Im Hause des Commerzienrates. Eugenie Marlitt
Читать онлайн книгу.dem Ermessen des Vormundes, als eines tüchtigen und umsichtigen Geschäftsmannes, überlassen sein.
Die junge Erbin lebte seit sechs Jahren entfernt von der Heimath. Ihr sterbender Vaters hatte sie der Gouvernante, einem Fräulein Lukas, übergeben, welche die Erziehung des Kindes seit dessen erstem Lebensjahre in den Händen gehabt und in der That Mutterstelle an ihm vertreten hatte. Banquier Mangold hatte sehr wohl gewußt, daß er seinen Liebling, der sich stets scheu von den weit älteren Stiefschwestern ferngehalten, dieses Schutzes nicht berauben dürfe, und deshalb verfügt, daß Katharina mit nach Dresden gehen solle, wo die Erzieherin nach langjährigem Brautstand mit einem Arzte gerade um jene Zeit ihren eigenen Hausstand begründete. … Das junge Mädchen hatte in ihren Briefen an den Vormund nie den Wunsch ausgesprochen, die Heimath wiederzusehen; ebenso wenig war es ihrem Großvater, dem Schloßmüller, eingefallen, sie je zurückzufordern; er war damals vollkommen mit ihrer Uebersiedlung nach Dresden einverstanden gewesen, weil ihr Anblick den Gram um das einzige Wesen, das er geliebt, um seine Tochter, stets erneute. Nun, nach seinem Tode, hatte der Vormund ihre Rückkehr auf einige Zeit gefordert; er hatte ihr zugleich mitgetheilt, daß er sie selbst mit Eintritt der wärmeren Jahreszeit, Ende April, abholen wolle, weil – was er selbstverständlich verschwieg – die Präsidentin Urach sich entschieden gegen eine etwaige Begleitung der ehemaligen Gouvernante verwahrte. Die Mündel war mit allem einverstanden gewesen, und hatte ihn nur auf seine Frage, ob sie bei Ausführung der testamentarischen Bestimmungen irgend einen persönlichen Wunsch habe, dringend gebeten, bei Verpachten der Schloßmühle die große Eckstube nebst Alkoven zu reserviren und beide Räume genau zu belassen, wie sie zu des Großvaters Lebzeiten eingerichtet gewesen seien. Das war geschehen. – –
Es war im Monat März, da kam eine junge Dame von der Stadt her. Sie ging auf der Chaussee, die mit den letzten vereinzelten Ausläufern der Straße, hübschen, kleinen Landhäusern, zu beiden Seiten besetzt war, und bog in den breiten Fahrweg ein, der nach der Schloßmühle führte. Noch war das Schmelzwasser des letzten Schneefalles nicht ganz versickert; es stand in den breiten Furchen, welche die Räder der Mühlenwagen gewühlt hatten, und in den tiefeingedrückten Spuren der vielen Sohlen, die hier verkehrten; aber die schlanken Füße des junge Mädchens steckten in festen Lederstiefelchen, und das schwarze Seidenkleid war so hoch aufgeschürzt, daß der elegant bordirte Saum mit dem triefenden Geröll nicht in Berührung kam. Es war durchaus keine Elfe oder Sylphide, das Menschenkind, das so kräftig und sicher dahergeschritten kam, weit eher eine Gestalt, wie man sich ein schönes Schweizermädchen denkt, dem die kräuterwürzige Alpenmilch und der reine Athem der Bergluft das Blut mischen und Adern und Sehnen vor Gesundheit strotzen machen. Eine anliegende, mit Pelz besetzte schwarze Sammetjacke bezeichnete die kräftigen, aber schön geschwungenen Linien der Taille und des Busens, und auf dem lichtbraunen Haare saß, ein wenig schief gerückt, eine Mütze von Marderfell. Das Gesicht war weit entfernt, proportionirt oder gar classisch regelmäßig zu sein – das gebogene Näschen war zu kurz im Verhältniß zur Wölbung und Breite der Stirn, der Mund zu groß, das runde Kinn mit dem Grübchen ein wenig zu kräftig vorgeschoben, der Bogen der Brauen nicht bestimmt genug, aber diese Mängel wurden aufgewogen durch die reine, von den breiten Schläfen ausgehende Ovallinie und die unvergleichliche Jugendfrische und Blüthe der Gesichtsfarbe.
[41] Die junge Dame trat in das offene Hofthor der Schloßmühle. Eine Schaar Hühner, die, einer Spur verstreuter Getreidekörner nachgehend, eben auf den Fahrweg hinausspazieren wollte, stob gackernd vor ihr auseinander, und die Hofhunde fuhren mit wüthendem Gebelle aus ihrem trägen Halbschlummer empor. Wie floß das neue Frühlingssonnenlicht goldglänzend über die Mauern des alten, prächtigen Hauses, deren gewaltige Quadern vor alten Zeiten unter den Augen des fürstlichen Erbauers aufeinander gethürmt worden waren! Vorgestern erst war die letzte dicke Eiszacke klingend von dem aufgesperrten Löwenrachen der blechernen Dachrinne gefallen, und heute zitterte und flimmerte die Luft über dem sonnenerhitzten Schiefer des Daches. Aus den dicken, braunen Knospen der Kastanien quoll das Harz und ließ sie glitzern, als seien sie mit Diamantenstaub bestreut; ein paar Töpfe mit halbverkümmerten Stubenpflanzen standen, zum ersten Male wieder in die laue freie Luft gerückt, vor dem einen Fenster der Knappenstube, und auf dem hölzernen, ausgetretenen Freitreppchen, das von dieser Stube direct in den Hof führte, saß ein weißbestäubter Müller und schnitt sich tüchtige Brocken von Brod und Käse.
„Mohr! Wächter!“ rief die junge Dame mit schmeichelnder Stimme über den Hof hinüber. Die Hunde geberdeten sich wie toll und rissen winselnd an der Kette.
„Was wünschen Sie?“ fragte der Müller, sich schwerfällig erhebend.
Sie lachte leise in sich hinein. „Ich wünsche gar nichts, Franz, als Ihnen und Suse guten Tag zu sagen.“
Im Nu flogen Brod, Käse und Messer hinter das Treppengeländer. Der Mann war nicht groß. Er war kleiner als das junge Mädchen – er sah sprachlos in das blühende Gesicht, das er zum letzten Male gesehen, wie es, noch nicht einmal in der Höhe seiner breiten Schultern, auf einem schmächtigen Kindeskörper gesessen; sie hatte „das Müllermäuschen“ geheißen und war ihm in der Mühle und auf dem Kornboden, in der That quecksilbern wie eine Maus, auf Schritt und Tritt nachgehuscht – und jetzt war sie die Herrin hier, und er, der ehemalige Obermüller, ihr Pächter. „Curios,“ sagte er, in unbeholfener Verlegenheit den Kopf schüttelnd, „die Grübchen in den Backen und die Augen sind’s noch, aber, aber das unmenschliche Wachsthum!“ Er ließ seine Augen scheu und ungläubig messend an der hohen Gestalt emporgleiten. „Na ja, da hat eben der Trieb von der Sommers-Großmutter her dahinter gesteckt; die war auch so wie Milch und Blut und – „wollt ihr wohl still sein, ihr Racker!“ unterbrach er sich scheltend und drohte mit der Faust nach den unaufhörlich bellenden Hunden. „Die Schlingel kennen Sie wirklich noch, gnädiges Fräulein –“
„Besser als Sie; das ‚unmenschliche Wachsthum‘ hat sie nicht irre gemacht,“ versetzte sie, zu den Hunden tretend und die hoch an ihr aufspringenden Thiere streichelnd. „Sie tituliren mich ja wunderlich, Franz. Ich bin nicht avancirt in Dresden, das kann ich Ihnen versichern.“
„Aber die Fräuleins drüben in der Villa lassen sich ja auch so benennen,“ sagte er mit steifem Nacken und starrköpfig.
„Ah so!“
„Und Sie sind doch zehnmal mehr. So jung und schon so reich, so unmenschlich reich! Die Mühle da, die schönste weit und breit – Sapperment, das will was heißen! Herrje – nur ein Mädchen, und kaum achtzehn Jahre alt, und das Commando über eine solche Mühle!“
Sie lachte. „Das steht mir allerdings zu, und ich will Ihnen das Leben schon sauer machen, alter Franz. … Wo steckt denn Suse?“
„Die hat Stubenarrest, hat’s wieder einmal in der rechten Seite, das arme, alte Frauenzimmer. Die Hausmittel wollen nicht mehr recht verfangen. Doctor Bruck ist eben bei ihr.“
Die junge Dame reichte ihm die Hand und trat sofort in das Haus. Die schwere Bohlenthür fiel rasselnd, mit gellendem Geklingel hinter ihr zu, und der Lärm hallte von allen vier Wänden des weiten Flurs zurück. … Unter den Füßen der Eingetretenen schütterte der Boden sehr stark. Das Tosen und Stampfen des Mahlwerkes dröhnte dumpf durch die kleine, klaffende Thür im gewölbten Steinbogen, und der Duft des frisch zermalmten Kornes füllte kräftig durchdringend die Luft. In tiefen Zügen sog ihn das junge Mädchen ein – eine ganze Fluth von Erinnerungen überwältigte sie; sie wurde blaß vor innerer Bewegung und blieb mit gefalteten Händen einen Augenblick stehen. Ja, sie war um Alles gern in der alten Mühle „herumgekrochen“, wie die Präsidentin von ihr sagte, und der Papa hatte ihr oft genug den Mehlstaub von Zöpfen und Kleidern geklopft – er hatte sie lächelnd „sein weißes Müllermäuschen“ genannt. Der finstere Mann, ihr Großvater, der meist von dort oben, über das Treppengeländer[42] hinweg, mürrisch, mit herrisch polternder Stimme seine Befehle herabgerufen, er hatte sie nie geliebt. Sie war fast immer vor seinem feindseligen Blicke in Susens blanke Küche oder zu Franz geflüchtet, und doch dachte sie mit bitterer Wehmuth seiner und wünschte, er möge wieder da herabsteigen mit den wuchtigen Tritten, unter denen die Treppenstufen geächzt; vielleicht fürchtete sie sich nicht mehr vor dem Gesichte, das, wie sie nun wußte, hauptsächlich Geldstolz und Protzenthum so abstoßend gemacht hatten; vielleicht wäre er jetzt auch milder und zugänglicher,