Herz und Wissen. Уилки Коллинз

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Herz und Wissen - Уилки Коллинз


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er sich ein Körbchen Erdbeeren.

      Warum mußte nun gerade ein armes, zerlumptes kleines Mädchen, das einen großen Säugling trug, die köstlichen Früchte, die er aß, mit so sehnsüchtigen Augen betrachten, daß er als gutherziger Mann keine andere Alternative hatte, als ihr die Erdbeeren zu schenken? Warum mußten unmittelbar darauf zwei Spielgefährten der Kleinen erscheinen, um sie nach der benachbarten Straße zu holen, wo ein Hanswurstkasten aufgestellt wurde? Und warum empfand er plötzlich die Besorgniß, daß die beiden Jungen der armen Kleinen, mit dem ihr an Größe wenig nachstehenden dicken Baby auf den Armen die Erdbeeren wegnehmen könnten? Wenn die Nerven überangestrengt sind, wird man eben leicht durch Geringfügigkeiten beunruhigt, und ganz des Collegiums vergessend, folgte er müßig den Kleinen, um zu sehen, was kommen würde, und so eine neue Quelle des Vergnügens in sich entdeckend.

      In der benachbarten Straße angekommen sah er, daß die Hanstwurst-Vorstellung wegen Mangels an zahlendem Publikum ein Ende gefunden hatte – was ja auch manch anderer weit anspruchsvollerer Vorstellung widerfahren kann. Er wartete in einiger Entfernung, um die Kinder zu beobachten, aber er hatte den Jungen mit seinen Zweifeln Unrecht gethan, denn dieselben baten die Kleine nur: »Laß uns mal schmecken«, und die Freigebige belohnte ihre Artigkeit dadurch, daß sie in einer ruhigen Ecke ihren Schatz, ehrlich mit ihnen theilte.

      Wer hätte unter diesen Umständen – Geizhälse oder Millionäre natürlich ausgenommen – zu seinen Geschäften zurückkehren können, ohne durch ein Geschenk von einigen Pfennigen die Ausübung der socialen Tugenden zu ermuthigen? Ovid war nicht der Mann danach.

      Als er die Börse, in welcher er immer etwas kleine Münze für kleine Almosen bei sich zu führen pflegte, wieder in die Brusttasche steckte, berührte er mit der Hand etwas, das sich wie ein Couvert anfühlte; er nahm es aus der Tasche, sah es mit einem Ausdruck von Verdruß und Ueberraschung an und wandte sich noch einmal von dem directen Wege nach Lincoln’s Inn-Fields ab.

      Das Couvert enthielt nämlich sein letztes Recept, das er, um vorher die Pharmacopoea zu consultiren, zu Hause geschrieben und dann dem betreffenden Patienten hatte senden wollen, was er dann aber über dem absorbierenden Interesse der Vorbereitungen zu seiner Reise zu thun vergessen hatte. Um dies unglückliche Vorkommnis ohne weiteren Verzug wieder gut zu machen, blieb ihm nichts übrig, als nochmals die sich selbst gegebenen Vorschriften zu übertreten und noch einmal – nur der Sühne wegen – einen Krankenbesuch zu machen.

      Der Patient wohnte in der Nähe des British-Museum, Ovid suchte ihn also auf, entschuldigte sich, gab ihm Verhaltungsmaßregeln und schlug dann wieder die Richtung nach dem College zu ein. Wie er so an dem von einer Mauer eingefaßten Garten des Museums vorüberging, wandte er den Blick dorthin – und hielt inne. Was ihn diesmal aufhielt, war nichts als ein Baum, dessen helle Blätter in dem schwachen Sommerwinde zitterten; aber auf seinem Gesichte ging eine auffallende Veränderung vor sich.

      Wer ihn einen Augenblick vorher gesehen, wie er mit einem Lächeln um die Lippen an die Umstände gedacht, die ihn vom Verfolge seines Weges abgehalten, und sich humoristisch angehaucht gefragt hatte, was ihm nun zunächst noch widerfahren möchte, hätte ihn jedenfalls für einen glücklichen Mann halten müssen. Wer ihn aber jetzt gesehen, hätte gerade das Gegentheil angenommen. Den Kopf gesenkt, sich nur mechanisch bewegend, ging er über die Straße, hob dann die Augen zu dem Baume auf, blieb in der Nähe desselben stehen und sah ihn an.

      Hunderte von Meilen von London entfernt, hatte dieser Mann, der später so kalt gegen die Frauen war, unter einem solchen Baume in seiner Jugendzeit einen kindlichen Liebestraum mit einer holden kleinen Cousine geträumt, die nun längst zu den Todten zählte. Er vergaß der Gegenwart mit ihren Interessen und Sorgen; aber allmählich fühlte sein wundes Herz einen beruhigenden Einfluß, der auf geheimnißvolle Weise von den zitternden Blättern auszugehen schien.

      Langsam ging er die Straße hinauf, noch unbewußt der Außenwelt, in den alten Szenen lebend und die alten Gedanken denkend. Und wo hätte er in London einen ruhigeren und zum Träumen bei Tageslichte geeigneteren Ort finden können, als den mit stillen grünen Anlagen versehenen District nord- und ostwärts vom British-Museum? In einer der Anlagen blieb er stehen. Lebte seine Consine noch, so hätte er vielleicht seine eigenen Kinder auf einem solchen Platze spielen sehen können.

      Lustig sangen die Vögel in den Bäumen; ein Bursche, der einem Koch Fische ablieferte, und zwei Mädchen, die an einem Fenster Blumen begossen, waren die einzigen lebenden Wesen in seiner Nähe, als er sich aufraffte und sich umsah.

      Noch nicht im College? Die Frage erregte ihn nicht, es war nur, als ob ein Schatten an seinem Geiste vorüberzöge. In einem Zustande des Halbwachens wandte er sich ohne einen Wunsch oder Zweck um und sah gleichgültig zurück.

      Zwei in Trauer gekleidete Frauen, die näher kommend sich als eine alte Frau und ein junges Mädchen herausstellten, kamen ziemlich eilig auf ihn zu. Als er, um sie vorbeizulassen zur Seite trat, sahen sie ihn mit der gleichgültigen Neugier Fremder an; die Augen des Mädchens begegneten den seinen; es war nur ein Augenblick, aber der Blick bannte ihn für’s Leben.

      Sie ging schnell weiter, von der zufälligen Begegnung eben sowenig berührt als die Alte an ihrer Seite; aber wie von magnetischer Kraft angezogen, folgte ihnen Ovid, ohne zu denken, ja, ohne überhaupt eines Gedankens fähig zu sein. Nie vorher hatte er das gethan, was er jetzt that, er war buchstäblich außer sich selbst – er sah sie vor sich und außer ihnen nichts.

      Als sie in eine Nebenstraße einbogen und in eine Concerthalle, die hier zu einem Nachmittagsconcerte geöffnet war, eintraten, folgte er ihnen auch hierhin und trat gleichfalls ein.

      Capitel III

      Ungefähr um die Zeit, als Ovid sein Haus verlassen hatte, saßen in dem allgemeinen Salon eines der prunkendsten Eisenbahnhotels Londons zwei in tiefe Trauer gekleidete Frauen, die sich, in eine Ecke zurückgezogen, in einer fremden Sprache unterhielten und durch die Einfachheit ihres Anzuges in Schnitt und Stoff allgemeine Aufmerksamkeit unter den übrigen Reisenden, mindestens unter den Damen, erregten. Die eine der beiden trug einen schwarzen Schleier über ihrem grauen Haar; ihre Hände waren braun, mit knolligen Gelenken; ihre Augen blickten für ihr Alter unnatürlich hell; unzählige Falten und Runzeln durchzogen ihr häutiges Gesicht nach allen Richtungen und ihre Adlernase war, wie eine der anwesenden Damen gegen ihren Begleiter bemerkte, der des Herzogs von Wellington so abscheulich ähnlich, daß sie jedes Frauengesicht entstellen müsse.

      Der Begleiter der Dame sah die Sache milder an und flüsterte zurück: »Sie kann nichts für ihre Häßlichkeit. Sieh’ aber nur, wie sie das Mädchen neben ihr ansieht; es ist jedenfalls eine gute alte Person.«

      Die Dame sah den Sprechenden an, wie eben nur eine eifersüchtige Frau ihren Mann ansehen kann, und bemerkte: »Hu, Du bist natürlich in das winzige Ding verliebt!«

      Das Mädchen war allerdings nicht groß, und es war bei ihren siebzehn Jahren zweifelhaft, ob sie je größer werden würde. Aber es kann ja ein Mädchen das zu schlank und nicht ganz so groß ist wie die Venus von Medici, doch ihre persönlichen Reize haben, wenn dieselben in diesem Falle auch vielleicht nicht auffallend genug waren, um allgemeine Bewunderung zu erregen. Sie zeichnete sich nicht durch die zarte Farbe aus, noch durch die vollen gesunden Wangen, das heitere Lächeln die regelmäßigen Zähne oder den niedlich geformten Mund und vielversprechenden Busen, die den Durchschnittstypus der Schönheit der Engländerinnen ausmachen. Sie konnte sich überhaupt nur sehr weniger Farbe rühmen; ihr Haar zeigte ein so helles Braun, daß es nur eben dem Flachsigen entging, hatte aber das negative Verdienst, nicht bis auf die Augenbrauen herabgezogen und nicht in solch eine abscheuliche Negerperücke gedreht zu sein, wie sie heutzutage die Köpfe der Frauen entstellen. Die Züge, besonders Nase und Lippen, besaßen etwas so fein Vollendetes, es lag ein so sensitives Leben in dem Ausdrucke der Augen, die an und für sich zu dunkel waren, um mit dem hellen Haar ganz in Harmonie zu stehen, und ein so subtiler, doch einfacher Zauber in dem seltenen Lächeln, daß der Mangel an Gesichtsfarbe und Körperfülle wenigstens einigermaßen dadurch aufgewogen wurde. Man mochte sich um ihren Anspruch auf Schönheit streiten, aber niemand konnte leugnen, daß sie ein interessantes Wesen war. Anmuth und Feinheit; eine Schnelligkeit im Erfassen und eine Lebhaftigkeit in der Bewegung, die einen fremden Ursprung verriethen; eine kindliche Neigung zum Wundern


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