche ihr vorausging und eine Thür in dem weiten Hausflure öffnete. Die schlanke Frau war noch so graziös in jeder Bewegung.

      „Das ist mein Stübchen, meine Heimath bis an’s Ende,“ sagte sie mit einer so herzensfreudigen, gleichsam aufathmenden Betonung, als sei sie bis zu diesem Ruheporte mit müden Füßen in der Irre gewandert. „Ehe mein Mann als Diakonus in die Stadt versetzt wurde, lebten wir in einer kleinen Pfarre auf dem Lande. Es ging uns sehr knapp, und ich hatte mein ganzes haushälterisches Talent nöthig, um die Standeswürde nach außen hin zu wahren, aber es war doch die schönste Zeit meines Lebens. … Die staubige Luft und das Geräusch der Stadt haben meinem Nervenleben nicht gut gethan; meine stille Sehnsucht nach grüner Einsamkeit wurde nahezu krankhaft. Ich habe das nie ausgesprochen, und doch hat der Doctor heimlich gesorgt und gespart, und vor einigen Tagen führte er mich hierher in das Haus, das er wenige Stunden zuvor für mich erstanden hatte.“ Bei den letzten Worten klang ihre Stimme verschleiert und tiefbewegt. Sie war also doch die Tante, und ihren Neffen nannte sie stolz „den Doctor“. Und jetzt lächelte sie anmuthig. „Ein wahres Schlößchen ist’s, nicht wahr?“ fragte sie zutraulich. „Sehen Sie doch die Flügelthüren und die prächtige Stuckarbeit an der Decke! Und die alte Ledertapete da mit den geschwärzten Goldleisten ist jedenfalls sehr kostbar gewesen. Draußen im Garten finden sich auch noch Spuren von Taxushecken und Sandsteinfiguren. Ursprünglich ist das Haus der Wittwensitz einer Dame aus dem Hause Baumgarten gewesen – ich weiß es aus einer Chronik. … Wir haben nun tüchtig gescheuert, gelüftet und einige Oefen geheizt, um die alten Wände zu durchwärmen; sonst ist Nichts, nicht ein Nagel verändert worden; dazu reichten die Mittel nicht – und es wäre auch sehr überflüssig gewesen.“

      Käthe hatte längst mit stillem Behagen die ganze Einrichtung überflogen. Die dunkelgewordenen Mahagonimöbel paßten just zu der gelben Ledertapete. An der Mittelwand, nicht weit von dem weißglasirten,


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