Im Hause des Kommerzienrates. Eugenie Marlitt

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Im Hause des Kommerzienrates - Eugenie Marlitt


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nichts«, sagte die kleine Dame gleichmütig. »Komm, Hänschen, komm!« lockte sie das Tierchen, das droben an der Decke kreiste; es kam sogleich pflichtschuldigst herunter und setzte sich auf ihre ausgestreckten Zeigefinger.

      Flora wandte sich achselzuckend ab. »Ich begreife Dich und die anderen drüben wahrhaftig nicht, Großmama«, sagte sie scharf. »Wie mögt Ihr nur Henriettens Kindereien und Narrheiten dulden? Sie wird Euch nächstens auch ihre sämtlichen Tauben- und Dohlennester in den Salon schleppen.«

      »Ei ja – warum denn nicht, Flora?« lachte die Kleine und zeigte eine Reihe feiner, scharfer Zähnchen. »Die guten Leute müssen sich ja auch gefallen lassen, dass Du wo möglich mit der Feder hinter dem Ohr einhergehst und stets alle Taschen voll Stubengelahrtheit mitbringst –«

      »Henriette!« unterbrach sie die Präsidentin streng verweisend. Es war eine wahrhaft fürstliche Hoheit in jeder ihrer Bewegungen; auch in der graziösen Art, wie sie dem Kommerzienrat ihre schlanke Hand begrüßend hinreichte, lag bei sehr viel Güte und Freundlichkeit dennoch eine nicht zu verkennende Herablassung.

      »Wir haben drüben erfahren, dass Du endlich zurückgekommen bist, lieber Moritz; sollen wir noch länger warten?« fragte sie mit ihrer schönen, immer noch weichen Frauenstimme.

      Noch vor zehn Minuten hatte er mit dem festen Vorsatz, schleunigst in den Frack zu schlüpfen, das Haus betreten – jetzt sagte er zögernd und unsicher: »Teuerste Großmama, ich möchte Sie bitten, mich für heute zu entschuldigen – der Vorfall in der Mühle –«

      »Nun ja, der Vorfall ist traurig genug, aber weshalb sollen auch wir darunter leiden? … Ich weiß wahrhaftig nicht, wie ich Dich vor meinen Freunden entschuldigen soll.«

      »Sie werden doch nicht so schwer von Begriffen sein, die guten Freunde, um nicht zu verstehen, dass Käthes Großpapa gestorben ist?« warf Henriette über die Schulter herüber ein – sie stand vor einem Bücherbrett und las, wie es schien, eifrig die Vignetten.

      »Henriette, ich verbitte mir ernstlich Deine naseweisen Bemerkungen«, sagte die Präsidentin. »Du magst meinetwegen Deinen feuerfarbenen Haarschmuck ein wenig moderieren; denn Käthe ist Deine Stiefschwester, mir und Moritz aber liegt diese Verwandtschaft so weltenfern, dass wir für uns dem Trauerfall offiziell keinerlei Bedeutung zugestehen können, so sehr ich ihn auch beklage. Ich möchte überhaupt nicht, dass die Sache an die große Glocke geschlagen würde – Brucks wegen – je weniger über den Vorfall gesprochen wird, desto besser.«

      »Mein Gott, seid Ihr denn alle so ungerecht gegen den Doktor?« rief der Kommerzienrat in ausbrechender Verzweiflung. »Ihm ist auch nicht der allergeringste Vorwurf zu machen; er hat seine ganze Kunst, sein ganzes Wissen aufgeboten –«

      »Lieber Moritz, darüber musst Du meinen alten Freund, den Medizinalrat von Bär, hören!« unterbrach ihn die Präsidentin und klopfte ihn leicht auf die Schulter. Sie winkte bedeutungsvoll mit den Augen nach Flora, die an ihren Schreibtisch getreten war.

      »O, geniere Dich nur nicht, Großmama! Glaubst Du denn, ich sei so blind und dumm, um mir nicht selbst zu sagen, wie Bär urteilt?« rief das schöne Mädchen bitter. Ihre Lippen zuckten wie im Krampf. »Übrigens hat Bruck bereits sich selbst gerichtet, er hat nicht gewagt, mir heute Abend noch unter die Augen zu treten.«

      Henriette hatte bis dahin mit dem Rücken gegen die anderen gestanden. Jetzt wandte sie sich um; eine hohe Röte schoss in ihr fahles Gesicht und erlosch ebenso rasch wieder. Das Mädchen hatte ein wunderschönes, tiefes Auge, ein Auge voll leidenschaftlicher Empfindung. Diese großen flimmernden Sterne richteten sich mit einem Gemisch von scheuem Schrecken und jäh aufglühendem Hass auf das Gesicht der Schwester.

      »Nun, diesen Verdacht wird er widerlegen – er kommt noch, Flora«, sagte der Kommerzienrat sichtlich erleichtert. »Er wird Dir selbst sagen, dass er den Tag über wie gehetzt gewesen ist. Du weißt ja, dass er mehrere Schwerkranke in der Stadt hat, darunter das arme, kleine Mädchen des Kaufmann Lenz, das heute Nacht noch sterben wird.«

      Die junge Dame stieß ein leises, bitteres Lachen aus. »Wird es sterben? Wirklich, Moritz? … Nun sieh, Bär war auch hier bei mir, ehe er zu Großmama ging; er sprach auch von dem Kinde, das er gestern gesehen hatte, und meinte, der Fall sei leicht – er fürchte nur, Bruck sei auf falscher Fährte. Bär ist eine Autorität –«

      »Ja, eine Autorität voll zitternden Neides«, sagte Henriette mit vibrierender Stimme. Sie war rasch hinzugetreten und legte ihre Hand auf den Arm ihres Schwagers. »Gib es auf, Moritz, Flora zu bekehren! Du siehst doch, sie will ihren Bräutigam schuldig finden.«

      »Ich will? … Boshaftes Geschöpf! Ich gäbe sofort mein halbes Vermögen hin, wenn ich noch so denken könnte, wie zu Anfang meiner Brautschaft, so stolz, so zuversichtlich zu Bruck aufsehend«, rief Flora leidenschaftlich. »Aber seit dem Tode der Gräfin Wallendorf trage ich stillschweigend die fortgesetzte Qual der Zweifel, des Misstrauens mit mir herum – heute zweifle ich nicht mehr, denn ich bin überzeugt. Jene Schwäche des Weibes kenne ich freilich nicht, das nur liebt, ohne zu fragen: ist der Geliebte der Hingebung auch würdig? … Ich bin ehrgeizig, glühend ehrgeizig, das können alle wissen. Ohne diese Triebfeder würde ich auch mit dem großen Haufen der Schwachen und Indolenten meines Geschlechts auf der breiten Heerstraße der Alltäglichkeit ziehen. – Gott soll mich behüten! Wie andere strebende und denkende Frauen es möglich machen, ruhig und gleichmütig mit einem unbedeutenden Mann durchs Leben zu gehen, ist mir stets unfasslich gewesen – ich würde zeitlebens erröten unter den Blicken der Menschen.«

      »O – so verschämt würdest Du sein? Sieh, sieh! – Allerdings, dazu gehört auch mehr Mut, als vor einem kecken Auditorium von Studenten über Ästhetik und dergleichen zu lesen«, rief Henriette, jetzt in der Tat mit einem boshaften Lächeln.

      Flora ließ einen Blick voll Verachtung über die kleine Schwester hinstreifen. »Solch eine kleine Viper lässt man ruhig zischen. Was weißt Du von einem Ideal?« sagte sie achselzuckend. »Aber Recht hast Du, wenn Du glaubst, mein Platz sei weit eher auf dem Katheder, als an der Seite eines Mannes, der sich als Stümper in seiner Wissenschaft dokumentiert – eine solche Fessel ertrage ich nicht.«

      »Kind, das ist Deine Sache«, erklärte die Präsidentin gelassen, während der Kommerzienrat in namenloser Bestürzung zurückfuhr. »Du wirst Dich erinnern, dass Dich niemand gezwungen, noch überredet hat, Deinen Kopf in diese Fessel zu stecken.«

      »Das weiß ich sehr genau, Großmama; ich weiß auch, dass Du es weit lieber gesehen hättest, wenn ich die Frau des an Geld und Körper bankerotten Kammerherrn von Stetten geworden wäre. Ich gebe Dir ebenso gern zu, dass ich mich nie von irgendeinem Menschen beeinflussen oder gar leiten lasse, weil ich am besten wissen muss, was mir frommt.«

      »Das wird Dir auch stets unbenommen sein«, versetzte die Großmama mit vornehmer Kälte. »Nur eines gebe ich Dir zu bedenken: Du wirst eine entschiedene Gegnerin an mir haben, wenn die Sache auf einen Eklat hinausläuft. Darin kennst Du mich hoffentlich. Ich ertrage weit eher inneren Unfrieden, als einen Familienskandal nach außen. Ich lebe mit Euch zusammen und habe gern die Repräsentation dieses Hauses übernommen; dafür verlange ich aber auch die unbedingteste Rücksicht für meine Stellung und meinen Namen. Ich will nicht, dass man in der Gesellschaft über uns flüstert und zischelt.«

      Der Kommerzienrat wandte sich rasch ab. Er trat an das eine unverhüllte Fenster und starrte in die Nacht hinaus. Der Wind, der sich allmählich zum Sturme steigerte, fauchte rüttelnd an den Scheiben hin, und in dem feurig roten Streifen, den die Lampe des anderen Fensters stet und unbeirrt über die windgeschüttelten Büsche warf, fuhren die blutig gefärbten Schneeflocken im rasenden Wirbel durcheinander, wie die marternden Gedanken in seinem Kopfe. Er hatte vorhin mit sich gekämpft, ob er nicht Flora wenigstens den Vorfall wahrheitsgetreu mitteilen solle – jetzt wusste er, dass gerade ihr gegenüber kein Laut über seine Lippen kommen durfte, wenn er nicht wollte, dass die Präsidentin um des »Zischelns und Flüsterns in der Gesellschaft« willen sich von ihm lossagte; er musste sich eingestehen, dass das ehrgeizige schöne Mädchen sofort sein Geständnis in die Welt hinausschreien würde, weniger aus Liebe, als um den Schein von sich zu wenden, dass sie sich hinsichtlich der Wahl ihres Herzens oder eigentlich ihres Verstandes geirrt habe.

      Währenddem


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