In der Dämmerstunde. Уилки Коллинз
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In der Dämmerstunde
Vorwort
Ich habe mich bemüht, die verschiedenen Erzählungen, welche in diesem Buche enthalten sind, so aneinander zu reihen, dass sie das Interesse des Lesers fesseln müssen, denn sie sind neu, wahr und überraschend! Die Blätter, welche von »Leah’s Tagebuch« handeln, bilden gleichsam den Rahmen der ganzen Sammlung dieser Erzählungen.
In diesem Teile des Buches, wie auch in den Einleitungen der einzelnen Geschichten, hatte ich die Absicht, den Leser einen Einblick in das Lebens der Künstler nehmen zu lassen; ich habe sorgfältige und gern gepflegte Studien zu diesem Zwecke gemacht und denselben auch schon im »Verstecken und Finden« einen Ausdruck gegeben.
Diesmal beabsichtigte ich nun, die Sympathie des Lesers für die Leiden und Freuden eines armen »reisenden Porträt-Malers« zu erregen; dargestellt von seiner Frau, unter dem Titel »Leah’s Tagebuch«, und auch teilweise in den Einleitungen zu den Erzählungen, von ihm selbst. Diese beiden Teile des Buches habe ich etwas scharf begrenzt. An »Leah’s Tagebuch« soll man erkennen, dass dasselbe nur in den Mußestunden, welche die Sorge für den Haushalt übrig ließ, geschrieben wurde; und in den Einleitungen, aus der Feder des Malers, ist auch nur soviel enthalten, wie ein bescheidener und zartfühlender Mann über sich selbst und über die Charaktere, die ihm auf seinen künstlerischen Reisen begegneten, sagen mag: Wenn es mir nun gelingt, durch diese einfache Art verständlich zu werden und daneben durch die verschiedenen Erzählungen ein vollständiges Ganze zu bilden, so werde ich ein mir seit langer Zeit vorgestecktes Ziel erreichen.
Über die einzelnen Erzählungen erlaube ich mir noch zu bemerken, dass die Lady von Glenwith Grange hier zum ersten Male gedruckt erscheint, dass jedoch die andern bereits in den Household Words gedruckt sind. Ich spreche hier gleich Mr. Charles Dickens meinen tiefgefühltesten Dank aus, dass er mir erlaubte, sie in den Rahmen dieses Buches mit einzufassen. Gleichzeitig spreche ich dem Künstler, Herrn W. S.Herrick, meinen Dank aus, für die Erzählungen: »das entsetzliche fremde Bett« und »die gelbe Maske«, zu denen ich durch seine Mitteilungen gelangt bin.
Obgleich diese Erklärungen Manchem, an dieser Stelle, überflüssig erscheinen mögen, der mich kennt, so möchte ich doch nicht den Schein auf mich laden, dass ich mich mit fremden Federn schmücken will.
Der Umstand, dass die Ereignisse in den hier vorliegenden Erzählungen schon in andern Blättern und die handelnden Personen ebenfalls schon bekannt sind, mag vielleicht den Verdacht erregen, dass die Erzählungen selbst nicht Originale sind. Aber der Leser, welcher mich mit seiner Aufmerksamkeit beehrt, kann sich darauf verlassen, dass er nur meine literarischen Nachkommen unter Händen hat. Die Kinder meiner Phantasie sind gewiss nicht immer frei von Schwächen und bedürfen zuweilen einer führenden Hand, die sie in die große Welt geleitet, aber sie sind meine eigenen Kinder im weitesten Umfange dieses Begriffs.
Die Mitglieder meiner literarischen Familie sind in der Tat so weit verbreitet, dass meine eigenen Vorstellungen wohl von erborgten zu unterscheiden sein werden; – denn ich habe nie irgend Etwas durch den Buchhandel veröffentlicht, das nicht auch mein bestimmtes Eigentum gewesen wäre.
Blätter aus Leah’s Tagebuch
Am 16. Februar 1827. – Der Doktor ist nun zum dritten Male gerufen worden, um die Augen meines Mannes zu untersuchen. Gott sei Dank, es ist nicht zu befürchten, dass mein armer William sein Augenlicht verlieren wird, vorausgesetzt dass er dasselbe, nach ärztlichem Ausspruch, nicht anstrengt. Der Arzt verlangt, dass mein Mann in den nächsten sechs Monaten nicht arbeite, das ist in unsern Verhältnissen sehr schwer zu befolgen. Es ist das unabänderliche Urteil zu Armut und Not! Doch wir müssen uns geduldig darin ergeben, denn nur diese Schonung seiner Augen wird meinen Mann vor dem trostlosen Zustande der Blindheit zu retten vermögen.
Ich werde mutig ausharren, das fühle ich, seitdem wir nun das Schlimmste wissen. Werde ich aber auch für meine Kinder sorgen können? Ja, ja ich hoffe es; denn es sind ja nur zwei. Zum ersten Male seit meiner Verheiratung, mache ich die traurige Bemerkung: ich bin froh, dass es nur zwei sind!
Am 17. Gestern Abend, nach dem ich William so gut als möglich über die Zukunft getröstet hatte, und nachdem er dann ruhig eingeschlafen war, ergriff mich der furchtbare Verdacht, dass der Arzt uns vielleicht das Schlimmste verschwiegen habe; denn es ist bekannt, dass die Ärzte ihre Patienten sehr oft über den wahren Zustand ihrer Leiden im Unklaren lassen. Ich finde, es ist dies eine falsche Herzensgüte.
Ich konnte meine Unruhe nicht überwinden und beschloss, heute heimlich den Doktor zu besuchen. Ich fand ihn auch glücklicher Weise zu Hause und in wenigen Worten hatte ich ihm die Ursache meines Besuchs mitgeteilt
Er lächelte, nachdem er mich angehört hatte, beruhigte mich und versicherte, dass er uns die volle Wahrheit gesagt habe.
Um aber noch mehr Gewissheit zu erlangen, fragte ich noch einmal, das Ärgste ist also überwunden, wenn mein Mann seine Augen sechs Monat schonen und ihnen vollkommene Ruhe gönnen wird?
»Ja,« so ist es,« erwiderte der Doktor. »Lassen Sie Ihren Mann nie zwei Stunden nach einander ohne den grünen Augenschirm, sonst nimmt die Entzündung zu, und ich wiederhole noch einmal, dass er seine Augen durchaus nicht gebrauchen darf! Er darf weder Bleistift noch Pinsel berühren, darf auch keine Bestellung auf Bilder für die nächsten sechs Monat annehmen. Erinnern Sie sich wohl daran, Mistreß Kerby, dass ich Ihren Mann warnte, die beiden angefangenen Portraits zu vollenden als seine Augen anfingen, schwach zu werden? Er folgte aber nicht, und dies ist die Ursache des Übels, welches wir jetzt bekämpfen wollen.«
»Ich erinnere mich wohl daran,« antwortete ich. »Doch was bleibt einem armen herumziehenden Porträtmaler, wie mein Mann einer ist, zu tun übrig?«
»Haben Sie keine anderen Hilfsquellen, kein anderes Geld, als was Herr Kerby mit der Malerei verdient?« fragte der Doktor teilnehmend
»Nein,« sagte ich niedergeschlagen und dachte dabei an die Rechnung für seinen ärztlichen Beistand.
»Verzeihen Sie, oder vielmehr schreiben Sie es meiner Teilnahme für Ihr Unglück zu, wenn ich mir nun die Frage erlaube, ob Mister Kerby ein reichliches Einkommen von der Ausübung seiner Kunst hat,« sagte der Doktor, indem er etwas beunruhigt auf mich blickte; und bevor ich noch antworten konnte, setzte er hinzu: »Sie nehmen doch gewiss nicht an, dass ich aus bloßer Neugierde frage?« Ich fühlte bestimmt, dass er nur edle Beweggründe zu der Frage habe und antwortete auch mit vollständiger Offenheit: »Mein Mann verdient nur wenig. Die berühmten Porträtmaler in London erzielen wohl enorme Preise, aber ein armer unbekannter Maler, der von einem Ort zum andern wandert und meist nur auf dem Lande Arbeit findet, muss schwer arbeiten und doch mit Wenigem zufrieden sein. Wenn wir hier unsere Schulden bezahlt haben werden, wird uns wenig übrig bleiben für einen noch billigeren Wohnort.«
»Ja diesem Falle,« sagte der gute Doktor, den ich, nebenbei gesagt, von dem ersten Augenblicke an wo ich ihn sah, lieb gewann, »machen Sie sich nur keine Sorgen um meine Rechnung, wenn Sie hier Ihre Schulden bezahlen. Ich warte gern bis Mister Kerbys Augen hergestellt sein werden und dann werde ich ihn bitten, mir meine kleine Tochter zu malen; so werden wir beide bezahlt und und zufrieden sein, hoffe ich.«
Dann gab er mir die Hand und verabschiedete sich schnell, bevor ich ihm noch meinen Dank aussprechen konnte. Nie, nie werde ich es vergessen, wie mich der gute Mann von zwei schweren Sorgen befreite und zwar in der bedrängtesten Zeit meines Lebens. Ich hätte niederknien und seine Fußstapfen küssen mögen, als ich nach Hause ging.
Am 18. Wäre ich nicht entschlossen nach dem was gestern vorgegangen ist, vertrauensvoller in die Zukunft zu blicken, so wäre der heutige Tag ganz dazu geeignet gewesen, mir meinen Mut vollständig zu nehmen. Zuerst kam das Einkassieren unserer Rechnungen und die Entdeckung, dass uns, nachdem wir dieselben bezahlt, nur noch höchstens zwei oder drei Pfund übrig bleiben würden; danach kam die traurige Beschäftigung den reichen Personen Briefe zu schreiben, welche meinem Manne Aufträge erteilt hatten; ich musste ihnen von dem Unglück Mitteilung machen, welches uns betroffen hat und von der Unmöglichkeit, dass ihre Bestellungen in der nächsten Zeit ausgeführt werden könnten. Dann kam das noch traurigere Geschäft der Kündigung, um so unangenehmer da wir uns bequem und gut in unserer Wohnung befanden. Hätte mein Gatte bei seiner Arbeit