Herz und Wissen. Уилки Коллинз

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Herz und Wissen - Уилки Коллинз


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aber sie war wieder so feierlich ernst wie nur je.

      »Darf ich Sie bei Ihrem Vornamen nennen?« fragte sie.

      »Gewiß!«

      »Hören Sie. Ich möchte Sie vor meiner Abreise nicht wiedersehen – mein letztes Wort; vergessen Sie es nicht. Selbst Carmina kann Feinde haben.«

      »Feinde – im Hause meiner Mutter!« rief Ovid. »Was können Sie damit meinen?«

      Teresa ging wieder zu der Thür und antwortete, als sie dieselbe bereits geöffnet hatte: »Warten Sie es ab; Sie werden schon sehen.«

      Capitel X

      Mrs. Gallilee war gerade auf dem Wege zum Frühstückszimmer, als ihr Sohn ihr bei seiner Ankunft im Hause in der Halle begegnete.

      »Bist Du mit dem Einpacken fertig?« fragte sie.

      »Noch nicht«, antwortete er kurz, da er nicht in der Laune war zu warten und sein Geständniß in diesem Augenblicke zu machen.

      Mrs. Gallilee ging ihm in das Zimmer voran und kündigte hier an. »Ovid’s Sachen sind noch nicht gepackt; ich glaube, er wird den Zug verpassen.«

      Als Ovid in das Zimmer trat, wo die ganze Familie, die Gouvernante und die Kinder mit eingeschlossen, anwesend war, heiterte sich das abgespannte Gesicht Carmina’s, das von einer durchwachten Nacht zeugte, wieder auf, geradeso wie gestern, als sie ihn von ihrem Fenster aus erblickt hatte. Freimüthig nahm sie seine Hand und ging leicht über ihr abgespanntes Aussehen hinweg. »Nein, Cousin«, sagte sie scherzend; »ich denke, mich heute Abend meines reizenden Bettes würdiger zu machen; ich will noch nicht Ihr Patient werden.«

      Obgleich der Hausherr, Mr. Gallilee, in diesem Augenblicke gerade den Mund voll hatte, konnte derselbe sich nicht enthalten, mit gutem Rathe zur Hand zu gehen. »Iß und trink’ wie ich, mein Kind«, sagte er zu Carmina, »dann wirst Du ebenso gut schlafen. Sowie die Lichter ausgelöscht sind, bin ich weg – frage meine Frau nur – und wenn ich erst einmal flach auf dem Rücken liege, dann versucht, mich vor Aufstehenszeit zu wecken. Nimm Dir einige Eier, Ovid. Sie sind gut, nicht wahr, Zo?«

      Zo blickte von ihrem Teller auf und stimmte ihrem Vater durch das eine emphatische Wort bei: »Famos!« Sofort aber waltete Miß Minerva ihres Amtes. »Zoe! wie oft soll ich Dir sagen, daß Du Dich nicht so gewöhnlich ausdrücken sollst? Hast Du das Wort »famos!« je von Deiner Schwester gehört?« Dieses hochgebildete, in bewußter Tugend starke Kind, Maria, unterstützte den Protest mit ihrer Autorität: »Keine junge Dame, die sich selbst achtet, Zoe, wird sich je gewöhnlich ausdrücken.«

      Mr. Gallilee war wirklich einer solchen Tochter ganz unwürdig, wie hätte er sonst, »dummes Zeug!« vor sich hin brummen können. Als Zo ihm indeß ihren Teller nach mehr hinhielt, rief er vergnügt:

      »Das ist ganz mein Kind! Wir beide sind gute Esser; Zo wird ein hübsches Mädchen werden. Das ist Deine Meinung als Arzt auch, nicht wahr, Ovid?« wandte er sich an seinen Stiefsohn.

      Ueber Carmina’s Gesicht zog wie ein zitternder Sonnenstrahl ein reizendes Lächeln: bei ihrer kurzen Erfahrung in England war ihr Mr. Gallilee das eine erheiternde Element im Familienleben. Mrs. Gallilee aber dachte noch an das Gepäck ihres Sohnes und an die rigorose Pünktlichkeit der Eisenbahn.

      »Was macht denn Dein Diener?« fragte sie Ovid. »Er hat doch dafür zu sorgen, daß Alles rechtzeitig fertig ist.«

      Da es nutzlos war, sie noch länger unter dem obwaltenden falschen Eindrücke zu lassen, so antwortete Ovid: »Meinen Diener trifft kein Vorwurf. Ich habe mich bei meinem Freunde entschuldigt – da ich nicht fortgehe.«

      Für den Augenblick empfing ein zagendes Schweigen diese erstaunliche Mittheilung; nur das jüngste Mitglied der Gesellschaft, Zo, in deren sonderbarem Herzchen nach ihrem Vater nur noch Ovid einen Platz inne hatte, gab ihren Gefühlen ohne Zögern und Rückhalt Ausdruck, indem sie den Löffel hinlegte und ein »Hurrah!« ertönen ließ. Diesmal war aber selbst Miß Minerva zu sehr von der eben gehörten Offenbarung überwältigt, um für den vulgären Ausruf die nöthige Rüge zu ertheilen. Wie festgenagelt hafteten die harten schwarzen Augen auf dem Doctor. Was Mr. Gallilee anbetraf so hielt derselbe das Butterbrod, das er gerade hatte zum Munde führen wollen, vor sich in der Luft und starrte seinen Stiefsohn mit offenem Munde völlig konsterniert an.

      Die erste, welche eine Erklärung forderte, war Mrs. Gallilee, die ja immer das richtige Beispiel gab. »Was hat diese außerordentliche Handlungsweise zu bedeuten?« fragte sie.

      Ovid aber war für den Ton, in welchem diese Frage gestellt war, unzugänglich; er hatte bei der vorhin abgegebenen Erklärung seine Cousine angesehen, und wandte auch jetzt den Blick nicht von ihr ab. Was Carmina auch immer momentan fühlen mochte, ihr sensitives Gesicht drückte es lebhaft aus. War das schwache Durchbrechen von Farbe auf ihren Wangen, war das schnelle Aufleuchten in ihren Augen, als sie Ovid’s Blicke begegneten mißzuverstehen? Ohne noch eine Ahnung von dem Gefühle zu haben, das sie in ihm erweckt hatte, nahm sie das ihr von Ovid entgegengebrachte Interesse mit dem Stolze auf, der ein junges Mädchen unschuldig kühn macht. Mochten die Anderen über seine gebrochene Verabredung denken, was sie wollten, ihre Augen sagten offen, daß sie nur glücklich überrascht sei.

      Auch Mrs. Gallilee hatte Carmina angesehen und sich das Resultat ihrer Beobachtung privatim gemerkt. Nicht gerade mit freundlicher Stimme forderte sie jetzt die Aufmerksamkeit ihres Sohnes, indem sie fragte: »Sollen wir nicht Deine Gründe hören?«

      Ovid aber hatte die eine Entdeckung gemacht, an der jetzt sein ganzes Herz hing, und war so glücklich, daß er mit einer Selbstbeherrschung die seiner Mutter würdig gewesen unsre, das Geheimniß vor ihr verborgen hielt.

      »Ich glaube nicht, daß gerade eine Seereise mir zuträglich sein würde«, antwortete er.

      »Da hast Du Deine Ansicht ziemlich plötzlich geändert«, bemerkte Mrs. Gallilee, und Ovid gab kühl zu, daß das allerdings ziemlich plötzlich geschehen sei.

      Wenn Miß Minerva die bescheiden zuhörte, einen Ausbruch erwartet hatte, so wurde sie enttäuscht, denn Mrs. Gallilee zeigte nach einer kleinen Pause der kurzen Antwort ihres Sohnes gegenüber eine Nachgiebigkeit, die ihre besondere Bedeutung haben mußte. Sie bot ihm noch eine Tasse Thee an und – was noch auffallender war – änderte das Thema, indem sie sich an ihre älteste Tochter wandte und mit mildem mütterlichen Interesse nach deren heutigen Stunden fragte.

      Die Gouvernante, welche nach einem fragenden Blicke auf Ovid auf ihren Teller sah, dachte bei sich: »Ob er wohl klug genug ist zu erkennen, daß seine Mutter Unheil brütet?«

      Ein Glücklicher ist indessen selten im Stande, subtile Schlüsse zu ziehen, und außerdem war Ovid ein viel zu guter Sohn, um seine Mutter zu beargwöhnen.

      Mr. Gallilee, der sich mittlerweile erholt und sein Butterbrod aufgegessen hatte, bemerkte gegen seine Frau heiter: »Treib Ovid nur nicht an, meine Liebe«, worauf ihm diese aber einen Blick zuwarf, der ihn hätte vom Erdboden verschwinden lassen müssen, wenn Blicken überhaupt eine Zerstörungskraft innewohnte. So aber fuhr er, Zo noch einen Löffel voll Marmelade gebend, fort: »Als Ovid zuerst von dieser Reise sprach, warnte ich gleich vor der Seekrankheit. Ein schreckliches Gefühl das, Miß Minerva, nicht wahr? Erst scheint man in den Boden zu versinken und dann kommt auf einmal alles herauf. Sie werden nicht seekrank? Nun, dann gratuliere ich – gratuliere wirklich aufrichtig! Höre, Ovid, komm’ und diniere heute Abend mit mir im Club.« Bei diesem Vorschlage sah er seine Frau ungewiß an. »Hast Du wieder Dein Kopfweh? Ich werde Dich mit Vergnügen auf einem Spaziergange begleiten. Was ist mit ihr, Miß Minerva? Ah, ich sehe. Still! Maria will das Tischgebet sprechen. Amen! Amen!«

      Alle erhoben sich und Mr. Gallilee war der Erste an der Thür. Da seine Frau das Rauchen im Hause nicht litt, so genoß er seine Morgencigarre gewöhnlich in den Anlagen draußen. Er sah sich nach Carmina und Ovid um, als ob er gern einen von ihnen zur Gesellschaft mitgenommen hätte; da er dieselben aber vor dem Vogelhause ganz in ihre Unterhaltung vertieft sah, so ergab er sich resigniert in sein Schicksal. »Nun«, seufzte er leicht, »die Cigarre leistet einem ja auch Gesellschaft.« Und da er immer jemanden haben mußte, der ihm zustimmte, so wandte er sich an Miß Minerva, die sich mit den beiden Mädchen zum Schulzimmer begeben wollte.


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