Das Feuer. Henri Barbusse
Читать онлайн книгу.seufzt in tiefster Ueberzeugung Eudore, der der Länge nach mit halbgeöffnetem Mund wie ein Märtyrer auf dem Boden liegt und Pépin unentwegt betrachtet, der wie eine Hyäne hin- und herrennt.
Die hassgeschwängerte Erbitterung gegen die Verspäteten wächst von Minute zu Minute,
Tirloir, das Reklamierkaliber, kommt überhaupt nicht mehr zur Ruhe. Er ist in seinem Element und stupft die Wut der Kameraden mit kleinen, spitzen Gesten an:
– Wenn man wenigstens den Trost hätte, dass einem die Sache schmecken wird, aber die Schlampe, die du dir in den Schlauch stopfen sollst.
– Und gestern, ha! meint Tirette, den Braten, den sie gebracht haben; Schleifstein ist nichts dagegen! Rindsbeefsteak nennen sie das; hat sich was mit dem Veloschlauch. Den andern hab ich gesagt, sie sollten beim kauen aufpassen: beisst euch die Dominos nicht dran kaput, hab ich gesagt, wenn der Schumacher im Falle einen Nagel dran vergessen hätt.
Tirette, heisst es, sei Exregisseur einer Kinotruppe; sein ausgeschriener Witz hätte zu einer andern Zeit die Lachmuskeln gereizt; jetzt aber ist die Stimmung getrübt und auf den Witz antwortet nur ein allgemeines Knurren.
– Und dann pappen sie einem als Fleisch zur Abwechslung was Weiches in den Magen; sowas wie ungesalzner Schwamm, oder fades Senfpflaster; beim Essen hast du's Gefühl, es rutscht dir ein Viertel Liter Wasser den Schlauch runter.
– All das Zeug ist ohne Bestand, meint Lamuse, und hält nicht an im Magen. Und wenn du meinst, du bist voll, dann hast du doch 'ne leere Kiste; und dann kippst du allmählich um von wegen zu wenig Nahrung.
– Das nächste Mal, schreit Biquet, geh ich zum Alten und sag ihm: »Herr Hauptmann …«
– Ich, sagt Barque, meld mich bleich und sag zum Arzt: »Herr Major …«
– Und wenn du Wände einrennst, hast du nichts davon. Die sind sich doch alle einig, den Soldaten auszunützen.
– Unsre Haut wollen sie, alle, sag ich dir!
– Genau wie mit dem Schnaps. Das Recht drauf haben wir; irgendwo, wo weiss ich nicht, aber irgendwo, weiss ich bestimmt, ist drüber abgestimmt worden; nun sind wir schon drei Tage lang hier, und Schnaps! Hat sich was, mit Heugabeln schenken sie ihn uns ein?
– Hol's der Teufel.
*
– Endlich kommen die Fressalien! meldet einer der an der Biegung Auslug hielt.
– Höchste Eisenbahn!
Nun legt sich plötzlich wie verhext das fluchende Gewitter, und die Wut wandelt sich in Zufriedenheit.
Drei Leute Suppenmannschaft stellen, ausser Atem und schweisstriefenden Gesichtes, zwei grosse Kannen, eine Petrolkanne, zwei Tucheimer und an einer Stange aufgespiesste Kugeln auf die Erde. An die Grabenwand gelehnt, wischen sie sich mit ihren Taschentüchern oder ihren Aermeln den Schweiss von der Stirn. Dabei seh ich Cocon sich an Pépin lächelnd heranmachen; schon hat er die Beleidigungen, mit denen er ihn vorhin bedacht hatte, vergessen, und deutet auf eine jener Feldflaschen, die dem Pépère wie ein Rettungsgürtel um den Bauch hängen.
– Was gibt's zu futtern?
– Da steht's, antwortete ausweichend der zweite Träger.
Die Erfahrung nämlich hatte ihn gelehrt, dass die Ankündigung des Speisezettels stets eine bittere Enttäuschung hervorruft.
Er schimpft auch deshalb, ohne noch seinen vollen Atem gefunden zu haben, über den langen und schlechten Weg, den er soeben zurückgelegt hatte: »Ueberall liegen sie herum wie die Beduinen, man kommt kaum durch. Dünn wie Zigarettenpapier müsste man sein, manchmal, um sich durchzuquetschen …« »Und dabei hat's noch welche, die meinen, bei der Küchenmannschaft seien sie alle Drückeberger.« Dagegen behaupte er, tausendmal lieber im Schützengraben zu arbeiten oder auf dem Wachtposten zu stehn, als dies elende Handwerk zweimal in der Nacht und zweimal am Tag ausüben zu müssen.
Paradis hat die Deckel der Kannen gelüftet und den Inhalt untersucht:
– Oelbohnen, gekochtes Leder und Schlamm; das ist alles.
– Gottverdammich! Und wo bleibt der Wein? brüllt Tulacque und trommelt die Kameraden zusammen.
– Da schaut her! So was geht über's Bohnenlied! Nicht mal Wein haben sie gebracht.
Sie laufen alle zusammen und schneiden lange Gesichter; denn ihre Gaumen sind ausgetrocknet.
– Scheissbande! rufen die Leute, tief bis in die Eingeweide hinein enttäuscht.
– Und da drinnen, was hat's da drinn? meint einer der Träger, noch immer krebsrot und nass vom Schweiss, und deutet mit dem Fuss auf eine Kanne.
– Ja so, sagt Paradis, ich habe mich getäuscht, also doch Wein.
Drauf zuckt der Träger mit den Achseln und wirft ihm einen Blick grenzenloser Verachtung zu und sagt: Setz dir Kuhbrillen vor die Augen, wenn du blind bist.
Dann fügt er hinzu:
– Ein Viertelliter pro Mann … kann sein, dass es nicht ganz reicht, 's ist mir nämlich im Wald so'n Rindvieh dran gestossen, dabei ist ein Tropfen rausgespritzt … Dann fügt er aber schnell hinzu: wenn ich nicht beide Hände voll gehabt hätte, hätt ich dem Kerl den Absatz in den Bauch gesteckt, sag ich, ja wohl! Aber die vierte Geschwindigkeit hat er eingeschaltet, das Kamel!
Trotz dieser energischen Versicherung, macht er sich schleunigst auf die Socken, verfolgt von den beleidigenden Anspielungen, die die andern seiner Ehrlichkeit und seiner Temperenzlerseele nachwerfen und auch von den Verwünschungen, die die eingestandene unvollständige Ration auslöst.
Nichtsdestoweniger stürzt man sich auf die Nahrung, und sie essen stehend, kauernd, knieend, auf einer Kanne hockend oder auf einem Tornister, der aus dem Schlafloch gezogen wird; andre liegen auf dem nackten Boden, den Rücken in der Erde vergraben; die Vorübergehenden aber stören sie und man flucht sich gegenseitig an. Ausser diesen fluchenden Bemerkungen spricht keiner etwas, denn das Essen nimmt sie völlig in Anspruch; dabei trieft der Mund von Fett wie der Verschluss der Gewehre.
Nun ist alles zufrieden.
Nach einer Weile aber ruhn die Kiefer aus; dann werden Zoten aufgetischt. Alles fuchtelt mit den Armen durcheinander und jeder überschreit den Nachbar und hastet nach der günstigen Gelegenheit, seinen Witz anzubringen. Und Farfadet lächelt, Farfadet, der zerbrechliche Mairie-Beamte, der zu anfang den Anstand wahrte und sich putzte, dass man ihn für einen Fremden oder einen Rekonvaleszenten hielt. Lamuse aber zieht sein flixendes Maul bis hinter die Ohren und seine Augen blinzeln freudetriefend; wogegen das rote Gesicht von Poterloo strahlt und glänzt wie eine Pfingstrose; die Runzeln des alten Blaire zittern vor Ausgelassenheit; er ist aufgestanden, streckt die Nase vor und schüttelt seinen dünnen Leib, der wie ein Stiel für seinen mächtigen, hängenden Schnurrbart aussieht; ja selbst der arme Cocon hat ein Fünkchen Heiterkeit auf seinem kleinen Runzelgesicht.
*
– Ja und … der Schlamm, wird der nicht gewärmt? fragt Becuve.
– Womit nur? Blas drauf, vielleicht kriegt er Hitze davon.
– Lasst mich nur machen. Ich weiss schon, wie das zu drechseln ist; wahrlich, keine Hexerei; macht ihr mir nur einen kleinen Herd mit den Käsmesserscheiden zurecht; ich geh derweil Späne holen mit meinem Messer; werdet schon sehn … Mit diesen Worten macht er sich auf die Holzsuche.
Die andern rollen sich Zigaretten oder stopfen ihre Pfeife, solang der Kaffee kocht.
Hierzu zieht ein jeder seinen Tabakbeutel heraus, seinen Leder- oder Kautschukbeutel, den er beim Krämer gekauft hat; das leisten sich nur die